Es ist nicht nur Skepsis, sondern auch eine Portion Mitleid im Blick von Gerhard, als er rhetorisch und irgendwie auch ein wenig abfällig fragt: "Ein Elektroradl?" Er mustert das schwere, wirklich sauteure E-Mountainbike und schiebt nach: "Bist schon so alt?"

Für manche ist die Kombination aus Fahrrad und E-Motor eine vollkommen falsche Erfindung. So wie alkoholfreies Bier, vegane Würschtl oder Gummistiefel mit Innenfutter. Wer nicht aus eigener Kraft auf den Berg kommt, hat mit seinem Fahrrad unten zu bleiben. Und für die Alten ist ein Fahrrad mit E-Antrieb sowieso viel zu gefährlich, weil zu schnell.

E-Mountainbikes haben nicht überall das beste Image.
Foto: Guido Gluschitsch

Diesen Eindruck macht der 70-jährige Mann, der gerade beim "Schönen Jäger" Rast macht, aber eigentlich gar nicht. Er hat diesen markanten Punkt der Bäckersteig-Strecke auf dem Leithagebirge mit einem alten Alu-E-Mountainbike erklommen. "So kann ich mit den Jüngeren in der Gruppe noch mithalten", erzählt er und zeigt auf seine juvenilen Begleiter. "Es ist recht anstrengend für mich, aber ich überfordere mich nicht", sagt er und fragt: "Soll ich nur daheim vorm Fernseher sitzen?"

Auf den Mountainbike-Strecken des Leithagebirges trifft man unterschiedlichste Leute. Dicke Männer auf fetten E-Bikes, Gruppen von Radlern auf Mountainbikes mit und ohne Unterstützung, Wanderer, Jäger, drahtige Jungs mit vernarbten Schienbeinen. Und nicht selten fällt ein böses Wort, wenn so ein E-Mountainbiker an einem Muskelkraft-Radler vorbeizieht. Nur wenn es um oder sagen wir gegen Jäger und Förster geht, dann verstehen sich die beiden Gruppen restlos und halten zusammen.

Jäger und ihre Autos

Wehe, ein Jäger erwischt einen dabei, wie man die freigegebenen Wege verlässt oder zu einer Zeit fährt, zu der es nicht erlaubt ist. Da wurden Radfahrer schon festgehalten, bis die Polizei vor Ort war und die Personalien aufnahm.

Das Problem sei, sagt ein Jäger, dass sich das Wild vor den Radfahrern fürchte, weil die so schnell und leise angebraust kommen. Dann würden sich die Tiere verstecken und in der Folge die Jäger die Abschussziele nicht schaffen. An die Autos der Jäger allerdings sei das Wild gewöhnt.

Mountainbikes mit E-Motor erobern die Trails in den heimischen Bergen. Das wird nicht von allen gern gesehen – skeptisch sind etwa Chirurgen.
Foto: Guido Gluschitsch

Vermutlich darum saß unlängst, in der Nähe von Loretto, ein Waidmann auf einem Hochsitz und machte nicht Jagd auf Rehe oder Hasen, sondern auf Mountainbiker. Seinen Pick-up hatte er in einem Seitenweg versteckt, und wenn ein Radler nicht ordnungsgemäß die richtige Abzweigung nahm, hastete er runter, stieg in den Pick-up, raste dem Pedalritter nach und stellte ihn. Er machte keinen Unterschied zwischen Mountainbike und E-Bike.

Das macht Thomas Trapichler auch nicht. Wenn auch auf ganz andere Art. Er ist staatlich geprüfter Mountainbike-Instruktor und gibt Fahrradkurse. Für Anfänger, für Mountainbiker, für Junge und Alte und auch für Fahrer von E-Mountainbikes und Pedelecs. Seine Ausbildung dauerte vier Wochen und macht sich, was den Unterricht angeht, noch nicht vollends bezahlt. Die Kurse werden kaum nachgefragt. Mag sein, dass Menschen, die sich auf ihrem Pedelec unsicher fühlen, Angst haben, sich vor den anderen zu blamieren. Und jene, die das Mountainbike schon recht gut beherrschen, mögen sich schon im Zenit der Fahrkunst wähnen.

Fahrradtraining

"Je nach Fahrkönnen geht es erst ums richtige Auf- und Absteigen, die Position auf dem Fahrrad, den Bike-Check, wir machen Balance-Übungen, schauen uns das richtige Bremsen, Gang wechseln und Kurvenfahren an, wie funktioniert das Anfahren im schweren Gelände am besten ..." Bis hin zur Up- und Downhill-Technik reicht das Unterrichtsspektrum von Thomas Trapichler. Die ersten Sprünge sind dann aber erst etwas für die Fortgeschrittenen, während das richtige Umgehen mit diversen Hindernissen wieder alle angeht. Rund 15 Euro kostet ein Training in der Gruppe, etwa 60 Euro ein Privatissimum.

Auch die Springerei kann man bei Thomas Trapichler erlernen.
Foto: Guido Gluschitsch

Thomas Trapichler ist auch bei den E-Mountainbike-Kursen fast immer mit seinem Fully – also einem vollgefederten Mountainbike – ohne E-Antrieb unterwegs. Und das will er auch so halten, "solange meine Kraft noch ausreicht, die Trails selbst zu bezwingen". Was ihn an den E-Mountainbikes besonders beeindruckt, ist, wie gut man mit diesen springen kann. "Sie liegen stabiler in der Luft", sagt er und zieht dabei schon erste Parallelen zu Sprüngen mit Motorrädern.

Die Eignung zum Springen hat das E-Mountainbike auch eine neue Sportart erschließen lassen, für die eigene Strecken angelegt werden; die Trails, wie es sie auf der Hohen-Wand-Wiese gibt, oder die Wexel-Trails am Wechsel, um nur die beiden beliebtesten Strecken im Osten des Landes zu nennen. Denn inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Bikeparks in den Bergen. Und während die einen mit dem Mountainbike in den Lift steigen oder mit einem Shuttlebus zum Start hinauffahren, bewältigen E-Mountainbiker den Aufstieg gern selbst über Up-flow-Trails. Sie suchen die körperliche Anstrengung nicht nur beim Downhill und bei atemberaubenden Sprüngen, sondern auch beim Bergauffahren. Dabei wählen die meisten die Unterstützung eher gering, um möglichst viele Auffahrten zu schaffen. Es geht auch mit dem E-Bike ums Auspowern, aber mit höheren Geschwindigkeiten und weiteren Sprüngen.

Operationen nach Stürzen

Stefan König ist Oberarzt an der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie im Donauspital, dem SMZ Ost, und bemerkt, seit der E-Bike-Boom angefangen hat, eine deutliche Zunahme an Patientinnen und Patienten, die wegen Radstürzen kommen. Es sind aber gar nicht die wilden Downhiller mit ihren gewagten Sprüngen, die vermehrt bei ihm unter dem Messer liegen. "Diese tragen meist gute Schutzkleidung mit Protektoren, Cross-Helme und ein Leatt-Brace als Nackenschutz", erzählt er. Sorgen macht ihm eher die Gruppe der Menschen zwischen 40 und 70 Jahren, die mit einem Pedelec unterwegs sind. Fehlende Kondition, mangelndes Beherrschen des Rads und hohe Geschwindigkeiten sind dabei aber nur Folgeerscheinung des eigentlichen Problems. Dieses ist, erklärt Stefan König, "dass die Leute in einem unwegsamen Gelände fahren, in das sie ohne E-Bike gar nicht erst kommen würden – und dass sie nun viel weitere Strecken fahren".

Dr. Stefan König ist Oberarzt im SMZ-Ost und betreibt als Unfallchirurg auch eine private Praxis im dritten Bezirk in der Unteren Weißgerberstraße 10/2.
Foto: Stefan König

Doch damit noch nicht genug des Leichtsinns: "Denn sowohl beim Training, wie auch beim Sicherheitsequipment gibt es noch viel zu verbessern. Die meisten tragen zwar Helme, aber ich rate auch zu Ellenbogenschutz, Hip-Trousers und Handschuhen", sagt der Unfallchirurg, dem die Patienten ja oft erklären, wie es zum Sturz kam, der sie am Ende ins Krankenhaus brachte. Obwohl, "manchmal erzählen die Leute die Krankengeschichte doch ungern, weil die Unfälle so tölpelhaft sind".

Verletzungen mit Folgen

In der Folge haben Verletzungen der großen Gelenke am Skelett zugenommen, also Schulter, Ellenbogen und Hüfte, aber auch Verletzungen am Schädel und der Wirbelsäule häufen sich. "War früher ein Radsturz meist ein Schotterausschlag, haben wir heute oft Verrenkungen oder Sprengungen der Gelenke, operationspflichtige und komplizierte Verrenkungs-, Trümmer- oder Mehrfragmentbrüche und Verletzungen, die man chirurgisch nicht mehr ungeschehen machen kann." Was bedeutet, es bleiben entweder Bewegungseinschränkungen, oder Zweit- und Drittoperationen sind die Folge – inklusive Therapie und Reha.

Thomas Trapichler ist staatlich geprüfter Mountainbike-Instruktor. In seinen Kursen zeigt er Anfängern und Profis den richtigen Umgang mit Mountainbikes und Pedelecs. Das beginnt beim richtigen Auf- und Absteigen und geht bis zum Finden der richtigen Linie im Gelände.
Foto: Guido Gluschitsch

Obwohl sich ohnedies viele Menschen der Gefahren der E-Bikes bewusst sind – aber gleichzeitig meinen, das Rad selber gut zu beherrschen und doch eher die anderen Aufholbedarf hätten –, boomt das Geschäft mit den Pedelcs gerade wie nie zuvor. Ein Grund dafür liegt in der Corona-Pandemie. Viele meiden in der Folge immer noch die öffentlichen Verkehrsmittel und sind lieber individuell unterwegs. Gerade in der Stadt, wo das Auto ein schlechteres Image als auf dem Land hat, die Wege kürzer sind und die Infrastruktur fürs Rad besser ist, steigen inzwischen viele auf Pedelcs um. So viele, dass die Räder derzeit so gut wie ausverkauft sind, sagt Hanno Voglsam von Vertical, einem Fachgeschäft für einspurige E-Mobilität in Wien. Während die Verkäufe bei E-Motorrädern heuer leicht zurückgegangen sind, läuft das Geschäft mit Scootern gut und das mit den Pedelecs noch besser.

Leere Lager

Der Lagerbestand bei Vertical neigt sich dem Ende zu – aber nicht nur dort, sondern auch bei den Herstellern. Wer also kein Fahrrad aus dem Schauraum möchte, muss sich auf mehrere Monate Wartezeit einstellen. Die Räder im Schauraum gehören jedoch fast alle dem höheren Preissegment an, die Mittel- und Einsteigerklasse ist schon seit Wochen ausverkauft.

Hanno Voglsam betreibt mit Vertical ein Fachgeschäft für E-Zweiräder.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

"Im Moment sind die Menschen bereit, für E-Bikes etwas mehr Geld auszugeben", merkt Hanno Voglsam. Für ein gutes, vollgefedertes E-Mountainbike muss man schon mit einer Investition ab 3500 Euro rechnen. Die besten Räder kommen dann auf Preise von über 7000 Euro. Da hat man dann aber nicht nur ein E-Mountainbike mit Tretunterstützung, sondern auch die besten Komponenten verbaut – und die sind es, von der Federung über die Schaltung bis hin zur hydraulischen Sattelstütze, die richtig ins Geld gehen. "Ein richtiges Kraftfahrzeug ist das dann aber schon", sagt Hanno Voglsam.

Eine gute Kondition braucht man aber auch auf einem E-Mountainbike. Mit einem normalen Mountainbike schafft man die Bäckersteigrunde am Leithagebirge in unter zwei Stunden. Mit dem E-Mountainbike geht sich diese Tour in einer Stunde aus. Das ist jetzt keine große Überraschung, denn vor allem auf Steigungen ist man viel schneller unterwegs. Das kann aber auch schon einmal zum Problem werden.

Kalorien brennen auch so

Kurven, die man nicht als heikel abgespeichert hat, werden mit ein paar km/h mehr mitunter zu einer echten Herausforderung. Doch nicht nur diese Passagen treiben den Puls in die Höhe, wie ein Blick auf den Pulsmesser zeigt. Vergleicht man die Werte einer konventionell gefahrenen Runde mit der gleichen Tour auf dem Mountainbike mit Unterstützung vom Elektromotor, dann verbrennt man auf dem E-Bike etwas weniger als die Hälfte der Kalorien. Zumindest wenn man nicht dauernd mit voller Unterstützung unterwegs ist.

Man tut also immer noch etwas Gutes und auch der Gesundheit, so man ohne gröbere Brezen nach Hause kommt. Und selbst wenn man die Unterstützung voll auskostet, ist die Kalorienbilanz der Runde immer noch hervorragend. Denn was hätten wir denn statt der Radtour sonst gemacht? Chips und Bier vor dem Fernseher?

Im Vergleich zu Chips vorm Fernseher gewinnt eine Runde auf dem E-Bike sogar haushoch.
Foto: Guido Gluschitsch

Es spricht also einiges für die E-Mountainbikes. Es bleiben aber noch die Probleme mit Wanderern, die sich schrecken, oder die mit den Jägern. So wie jene mit Waldbesitzern und nicht freigegebenen Forststraßen. Die alle löst die Elektrifizierung der Mountainbikes nicht. (Guido Gluschitsch, 12.7.2020)