Sehr vehement treten die Anhänger für "ihren" Kandidaten ein – hier vom amtierenden Duda.

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Für Polens wahlkämpfenden Präsidenten Andrzej Duda ist die Schlagzeile in "Fakt" ein Super-GAU: "Herr Präsident", fragte das auflagenstarke Boulevardblatt, "wie konnten Sie so jemanden begnadigen?" Dazu in Großaufnahme Duda selbst und in großen Lettern: "Er hielt die Tochter fest, schlug ihr ins Gesicht und fasste ihr in den Schritt." Ein roter Pfeil deutet auf zwei gezeichnete Umrisse: einen Mann, den "Täter", und ein Mädchen, das "Opfer".

Auf den nächsten zwei Seiten erfahren die Leser Details aus der Leidensgeschichte der Tochter und der Lebensgefährtin des Täters. Vier Jahre lang saß der Mann wegen wiederholter Misshandlung und Vergewaltigung im Gefängnis. Jetzt wollen alle wieder zusammenleben. Angeblich habe man sich versöhnt. Der Präsident begnadigt den Täter und hebt dessen Kontaktverbot auf.

Duda geht am Sonntag in die Stichwahl für eine zweite Amtszeit. Hinter ihm steht die nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Einen Skandal löst der "Fakt"-Artikel vor allem deshalb aus, weil die Begnadigung des Pädophilen nicht zu den rigiden Moralvorstellungen passen will, mit denen Duda im Wahlkampf gegen seinen Herausforderer Rafał Trzaskowski Front macht. Während der beliebte Oberbürgermeister Warschaus von der liberalen Bürgerplattform (PO) fröhlich und unbeschwert auf der bunten LGBT-Parade in Warschau mitgeht, giftet Duda in Brzeg: "Man versucht uns einzureden, dass dies Menschen seien. Aber das ist eine Ideologie."

Hetzrede gegen Konkurrenten

Die Generation seiner Eltern habe nicht 40 Jahre lang darum gekämpft, die kommunistische Ideologie aus den Schulen zu werfen, um jetzt mitansehen zu müssen, wie sich eine andere noch schlimmere Ideologie in den Schulen breitmache und diejenigen ausgrenze, die sich ihr nicht unterwerfen wollten.

Als Medien in aller Welt über Dudas Hetzrede berichten, fordert der 48-Jährige soziale und inter nationale Medien auf, keine "Fake-News" mehr zu verbreiten. Auf den Artikel in "Fakt" aber, das dem deutsch-schweizerischen Konzern Ringier Axel Springer gehört, reagiert Duda mit einer solchen Wut, dass es auch den Welt-Korrespondenten in Warschau mit in den Strudel zieht. Aus Wut über die steigenden Umfragewerte des Konkurrenten zieht Duda die antideutsche Karte aus dem Ärmel. Mit diesem Ass konnte seine PiS in der Vergangenheit noch fast jede Wahl gewinnen.

Um davon abzulenken, dass Duda einerseits sexuelle Minderheiten als Nichtmenschen abqualifiziert, andererseits aber einen Pädophilen begnadigt, wird die "Fakt"-Reportage zu einer angeblichen "Einmischung der Deutschen in den polnischen Wahlkampf" aufgebauscht. Es seien die Deutschen, "die uns [Polen] den Präsidenten aussuchen wollen". So habe die Welt geschrieben, dass Trzaskowski der bessere Präsident sei, da er von den Deutschen keine Kriegsreparationen einfordern wolle.

Internationale Verwicklungen

Das ist zwar nicht richtig, aber das kümmert kaum jemanden. Polens Außenministerium schickte nicht nur einen Beschwerdebrief an den Verlag, sondern bestellte auch den Gesandten der deutschen Botschaft ein, der dafür sorgen solle, dass die "manipulative" Berichterstattung" eingestellt werde.

Trzaskowski versucht derweil, möglichst viele Menschen zu erreichen und von seinem sozialpolitischen und EU-freundlichen Programm zu überzeugen. Hilfe bekam er von einem Anrufer beim Privatradio TokFM: "Wenn es in Warschau wie aus Kübeln gießt, ist Trzaskowski schuld; wenn ein Kanalrohr bricht, ist Trzaskowski schuld, wenn ein Busfahrer in Warschau einen Unfall baut, ist Trzaskowski schuld. Nein, nein. Ich wähle die PiS nicht mehr."

Aktuellen Umfragen zufolge liefern sich die beiden Rivalen am Sonntag ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Mit dem Satz "Ich kenne Rafał Trzaskowski gar nicht. Ich glaube, ich habe mich noch nie mit ihm unterhalten", sorgte Duda unlängst für Aufsehen. Eine junge Frau nickt da bloß: "An Trzaskowskis Stelle hätte ich auch keine Lust, mich mit Duda im TV-Studio zu treffen. Da könnte er gleich in die PiS-Parteizentrale gehen und sich dort anspucken lassen. Aber ...", sie hält inne und deutet auf ihre Zwillinge: "... ich werde am Sonntag trotzdem für Duda stimmen. Das ist bares Geld!" Eine andere Frau entgegnet da bloß: "Traurig, dass es mit uns Polen so weit gekommen ist." (Gabriele Lesser aus Warschau, 10.7.2020)