Die sommerliche Tatort-Pause fällt in diesem Jahr Corona-bedingt länger aus als sonst. Die Fußball-EM fiel dem Virus zum Opfer, weshalb eine ungewöhnlich lange Lücke klafft. Für Menschen, die ihren Sonntagsmord gewohnt sind, ist das keine Kleinigkeit.

Dessen waren sich offenbar auch die Leute von ORF und ARD bewusst, weshalb sie eine Liste aus 50 alten Fällen zusammenstellten und das Publikum wöchentlich darüber entscheiden lassen, welche davon während der Sommermonate wiederholt weden sollen. Soweit die an sich hervorragende Idee.

Nur hapert es mit der Umsetzung. Das Angebot ist nämlich derart lückenhaft, dass von den "besten" Fällen der Reihe nicht die Rede sein kann. Missmut unter den Tatort-Schauern macht sich breit, umso mehr als es sogar schon manipulierte Wochensieger gegeben hat, wie die ARD selbst bestätigte. DER STANDARD, stets im Einsatz für das Gute, schlägt vor, das Angebot um einige, wichtige Fälle zu erweitern. Expertinnen der Redaktion sowie die Journalistin (neuerdings ORF-Report) und unumstritten beste Tatort-Kennerin des Landes, Julia Ortner, stellen ihre ultimativen Wunschlisten vor: Tatort-Folgen, die man wiedersehen muss. Appell an ORF und ARD: Handelt!

Die Kommissare Batic (re.) und Leitmayr in jungen Jahren.
Foto: BR

Hass, Spaß und Handwerker

1.Tod auf der Walz (Batic/Leitmayr, 2005) Batic und Leitmayr ermitteln unter tippelnden Handwerksgesellen. Diese wollen nach ihren eigenen Regeln ehrbar leben. Der Hass kommt dazwischen und die Liebe. Klasse besetzte Milieustudie.

2. Satisfaktion (Thiel/Boerne, 2007) Thiel und Boerne klären einen Mord in einer schlagenden Verbindung in Münster auf. Wie lange die Familie des Toten schon in der Verbindung sei, will er wissen. Seit dem Vormärz, lautet die Antwort. Also seit Februar, notiert Thiel. Ein Mordsspaß.

3. Für immer und Dich (Berg/Tobler, 2019) Sehenswert ist hier ein abgewrackter Verlierer (Andreas Lust), der mit einer Minderjährigen auf der Flucht ist. Ekelhaft, peinlich – gleichzeitig faszinierend. (Birgit Baumann)

Klaus Borowski und Sarah Brandt lieferten immer wieder exzellente Arbeit.
Foto: NDR/Christine Schroeder

Lauter grausame Haberer

1. Borowski und das Glück der anderen (Borowski, 2019) Supermarktkassiererin Peggy will mehr vom Glück. Das geht freilich nicht ohne Opfer. Selten wurde Hass zerstörerischer dargestellt wie von Katrin Wichmann.

2. Her mit der Marie (Eisner/Fellner 2018) Die Wiener Ermittler gschafteln im Rotlichtmilieu, die Chef-Strizzis finden das nicht leiwand. Mit viel Lokalkolorit und einem Ende, das selbst den härtesten Haberern Tränen in die Augen treibt.

3. Die Geschichte vom bösen Friederich (Janneke/Brix, 2016) Gegen Nicholas Ofczarek als bösem Psycho war die Vorlage aus dem Struwwelpter ein Waserl. Und weil so ein Killer auch oft recht gescheit ist, wickelt er nicht nur Kommissarin Janneke kunstvoll um den Finger. (Astrid Ebenführer)

Niemand ist im "Tatort" größer als Ulrich Tukur.
Foto: HR/Bettina Müller

Nerds, Schmerz und Bratwurst

1. Der tiefe Schlaf (Batic/Leitmayr, 2012) Die Münchner Schneehasen (haarfarbentechnisch) sollten einen Mord aufklären, mobben aber lieber ihren neuen Assistenten Gisbert Engelhardt (Fabian Hinrichs). Gisbert ist ein tragischer Held – das verstehen die Kommissare zu spät. Finsternis erfasst das sommerliche Bayern.

2. Im Schmerz geboren (Murot, 2014) Niemand im Tatort ist größer als Ulrich Tukur. Hier begegnet Murot Liebe, Freundschaft, Verrat und Tod. Dass am Ende 47 Tote zu zählen sind, ist ein Nebenschauplatz.

3.Die fette Hoppe (Dorn/Lessing, 2013) Christian Ulmen und Nora Tschirner zeigen in Weimar exemplarisch vor, dass es hier weniger um eine Handlung, sondern um gepflegten Dadaismus geht. (Julia Ortner)

Bibi Fellner hat den "Tatort" gerettet und kümmert sich um hilfsbedürftige Kinder. Besser geht nicht.
Foto: ORF

Verstörende Charaktere

1. Der frühe Abschied (Sänger/Dellwo, 2008) Hat die verwahrloste Mutter ihr Kind getötet? Autorin Judith Angerbauer spielt mit unseren Vorurteilen. Lisa Hagmeister vergisst man als Mutter nicht so schnell.

2. Angezählt (Eisner/Fellner, 2013) Es ist schon so: Bibi Fellner hat mit Schmäh und Wahrhaftigkeit den Austro-Tatort gerettet. Oder hätten Sie gedacht, dass eine Österreich-Folge (Buch: Martin Ambrosch, Regie: Sabine Derflinger) jemals den wichtigsten deutschen TV-Preis ergattern würde? Steht zum Voting bereit.

3. Duisburg-Ruhrort (Schimanski, 1981) Als der Tatort noch als furchterregendste Krimireihe des deutschen TV galt, kam Schimmi und sagte "Scheiße". So gut wurde es nie wieder. (Doris Priesching)

Mord und Wortwitz in der Stadt des Dichterfürsten: Die Kommissare Lessing und Dornin Weimar.
Foto: ORF / Andreas Wünschirs

Der Psycho und die Wurstkönigin

1.+2. Der stille Gast (Borowski, 2012) Wenn nur ein Teil der Leute, die diese Folge(Buch: Sascha Arango) sahen, ähnlich auf Lars Eidinger reagiert wie ich, hat er wenig Fankontakte. Im allergruseligsten Tatort ermittelt Borowski (Axel Milberg) gegen Kai Korthals (Eidinger), der sich unbemerkt in den Wohnungen der Opfer aufhält. Schlimm: Am Ende entkommt er. In der Fortsetzung wird er 2015 gefasst.

3. Die fette Hoppe (Dorn, Lessing) Amüsante Premiere des Weimarer Kommissars Lessing (Christian Ulmen) und seiner schwangeren Frau und Kollegin Dorn (Nora Tschirner) 2013. Der Tod einer Fleischerei-Chefin wird in Die fette Hoppe zum Slapstick in der Stadt des Dichterfürsten. Wortwitz, skurrile Verfolgungsjagd und eine verlegte Leiche! (Colette M. Schmidt) (red, 11.7.2020)

Und welcher "Tatort" ist Ihr Favorit? Teilen Sie uns Ihre Lieblingsfolge der kultigen Reihe mit!

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