Der Nutzen der Maske ist unbestreitbar. Ein Ökoargument sollte aber nicht vergessen werden.

Foto: APA

So hatte ich mir die Rückkehr von Belgien nach Österreich in Zeiten des Coronavirus eigentlich nicht vorgestellt. Erst 48 Stunden wieder im Land, mit Freunden in der alten Heimat unterwegs, in der Steiermark und im Burgenland, in Wien und Graz, in Geschäften und Lokalen, hatte ich vor allem einen Gedanken: Nichts wie weg! Ein Fluchtreflex. Heim nach Brüssel!

Szene am Montag in einem großen Supermarkt in Graz. Personal inklusive sind dort gegen Mittag geschätzt 100 Menschen unterwegs. Ich war die ganze Zeit der einzige Kunde mit einem Mund-Nasen-Schutz. Nur kurz vor der Kassa hatte ein Spar-Mitarbeiter, der gerade ein Regal einräumte, eine Maske auf. Abstand zu halten bzw. sich an der Wursttheke hintereinander in einer Reihe anzustellen scheinen auch in Corona-Zeiten Fremdwörter zu sein. Der Österreicher neigt zur körperlichen Clusterbildung. Dass Einkaufswagen und -körbe nicht desinfiziert werden, war an diesem Ort überraschend. Noch erstaunlicher aber dann die Antwort auf die Frage an eine Kassiererin, ob sie Papier zum Desinfizieren habe. "Was wolln S’ denn desinfizieren?"

Sehr ähnlich das Bild am Samstag davor beim gutbesuchten Wochenmarkt in einer steirischen Bezirksstadt: Nicht ein einziger Verkäufer oder Kunde trägt eine Maske. Später auf der Einkaufsstraße kommt einem der eine oder andere Fußgänger mit einem MNS entgegen, der unter das Kinn gerutscht ist: Es war ein warmer Sommertag.

Österreich mag EU-weit als eines der Musterländer bei der Bekämpfung der Pandemie gelten. Die Zahlen sind gut. Aber die Art, wie die meisten Menschen sich – und vor allem andere – seit der Abschaffung der allgemeinen Maskenpflicht im öffentlichen Raum, in Restaurants und Geschäften, nicht schützen, wie nahe sie einem kommen, ist doch erstaunlich. Verunsichernd. Zumindest für jemanden, der aus einem Land kommt, das seit März als eines der Epizentren der Corona-Infektionen in Europa gilt. In Belgien, mit knapp elf Millionen Einwohnern etwas bevölkerungsreicher als Österreich, sind knapp 9.800 Menschen an oder mit dem Coronavirus gestorben, vor allem Alte. Das ging tief bei der Bevölkerung, hat verständlicherweise große Betroffenheit ausgelöst. Hierzulande waren es "nur" knapp 900 Corona-Tote.

Vielleicht sind nicht nur kulturelle oder politische Prägungen mit ein Hauptgrund, warum der Umgang mit Schutzmasken länderweise so verschieden ist – sondern auch die Zahl der Toten. Dementsprechend drastisch waren die Maßnahmen der belgischen Regierung, die die Gefahr am Anfang insbesondere in Alten- und Pflegeheimen unterschätzt hatte. Die jüngsten Lockerungen beim Öffnen von Geschäften und Restaurants geschehen nun eher behutsam, trotz der wirtschaftlichen Probleme.

In Brüssel tragen die meisten Menschen heute nach wie vor Masken, wenn sie zum Beispiel einkaufen gehen. Ein Abstand von mindestens eineinhalb Metern wird in der Regel respektiert. Man ist vorsichtig geworden, egal, was die traditionell schwache Zentralregierung gerade verordnet oder nicht. In Österreich scheint es nach dem Augenschein irgendwie fast umgekehrt zu laufen: Schreibt die Bundesregierung strikte Schutzmaßnahmen vor, werden die eingehalten, und sei es murrend und unter Protest. Lockert die Staatsmacht die Regeln, löst sich die Vorsicht anscheinend in Luft auf. Es riecht danach, dass Verantwortung gerne delegiert wird.

Das kann man gerade in Wien gut beobachten. In Supermärkten: kaum Masken. In den U-Bahnen, wo es Maskenpflicht gibt (und wo Videoüberwachungskameras und Kontrollore drohen): nur wenige, die sich und andere nicht schützen. In den öffentlichen Bussen ist es wieder anders: Dort herrscht an sich Maskenpflicht, sie wird aber deutlich ignoriert.

Wieder zurück aufs Land. Anlass des Trips nach Österreich war ein Maturatreffen. Monatelang hatten wir uns darauf vorbereitet, abgewogen, ob man das Risiko eingehen solle, und schließlich entschieden: Treffen jetzt! Abstandhalten und Frischluft sollten unsere Leitlinien sein. Alles lief gut. Nur das Restaurant, in das wir einkehrten, bot zunächst eine Überraschung: einen geschlossenen Raum, Fenster und Türen waren zu. Man fühlt sich offenbar sehr sicher im Land. Trügerisch. (Thomas Mayer, 11.7.2020)

Dass vom Mund-Nasen-Schutz – jedenfalls weltweit – zu wenig Gebrauch gemacht würde, lässt sich angesichts einer jüngst veröffentlichten Schätzung eher nicht argumentieren: Forscher gehen in einer vom Fachblatt Environmental Science & Technology veröffentlichten Studie davon aus, dass während der Corona-Pandemie pro Monat rund 129.000.000.000 (in Worten: hundertneunundzwanzig Milliarden) Masken allein in der Plastikversion verwendet werden. Dazu kommen monatlich 65 Milliarden Schutzhandschuhe aus Gummi.

Jedem von uns ist wohl bereits störend aufgefallen, dass insbesondere die Masken nicht immer sachgemäß entsorgt werden. Egal, ob auf der Straße, in der Wiese, im See oder am Strand: Überall liegen die hellblauen Virenpräservative herum, die allzu leicht vom Wind davongetragen werden, auch aus Mistkübeln.

Dass auf den Dingern Viren bis zu drei Tage überdauern können, ist nur eines der Übel schlecht entsorgter Masken. Vor allem tragen sie zum gigantischen Plastikmüllberg bei. Und laut der an der Studie beteiligten Wissenschafter haben die plastifizierten Masken, die millionenfach ins Meer gelangen, auch eine geeignete Größe, um Delfinen und sogar Walen den Garaus zu machen.

Diese Fakten sollten nun aber nicht dazu dienen, aus guten Umweltschutzgründen gegen das Tragen Masken zu argumentieren, auch wenn das so manchen Corona-Contrarian vielleicht ganz recht wäre. Es gibt einfach zu viel wissenschaftliche Evidenz, die angesichts der nach wie vor in globalem Maßstab wütenden Pandemie dafür spricht, auch im Sommer die Maske und andere Vorsichtsregeln (also vor allem räumliche Distanz und Händewaschen) nicht auf Urlaub zu schicken – weniger als Selbstschutz als zum Schutz der anderen.

Gewiss, es hängt immer auch von der allgemeinen und der konkreten Risikosituation ab, wie genau man es mit der strikten Einhaltung der Maßnahmen nehmen soll. In Regionen ohne aktive Covid-19-Fälle und in der Natur ist das Tragen der Maske eher nur Fleißaufgabe. Aber schon in Freiluftpartyzonen oder auf Märkten sieht die Sache etwas anders aus. Und in Innenräumen – zumal mit vielen Menschen – ist nach wie vor Vorsicht angesagt.

Epidemiologisch sind die Vorteile durch viele Untersuchungen längst gut abgesichert. So haben Vergleiche von 198 Ländern gezeigt, dass jene mit Maskenpflicht in öffentlichen Räumen signifikant geringere Todesraten hatten. Andere Studien dokumentierten eindeutig, dass die Maskenpflicht auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit senkte.

Ja, es gibt sogar Simulationen, die zum Schluss kamen, dass ein totaler Lockdown weniger effizient bei der Eindämmung des neuen Corona-Virus ist als eine Maskenpflicht, an die sich zumindest 80 Prozent der Menschen halten. Für die USA existiert sogar eine neue Hochrechnung mit ganz konkreten Zahlen: Würden 95 Prozent der US-Amerikaner an öffentlichen Orten einen Mund-Nasen-Schutz tragen, könnten bis zum 1. Oktober 33.000 Covid-19-Tote verhindert werden.

Unter dem Strich spricht also aus epidemiologischer Sicht alles dafür, Masken zumindest überall dort zu tragen, wo das Risiko hoch ist, das Virus an andere Personen weiterzugeben. Zu "normalen" Zeiten werden Masken im Fasching und zu anderen Anlässen auch dazu verwendet, die eigene Identität zu verbergen. In Corona-Zeiten zeigt man mit dem Maskentragen jedoch sein wahres Gesicht. Und wenn man auch noch der nichtmenschlichen Umwelt etwas Gutes tun will, dann verwendet man einfach solche, die aus Stoff sind. (Klaus Taschwer, 11.7.2020)