Die Rede von einer zweiten Welle ist irreführend, weil der historische Vergleich mit der Spanischen Grippe hinkt, findet Reinhard Würzner vom Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Universität Innsbruck im Gastkommentar.

Die "zweite Welle" macht Angst. In Österreich und der Welt. Es ist ein Ausdruck, der vor rund 100 Jahren die Welt prägte, als die Spanische Grippe kursierte und diese nach einem ersten Abflauen im Sommer im Folgewinter noch viel massiver zuschlug. Auch jetzt breitet sich das Coronavirus in Europa im Sommer weniger aus, und sei es nur deswegen, weil weniger Personen sich in engen Räumen aufhalten und seltener durch andere Krankheitserreger beeinträchtigt sind. Ein besserer Immunstatus hilft wie auch, dass die Viren in der wärmeren Luft schneller zu Boden sinken.

Schlechter Vergleich

Droht uns aber spätestens ab Herbst eine "zweite Welle"? Nein, weil der Begriff nicht stimmt und der historische Vergleich schlecht gewählt ist. Obwohl es weder Therapie noch Impfung gibt, sind wir nicht in Passivität gefangen: Im Gegensatz zu jenen, die 1918 von der Spanischen Grippe dahingerafft wurden, kennt die Menschheit diesmal wirksame hygienische Maßnahmen, um auf steigende Fallzahlen reagieren zu können. Wir sind – im Unterschied zu damals – vorbereitet.

Deshalb wäre es besser, nicht von einer "Welle", sondern von "Glutnestern" und "Flächenbrand" zu sprechen. Jeder neue Infektionsfall ist ein Glutnest. Damit das Nest nicht zum Virusflächenbrand wird, muss lokal großzügig getestet, müssen Infizierte eindeutig identifiziert werden, und es muss auch eine Quarantäne bei Kontaktpersonen verhängt werden.

Mit Maske am Markt: Die Zahl der Corona-Erkrankten in Österreich steigt wieder an – regionale Maßnahmen wie in Oberösterreich bleiben wohl Realität.
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Klar ist aber auch: Kommt es tatsächlich zu einem lokalen Ausbruch, sind regionale Lockdown-Maßnahmen sicher nicht auszuschließen. Solche wurden vor kurzem im Landkreis Gütersloh angewendet, wodurch sogar 1.500 Covid-19-Fälle in einer Fleischfabrik nicht zu einem Flächenbrand führten. In Schweden hat sich gezeigt, dass alleine der Appell an den Hausverstand nicht greift. Daher hat nun Oberösterreich zu einer erneuten temporären Maskenpflicht gegriffen, und sei es nur, um die latente Gefahr ständig sichtbar zu halten. Ein genereller "Stillstand", obwohl gerade sehr erfolgreich praktiziert, erscheint wirtschaftlich nämlich nicht wiederholbar.

Neben Kontaktpersonen von Infizierten müssen auch Personen, die in nichtinfizierte Bereiche hereinkommen, wie neue Patienten oder Insassen bei Aufnahme ins Spital, in Justizanstalten oder in Altersheime, konsequent getestet werden.

Blinder Aktionismus

Und was ist mit den Gesunden? Sollten diese nicht getestet werden? Das Beispiel Ischgl, wo 85 Prozent aller Covid-19-Positiven ihre Infektion nicht einmal bemerkt hatten, sollte uns das nicht Warnung sein? Nein. Flächendeckende Tests für alle, die in Österreich leben, wäre eine völlige Übertreibung. Das braucht es nicht. Gesunde Bewohner zu testen wäre genauso, wie einen Wald, in dem es schon mal Glutnester gab, überall großzügig zu wässern. Dies ist nur blinder Aktionismus, leider zum Teil von Medien wie Politik gefordert, aber völlig ineffektiv. Hier wird nur ein Interesse bedient: jenes der Testlabors und ihrer Umsätze.

In Ischgl wurde die Bevölkerung auch nicht auf eine akute Erkrankung, sondern auf Antikörper kontrolliert. Auch hier sollte Klartext gesprochen werden: Solche Tests helfen zwar zur Einschätzung der epidemiologischen Situation, bringen aber für den Einzelfall nicht viel. So können Antikörperträger nicht mal zu 95 Prozent sicher sein, ob sie das Virus nicht doch weitergeben können oder später doch nochmals erkranken – in diesem Fall muss dasselbe "Identifizieren und Begrenzen" ablaufen.

Was haben wir also in den vergangenen Monaten gelernt? Zum Beispiel, dass es gefährlich ist, Ältere zu besuchen, wenn man nicht ganz gesund ist. Vor Schaltern oder Kassen war es schon bisher unhöflich, dem anderen zu nahe zu rücken, und die österreichische Handschlagmentalität wird auch ohne einen solchen bestehen bleiben. Wir müssen nicht allen Personen unbedingt so nahekommen. Ein größerer Abstand reduziert häufig nicht die Lebensqualität, und in öffentlichen Verkehrsmitteln mit Maske zu fahren ist zumutbar.

Mund halten

Und wer den Abstand nicht einhalten kann? Der sollte einfach den Mund halten – im wahrsten Sinne, denn ein geschlossener Mund (was er aber ja nicht immer ist) ist die beste Barriere, effektiver als jede Maske! Im Alltag bleiben wird auch das Leitmotiv: wenig anfassen, Hände öfter waschen. Denn es sind, medizin-historisch betrachtet, besonders zwei Dinge, die uns heutzutage älter werden lassen: die bessere Hygiene und die Impfungen.

Daher kann man noch etwas tun: Sich impfen lassen! Gegen Pneumokokken, die eine schwere Lungenentzündung verursachen können (insbesondere für über 50-Jährige), und tatsächlich alle gegen Influenza. Zwar schützt eine Grippeimpfung nur zwei Dritteln der Geimpften. Nur: Die Influenza tötet in Österreich rund 2000 Personen jedes Jahr. Jetzt möge sich jeder selbst vorstellen, was passiert, wenn Corona und Influenza die Lunge gleichzeitig befallen. Und solange es keine Corona-Impfung gibt, können sich zumindest zwei Drittel vor der gefährlichen Influenza schützen. Das wäre ein sinnvoller Anfang.

Auch wenn Impfstoffe gegen Corona gefunden sind, werden sie kein Allheilmittel sein. Sie müssten relativ nebenwirkungsfrei sein und, um nach einmaliger Gabe wirklich einen Effekt zu haben, mindestens neun von zehn Geimpften schützen. Eine Konstellation, die derzeit nur eines ist: Wunschdenken. (Reinhard Würzner, 11.7.2020)