Schicht im Schacht schon am Donnerstagabend? Die SPÖ preist die Viertagewoche als Mittel gegen Massenarbeitslosigkeit an – doch der Aufschrei von Wirtschaftsvertretern folgte sofort.

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Bei der Latschenölbrennerei Unterweger bricht das Wochenende am Donnerstag um 17 Uhr an. Vor drei Jahren hat das Unternehmen, das im Osttiroler Dorf Assling Biokosmetik herstellt, auf eine Viertagewoche umgestellt. Die Gehälter blieben trotz der von 38,5 auf knapp 35 Wochenstunden verkürzten Arbeitszeit gleich, nur im ersten Jahr fiel die übliche Lohnerhöhung flach. Dass er den knapp 60 Mitarbeitern damit pro Stunde mehr zahlt, versteht Geschäftsführer Michael Unterweger als Investition in die Zukunft. Weil Freizeit immer wichtiger werde, sagt er, sei es mit diesem Zuckerl leichter, gute Leut’ zu finden.

Was einzelne Firmen vorexerzieren, will die SPÖ zur Regel machen. Die Oppositionspartei propagiert eine Viertagewoche als Mittel gegen Massenarbeitslosigkeit. Um die Beschäftigten trotz Auftragsflaute im Job zu halten, sei eine Arbeitszeitverkürzung Gebot der Stunde: Die Arbeitnehmer sollen um 20 Prozent weniger arbeiten und dafür auf fünf Prozent des Nettogehalts verzichten, was brutto ein Drittel der Kosten ausgleicht. Das zweite Drittel steuert der Staat via AMS-Förderung bei, das dritte sollen die Arbeitgeber selbst stemmen.

Sollen wir Arbeit umverteilen – und kann die Vier-Tage-Woche dabei helfen, die Corona-Krise zu meistern? Darüber stritten bei "STANDARD mitreden" SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck sowie die Medizinerin und Therapeutin Irene Kloimüller. Viele der Fragen kamen von Userinnen und Usern.
DER STANDARD

Ein Win-win-win-Modell, das Arbeitgeber und -nehmer einvernehmlich wählen könnten, preist die SPÖ an – und hat dennoch einen Aufschrei von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung provoziert. Wieso der harsche Reflex? Vordergründig verkaufen die Sozialdemokraten die Viertagewoche als billigere, auf drei Jahre angelegte Alternative zur Kurzarbeit, doch Unternehmervertreter wittern ein radikaleres Ziel im Hintergrund: eine gesetzlich verfügte, permanente Arbeitszeitverkürzung für alle.

Lust auf mehr Freizeit

Wer sich im Kreis der Erfinder umhört, stößt gar nicht auf Widerspruch. Ja, der Vorstoß sei durchaus als erster Schritt zur generellen Verkürzung gedacht – die Leute könnten so auf den Geschmack gebracht werden, wie "leiwand" mehr Freizeit sei. Abgesehen vom entspannteren und gesünderen Berufsleben versprechen die Befürworter auch mehr Gleichberechtigung: Sind die meist Vollzeit arbeitenden Männer länger daheim, könnten die oft auf Teilzeit fixierten Frauen ihre Stunden hinaufschrauben. Und dann ist da noch die Hoffnung, dass sich die vorhandene Arbeit auf mehr Köpfe verteilt. 100.000 Beschäftigte zusätzlich verheißt die SPÖ, sollte eine Million Menschen die Viertagewoche wählen.

Der Einwand von Wirtschaftsvertretern läuft auf ein zentrales Argument hinaus: Kürzere Arbeitszeit bei (fast) gleichem Lohn verteuere die Personalkosten der Unternehmen, untergrabe die Wettbewerbsfähigkeit – und führe deshalb zu Kündigungen.

Gefahr der Überlastung

Allerdings gibt es Möglichkeiten, die Kosten abzufedern. Der Staat kann die Betriebe fördern, die Gewerkschaft bei den Lohnforderungen der nächsten Jahre zum Ausgleich auf die Bremse steigen. Außerdem können die Firmen damit rechnen, dass kürzer eingesetzte Mitarbeiter produktiver sind – wobei dies aber nicht Ziel sein sollte, wie Jörg Flecker, Soziologe an der Uni Wien und Anhänger der Idee, sagt: Leisten die Arbeitnehmer pro Stunde noch mehr, drohe diesen erst recht wieder Überlastung. Das Anliegen, die Arbeit auf mehr Personen zu verteilen, werde hintertrieben.

Wenn die Zeit am Schreibtisch früher abläuft: Gegner der Arbeitszeitverkürzung prophezeien den Ruin von Unternehmen.
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Dass die Verkürzung mehr Stress bringe, weil die Leute die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit zu schultern hätten, hat sich bei einer Probe aufs Exempel in Bad Leonfelden nicht bewahrheitet. Die dort ansässige Onlinemarketing-Firma E-Magnetix hat die Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden gedämpft, und zwar – roter Wunschtraum – bei vollem Lohnausgleich. Bei einer Evaluierung im Vorjahr hätten 63 Prozent der Belegschaft eine gesunkene und 33 Prozent eine konstante Belastung angegeben, erzählt Geschäftsführer Klaus Hochreiter. 80 Prozent fühlten sich gesünder. Ob neue Jobs entstanden sind, beantwortet er mit "Jein": E-Magnetix sei so stark gewachsen, da ließen sich die einzelnen Ursachen nicht genau eingrenzen.

Köder für kluge Köpfe

Wie sich das Unternehmen die Verkürzung leisten konnte? Ein Digitalisierungsschub und besseres Zeitmanagement hätten einen Teil der Kosten eingespielt, sagt Hochreiter, vor allem aber sehe er den Benefit als Investment in einen Wettbewerbsvorteil. Die 30-Stunden-Woche sei der beste Köder für junge, qualifizierte Köpfe: "Denen ist längst nicht nur mehr Geld wichtig, die wollen Zeit für Familie und Selbstverwirklichung." Die Zahl der Bewerbungen um Jobs in der Firma habe sich verzehnfacht, berichtet der Geschäftsführer, warnt aber vor Verallgemeinerung: Was in der Kreativwirtschaft klappe, müsse nicht in jeder Firma Heil bringen.

Weil Bedürfnisse und Bedingungen so verschieden sind, sollten Arbeitszeitverkürzungen in den Branchen oder Betrieben ausgehandelt werden, empfiehlt Christoph Badelt: "So etwas zentral zu verordnen bringt nichts Gutes." Dass dabei neue Arbeitsplätze entstehen, sei ebenso wenig ein Naturgesetz, sagt der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) und hält die Rechnung der SPÖ für zu simpel. Das Qualifizierungsproblem lasse sich nicht ignorieren: Wenn ein Unternehmen rasch neue Kräfte braucht, sei es nicht ausgemacht, dass es geeignete unter den Arbeitslosen findet.

Die einfache Welt der SPÖ

"Wenn die Welt so einfach wäre, wie sich die SPÖ diese vorstellt!", verweist Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien auf das gleiche Problem: Die Zusammensetzung des Pools an Arbeitslosen decke sich nun einmal nicht eins zu eins mit jener der verfügbaren Posten. Ebenso wie Badelt erkennt er in den Plänen überdies einen Widerspruch. Das SPÖ-Papier prophezeit, die dank Viertagewoche gestiegene Produktivität werde die Kosten für die Unternehmen kompensieren. Der Einwand: Wenn, wie derzeit, Aufträge fehlen, könnten Firmen von so einem Effekt gar nicht profitieren.

Für falsch hält Wifo-Chef Badelt vor allem aber den Zeitpunkt: "Ich verstehe ja, dass die SPÖ Flagge zeigen will", sagt er: "Doch in einer Situation, wo der Staat Unternehmen zu retten versucht, diesen noch Kosten aufzubürden, ist nicht konstruktiv." (Gerald John, 12.7.2020)