Wien könnte sich mit einem Best-Practice-Beispiel hervortun, so Eduard Freudmann, Künstler und Lehrender an der Akademie der bildenden Künste Wien, im Gastkommentar.

Bild nicht mehr verfügbar.

Wiens Bürgermeister Karl Lueger machte mit Antisemitismus Politik. Das Denkmal am Stubenring ist daher umstritten.
Foto: Picturedesk / Willfried Gredler-Oxenbauer

Denkmäler und Straßennamen bilden gesellschaftliche Haltung ab. Ein Stück öffentlichen Raums einer Person zu widmen ist Ausdruck von Respekt, Hochachtung, Verehrung. Meist ist die geschichtspolitische Widmung in Form von Denkmal oder Straßennamen nicht nur als Respekterweisung gegenüber jener Person gemeint, sondern auch gegenüber Ideen, Worten oder Taten, für die sie steht. Der öffentliche Raum gehört uns allen, die wir hier leben. Als Eigentümerinnen und Eigentümer ist es unsere Aufgabe, in ihn eingeschriebene Widmungen kritisch zu prüfen. Das Hinterfragen von Geschichtsbildern, die sich in Denkmälern oder Straßennamen manifestieren, ist Ausdruck einer selbstbewussten demokratischen Gesellschaft. Wir können es uns leisten, diese Debatten mit intellektueller Redlichkeit zu führen und ihre Ergebnisse im öffentlichen Raum abzubilden.

Dass es Denkmäler gibt, die unseren gesellschaftlichen Werten widersprechen, steht außer Frage. Zu verhandeln ist, welche Denkmäler das konkret sind und wie mit ihnen zu verfahren ist. Voraussetzung dafür ist es, die stets in der Debatte um Umwidmungen bemühte Rede von der Auslöschung der Geschichte als das zu benennen, was sie ist: Scheinargument einer kulturpessimistischen Bewahrungsfraktion. Wurde mit den 1945 erfolgten Umbenennungen der zahlreichen Adolf-Hitler-Plätze Geschichte ausgelöscht? Wird Columbus aus der Weltgeschichte verschwinden, wenn der Platz in Wien-Favoriten einst anders heißt? Unser Blick auf Geschichte verändert sich, und damit verändern sich auch die Bilder, die wir uns von Geschichte machen.

Räumliche Manifestationen

Sieben Jahre ist es her, dass die von der Stadt Wien eingesetzte historische Kommission zur Erforschung von Straßennamen ihren Abschlussbericht veröffentlicht hat. Darin wurden 159 Namen von Verkehrsflächen als problematisch eingestuft. Wie viele davon umbenannt wurden? Zwei. Wie kommt man als antirassistischer Bürger dieser Stadt dazu, mit seiner Postanschrift einen Nazi zu ehren? Zusatztafeln zur Erläuterung von Straßenschildern, wie sie nun mancherorts angebracht wurden, sind eine gute Idee. Da die Tafeln aber auf Stadtplänen, Onlinekarten und Postsendungen unsichtbar und also wirkungslos bleiben, sollte das Prinzip umgekehrt werden und die Tafeln erst nach erfolgter Umbenennung angebracht werden, um Auskunft über die Benennungsgeschichte der Straße zu geben.

Anders als Straßennamen sind Denkmäler räumliche Manifestationen, deren Wirkung über die bloße Widmung des öffentlichen Raums hinausgeht. Sie werden von Künstlerinnen und Künstlern gestaltet, um gesellschaftlicher Haltung ästhetisch Ausdruck zu verleihen. Daher muss bei Debatten um problematische Denkmäler immer deren ästhetische Wirkmächtigkeit beachtet werden – unabhängig davon, ob die jeweilige Gestaltung als künstlerisch gelungen erscheint oder nicht.

Gegen jede Vernunft

Erklärende Zusatztafeln sind auch hier unzureichend: Neben der dominanten Ästhetik der Denkmäler verkommen sie zu unscheinbaren Zusatztaferln, räumlichen Fußnoten in der gesellschaftlichen Aushandlung von Geschichtsbildern. Beschränken wir uns auf die bloße Setzung solcher Zusatztafeln, vertun wir eine Chance, denn problematische Denkmäler bergen das Potenzial, Orte der Auseinandersetzung mit Geschichte zu sein – wenn wir uns trauen, sie zu solchen zu machen.

Problematische Denkmäler können nicht nur entfernt, sie können auch umgestaltet werden. Das macht die Angelegenheit komplex – und spannend. Hierzulande ist die politische Schwelle zur künstlerischen und inhaltlichen Veränderung von Denkmälern behördlicherseits sehr hoch angesetzt. Umgestaltungen, wie jene des deutschnationalen Siegfriedskopfs an der Universität Wien oder des Denkmals für den Nazi-Dichter Josef Weinheber am Wiener Schillerplatz, sind Ergebnis jahrelangen Engagements und intensiver Auseinandersetzungen mit Behörden und Politik, die oft den Eindruck erwecken, als hätten sie sich die Bewahrung des Bestehenden zur Aufgabe gemacht – gegen jegliche politisch, wissenschaftlich und künstlerisch argumentierte Vernunft.

Rabiater Antisemitismus

So auch beim Denkmal für Karl Lueger, einem der prominentesten und größten Personendenkmäler Wiens, dessen Umgestaltung seit langem gefordert wird. Behörden und Politik sperren sich bislang dagegen – obwohl inzwischen unbestritten ist, dass Luegers rabiater Antisemitismus, den Hitler sich zum Vorbild nahm, eine grobe Verletzung unserer gesellschaftlichen Werte darstellt. Der ihm gewidmete Abschnitt der Ringstraße wurde 2013 in Universitätsring umbenannt. Lueger ist mittlerweile auch so manchen Konservativen peinlich, verteidigt wird sein Denkmal bezeichnenderweise gegenwärtig von neofaschistischen Gruppierungen.

Die Jüdischen österreichischen HochschülerInnen und die Sozialistische Jugend fordern per Petition die Entfernung der Statue. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, die Statue sollte ins Museum – oder in einen Skulpturenpark. Der verbleibende Rest des Denkmals, etwa der mit vermeintlichen Errungenschaften Luegers bebilderte Sockel, bietet sich dazu an, zur künstlerischen Umgestaltung und Kontextualisierung ausgeschrieben zu werden. Dabei sollte auf ein disziplinenübergreifendes Konzept aus Wissenschaft, Kunst und Vermittlung abgezielt werden. Durch ein solches Best-Practice-Beispiel könnte Wien auch international zeigen, dass man sich als fortschrittliche Stadt einen ernsthaften und zeitgemäßen Umgang mit problematischen Denkmälern zutrauen kann. Bürgermeister Michael Ludwig, Vizebürgermeisterin Birgit Hebein, der Ball liegt bei Ihnen, schon längst, nehmen Sie ihn auf? (Eduard Freudmann, 12.7.2020)