Satellitenaufnahmen vor und nach der Explosion in der Urananreicherungsanlage in Natanz ...

Foto: EPA / MAXAR TECHNOLOGIES HANDOUT

... Die Schäden an der Fertigungshalle für Zentrifugenteile sind deutlich zu sehen.

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Wenn ein Hang ins Rutschen kommt, zeigen sich zuerst feine Risse im Erdreich, dann werden sie tiefer und breiter: Bald wird die Mure alles mit sich reißen. Dieser Moment scheint für den Atomdeal mit dem Iran, den Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), gekommen. 2015 wurde er nicht zuletzt als Meisterwerk europäischer Diplomatie gefeiert: Dem neuen Format E3/EU – Großbritannien, Frankreich, Deutschland und EU-Außenpolitikchef – schien eine Zukunft auch bei der Bewältigung anderer Sicherheitskrisen bevorzustehen.

Für Wien – Sitz der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) – fiel als Verhandlungsort ebenfalls Ruhm ab. US-Außenminister John Kerry wurde zum häufigen Gast. Denn ohne die USA, die erst 2013 im Oman Geheimgespräche mit dem Iran aufgenommen hatten, ging es natürlich nicht. Und das gilt noch heute: Der Ausstieg der USA aus dem JCPOA im Mai 2018 war der erste Riss. Und gute zwei Jahre später ist der Hang so richtig im Rutschen.

Frage: Warum haben die USA den Atomdeal verlassen?

Antwort: US-Präsident Donald Trump hat das bereits während des Wahlkampfs 2016 angekündigt. Die Kritikpunkte am Deal: Der Iran musste sein Urananreicherungsprogramm zwar stark reduzieren, aber nur auf Zeit. Der dauerhafte Wegfall der Sanktionen hätte dem Iran Geld gebracht, das er für seine aggressive Regionalpolitik (Syrien, Irak, Jemen, Libanon) einsetzen kann. Diese wurde im Deal nicht thematisiert, ebenso wenig wie das ehrgeizige iranische Raketenprogramm.

Frage: Was war/ist dann überhaupt gut an dem Atomdeal?

Antwort: 2015 hatte der Iran so viel angereichertes Uran hergestellt, dass er sich einer gefährlichen Schwelle näherte: bald genug Material beisammenzuhaben, dass es (nach weiterer Anreicherung) für den Bau einer Atombombe dienen könnte. Diese Akutsituation wurde durch den JCPOA auf Jahre hin aus entschärft, das iranische Urananreicherungsprogramm zusammengestutzt und strengsten Kontrollen unterworfen. Und wenn der JCPOA jetzt zusammenbricht, besteht die Gefahr, dass der Iran zum alten Programm zurückkehrt. Denn es gibt keine Anzeichen dafür, dass der Iran zu einem "neuen Deal", wie ihn Donald Trump gern hätte, bereit ist.

Frage: Warum kann der JCPOA nicht einfach ohne die USA weiterlaufen?

Antwort: Der Ausstieg der USA hat für den Iran mehrere Folgen: erstens den völligen Wegfall aller möglichen Geschäfte mit den USA. Das ist aber nicht alles: Die USA haben nicht nur die beim Abschluss des JCPOA aufgehobenen Sanktionen gegen den Iran wieder verhängt, sie bestrafen auch alle Unternehmen und Länder, die mit dem Iran Geschäfte machen, etwa Erdöl kaufen. Das wollen und können die meisten nicht riskieren, ihr US-Business ist ihnen wichtiger als das mit dem Iran.

Frage: Wie haben die verbliebenen Abkommenspartner des Iran – E3/EU, Russland und China – reagiert?

Antwort: Außer Kritik an den USA und Beteuerungen, den JCPOA beibehalten zu wollen, konnten sie nicht viel tun. Die E3/EU haben eine Tauschhandels-Zweckgesellschaft – Instex (Instrument in Support of Trade Exchanges) – geschaffen, die Geschäfte mit dem Iran ermöglichen sollte. Es fanden Transaktionen statt, wirklich in Schwung kam Instex nie.

Frage: Wie hat der Iran reagiert?

Antwort: Der Iran hat unilateral ab Mai 2019 begonnen, einige Regeln des JCPOA zu brechen, z.B. geringfügig höher und mehr Uran anzureichern. Die Verstöße sind in der Substanz bisher nicht sehr schwerwiegend, aber sie werden ernster, etwa die Arbeit mit effizienteren Zentrifugen und in einer Anlage (Fordo), in der laut JCPOA nicht angereichert werden sollte. Das führt wiederum zu Spannungen mit den E3/EU.

Frage: Ist der JCPOA noch zu retten?

Antwort: In den letzten Wochen überschlagen sich die Ereignisse, und das an mehreren Fronten: im Iran selbst, in den USA, in der IAEA, im Uno-Sicherheitsrat.

Frage: Der Reihe nach: Was geschieht gerade im Iran?

Antwort: Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal, die Corona-Krise verheerend. Seit Ende Juni gibt es dazu eine seltsame Reihe von Explosionen in Kraftwerken, Fabriken u.Ä. – die jüngste, heute, Sonntag, in einem Petrochemie-Komplex im Südwestiran. Auch die Urananreicherungsanlage in Natanz ist betroffen. Dort wurde eine Halle, in der Zentrifugenteile produziert werden, zerstört, was ganz offenbar kein "Unfall" war. Viele Beobachter gehen von Sabotage aus, Israel und die USA werden verdächtigt.

Frage: Aber der JCPOA läuft weiter?

Antwort: Ende Mai haben die USA für Ende Juli das Ende der "Waiver" (Ausnahmen von den Sanktionen) für die Umsetzung des JCPOA verkündet. Das heißt, wenn z. B. die chinesische Firma CNNC den Schwerwasserreaktor in Arak umbaut – wie es der JCPOA, der vom Uno-Sicherheitsrat bekräftigt wurde, vorsieht –, riskiert sie US-Sanktionen. Eigentlich wird damit die Erfüllung des JCPOA unmöglich.

Frage: Die Probleme mit der IAEA?

Antwort: Die IAEA will mit Inspektionen im Iran Hinweisen nachgehen, dass der Iran nicht die volle Wahrheit über seine Atomwaffenforschungen vor 2003 gesagt hat. Der Iran verweigert jedoch die Inspektionen. Deshalb hat der IAEA-Gouverneursrat im Juni eine kritische Iran-Resolution verabschiedet. Die IAEA kann den Fall auch an den Sicherheitsrat überweisen.

Frage: Und im Uno-Sicherheitsrat?

Antwort: Dort versuchen die USA zu erreichen, dass Mitte Oktober nicht – wie im JCPOA vorgesehen – das Waffenembargo gegen den Iran fällt. Die USA sind einstweilen bei den anderen Mitgliedern abgeblitzt, die E3/EU zeigen aber Verständnis für den US-Wunsch. Der Iran hat deshalb den "Disputlösungsmechanismus" innerhalb des JCPOA ausgelöst – den jedoch eigentlich schon die EU/E3 zu Jahres beginn gegen den Iran auslösten, aber dann "anhielten". Das ist auch ein prozedurales Chaos. Gleichzeitig drohen die USA, über den Sicherheitsrat alle Sanktionen gegen den Iran wieder zurückzubringen, indem sie sich des sogenannten Snapback-Mechanismus innerhalb des JCPOA bedienen: und das, obwohl die USA ja gar nicht mehr Teil des JCPOA sind. Mit einem Wort: Alles spitzt sich zu. (Gudrun Harrer, 12.7.2020)