Der Universitätsassistent und Postdoc am Institut für Islamisch-Theologische Studien, Hüseyin I. Çiçek, sieht im Gastkommentar in der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee einen Angriff auf die Religionsfreiheit und den interreligiösen Dialog.

Die einstige Hauptkirche des früheren Konstantinopels verliert den Status eines Museums.
Foto: EPA / Sedat Suna

Es als einziger Nato-Mitgliedsstaat auf die "special watch list" der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit (USCIRF) zu schaffen ist kein besonderer Anlass für Jubel. Vielmehr ist es ein klarer Ausdruck dafür, dass die religiös-populistische Politik mit islamistischer Färbung des türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan keine Lösungen für die gegenwärtigen Herausforderungen der Türkei mehr bieten kann. Die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwandeln bedeutet nicht nur einen Angriff auf die Religionsfreiheit in der Türkei, deren Etablierung sich nie besonders einfach gestaltete, sondern auch auf den interreligiösen Dialog.

Das ambitionierte politische Unternehmen der AKP, dass ihre islamisch-konservative Politikstrategie, ähnlich wie die christlichen Volksparteien in Europa, die gesamte türkische Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen durchdringen und verbessern würde, konnte nicht fruchten. Religionspolitische Neutralität oder Religionsfreiheit werden nur so lange gewährt, wie die religiösen Minderheiten keine besonderen Forderungen erheben. Einer der großen religiösen Minderheiten in der Türkei, den Aleviten, wird bis heute eine offizielle Anerkennung verweigert. Stattdessen versucht die Religionsbehörde Diyanet mit dem Staat durch gutdotierte Projekte die religiöse und kulturelle Eigenständigkeit der Aleviten in ihrem sunnitischen Glaubensuniversum aufgehen zu lassen. Die gegenwärtige religionspolitische Initiative im Kontext der Hagia Sophia soll offensichtlich die islamische Vormachtstellung innerhalb der Türkei untermauern, die jedoch ohnehin von niemandem infrage gestellt wird.

Polarisiertes Land

Parallel dazu werden die autoritären Tendenzen in der Innenpolitik immer stärker. Bereits vor dem "gescheiterten Putsch" sind Oppositionelle, Journalisten oder Intellektuelle systematisch verhaftet oder ins politische Abseits gedrängt worden. Die steigende soziale Ungerechtigkeit, die von der türkischen Wirtschaft nicht kompensiert werden kann, führt zu weiterer Polarisierung.

Der AKP bleibt einmal mehr nur die Flucht in inhaltsleere Symbolpolitik und altbekannte politische Dichotomien. 1934 wurde das Istanbuler Weltkulturerbe von Mustafa Kemal Atatürk in ein Museum verwandelt. Ausschlaggebend waren nicht antiislamische Ambitionen des türkischen Staatsgründers. Er und seine Mitstreiter ließen mit der Gründung der türkischen Religionsbehörde wenig Zweifel daran aufkommen, dass die religiöse Erziehung neben der ideologisch-nationalistischen ein wichtiges politisches Fundament im Nationalstaat darstellen wird. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Transformation der Hagia Sophia unter Atatürk war und ist einer wichtigen geopolitischen und religionspolitischen Herausforderung geschuldet. Damit signalisierte die Führung des neugegründeten türkischen Staates, dass die im Zuge des Ersten Weltkriegs aufgerissenen konfessionellen Gräben keine Kontinuität in der Türkei haben sollten. Damit sollten auch die politischen und religiösen Spannungen mit Griechenland und anderen christlichen Nationen abgebaut werden.

Bis heute haben sich die Anhänger eines politischen Islam, genauso wenig wie die Anhänger eines politischen Katholizismus, nicht damit abfinden können, dass sie im Zuge einer fluiden Moderne ihre Macht innerhalb ihrer jeweiligen Gesellschaften verloren haben. Seit den 1950er-Jahren träumen islamistische Parteien und Bewegungen in der Türkei davon, ihre "glorreiche" Vergangenheit innerhalb der türkischen Grenzen – und wenn möglich auch darüber hinaus – zu revitalisieren.

Herrschaft in Serie

Private türkische Fernsehsender erfinden fast stündlich Fantasieserien, die die perfekte islamische Herrschaftszeit seit dem Propheten bis in die Moderne mit glamourösen Bildern darstellen. Präsident Erdoğan und die AKP wollten 2013 mit der Erbauung der Çamlıca-Moschee in Istanbul genau diese Großraumfantasien bedienen. Ein Vorhaben, das von wenig Erfolg gekrönt war. Auch die Bemühungen um eine Umwandlung der ehemaligen Kirche des Heiligen Erlösers in Chora in eine Moschee, seit 1945 ein Museum, brachten der AKP nur bedingt die erwünschte Popularität, die sie notwendig hat.

Die von der AKP vorgenommene Polarisierung der türkischen Gesellschaft mit einer religiös-populistisch gefärbten Symbolpolitik wird möglicherweise zu einer Einschränkung der Religionsfreiheit in der Türkei führen und zur Gefährdung des interreligiösen Dialogs. Die Hagia Sophia war bis heute ein Symbol für die Koexistenz der abrahamitischen Religionen. Ihre Transformation ruft in einer gerade von Kriegen und Bürgerkriegen geplagten Region schmerzhafte Erinnerungen an Genozide, Massengewalt, Zwangskonversionen sowie Beschneidung von Minderheitenrechten zusätzlich hervor und lässt eine friedliche Koexistenz und einen interreligiösen Dialog in weite Ferne rücken. (Hüseyin I. Çiçek, 13.7.2020)