Seit Tagen gehen unzählige Menschen in der bulgarischen Hauptstadt Sofia auf die Straße.

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Nach mehrtägigen Protesten von Tausenden Bürgern in Sofia, forderte der bulgarische Präsident Rumen Radev am Samstag den Rücktritt der Regierung unter dem konservativen Premier Bojko Borrisov. "Gewalt und Manipulation können das Vertrauen in beide Institutionen nicht wiederherstellen", sagte Radev, der der sozialdemokratischen Opposition nahesteht und einen innenpolitischen Konflikt mit der Regierung austrägt. Vizepremier Tomislav Donchev sagte daraufhin, dass Präsident Radev offensichtlich "alle Macht im Staat" wolle.

Die Proteste der Bürger richten sich vor allem gegen den Einfluss der Politik auf die Justiz und werden von einer Bürgerinitiative für Justizreformen organisiert, die sich "Gerechtigkeit für alle" nennt. Nicht alle Demonstranten sind aber dem Lager von Radev zuzuordnen.

Gegen Generalstaatsanwalt

Radev verlangte auch den Rücktritt von Generalstaatsanwalt Ivan Geshev, der von vielen Demonstranten als verlängerter Arm von Premier Borrisov gesehen wird. Geshev wies die Rücktrittsaufforderung vehement zurück und kritisierte den Staatschef dafür, die Unabhängigkeit der Justiz zu verletzen und die Staatsanwaltschaft stark unter Druck zu setzen. "Mit dieser Aktion hat Radev gegen die bulgarische Verfassung verstoßen, die die Gewaltenteilung regelt", so Geshev. "Wir, die Staatsanwälte, bleiben auf der Seite des Volkes", fügte er hinzu.

Das Video der Vertreibung war der Auslöser der Demonstrationen.
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Auslöser der Proteste war ein Video vom 8. Juli, das den oppositionellen Politiker Hristo Ivanov zeigt, als er von einem öffentlichen Strand an der bulgarischen Schwarzmeerküste in der Nähe von Burgas von privaten Sicherheitsleuten vertrieben wurde. Dieser Strand befindet sich neben der Luxusvilla des Ehrenvorsitzenden der Bewegung für Rechte und Freiheiten (MRF), des Politikers Ahmed Dogan, der offensichtlich die Nutzung des Strandes durch Bürger verhindern will. Nach der Veröffentlichung des Videos versuchten hunderte Bürger zu dem Strand zu gelangen. Doch obwohl es sich um öffentliches Eigentum handelt, riegelte die Polizei das Gebiet ab. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Durchsuchung bei Radev

Ivanov, ein Jurist und langjähriger Politiker, der selbst Teil eines früheren Kabinetts von Borrisov war, gründete im Jahr 2017 die Partei "Ja Bulgarien", die sich gegen Korruption einsetzt. Der Unternehmer und Politiker Dogan, dem die Luxusvilla am Strand gehört, steht wiederum Borrisov nahe. Nach den Vorfällen an der Schwarzmeerküste sagte Präsident Radev vergangenen Donnerstag, dass es keinen Grund dafür gäbe, dass die Polizei das Gebiet rund um die Villa von Dogan bewachen solle.

Am nächsten Tag wurde dann das Büro des Staatspräsidenten Radev von der Staatsanwaltschaft untersucht. Ein Sekretär und ein Berater des Staatschefs wurden dabei festgenommen. Beobachter denken, dass dies damit zu tun hat, dass Radev Dogan kritisch gegenüber steht.

Generalstaatsanwalt Geshev wies diesen Vorwurf jedoch zurück und behauptete, der Präsident sei "verwirrt". Die Staatsanwaltschaft koordiniere ihr Vorgehen nicht mit der Politik, so Geshev. Radev hat wiederholt Änderungen der Verfassung gefordert, damit die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft gewährleistet werden kann. Zuletzt kam es 2013 und 2014 zu einer massiven Protestwelle in Bulgarien. (Adelheid Wölfl, 12.7.2020)