Zwischen den zwei Präsidenten Erdoğan und Macron kriselt es.

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Der Ton ist rau, die Wortwahl hart: Die Türkei trage im libyschen Konflikt "eine historische und kriminelle Verantwortung", sagte Emmanuel Macron, als er für Montag eine Aussprache der EU-Außenminister verlangte – und Sanktionen gegen Ankara. Auslöser war ein militärischer Zwischenfall im Mittelmeer: Ein türkisches Kriegsschiff hatte nach Pariser Darstellung seinen Feuerleitradar auf eine französische Fregatte gerichtet, die im Rahmen der Nato-Marineüberwachung "Sea Guardian" das Waffenembargo vor der libyschen Küste kontrollieren wollte – unter anderem gegen das Nato-Mitglied Türkei.

Paris hatte nach dem Vorfall auch das westliche Bündnis angerufen. Ankara sperrte sich aber erfolgreich dagegen, sodass es bei einer Untersuchung des Vorfalls ohne schlüssiges Resultat blieb. Paris zog sich darauf aus "Sea Guardian" zurück. In der EU hat Frankreich – als einzige verbliebene Nuklearmacht, mit der stärksten Armee der Union – mehr Gewicht. Deutschland und andere Europäer sind aber nicht scharf auf neue Strafaktionen gegen die Türkei, die mit der Flüchtlingsfrage ein probates Druckmittel wahrt.

Libyscher Machtkampf

Dass Paris und Ankara aneinandergeraten, hat seinen Grund im libyschen Machtkampf. Frankreich unterstützt unausgesprochen den Rebellen Khalifa Haftar. Der mächtige Milizenchef hat gegen seinen Widersacher, den international anerkannten Premier Fayez al-Sarraj, eher überraschend eine Niederlage erlitten.

Ankara stützte al-Sarraj mit 7.000 Söldnern, die von teilweise getarnten türkischen Frachtern herbeigeschafft worden waren. Macron nennt sie "jihadistische Kämpfer aus Syrien". Sein Geheimdienst ortet darunter viele Muslimbrüder. Das behaupten auch die Ägypter, Emiratis und die Russen, die wie die Franzosen hinter Haftar stehen.

Frankreich steht hinter Warlord

Wie kommt es, dass Frankreich fast als einziges westliches Land – und dann noch in russischer Gesellschaft – auf der Seite eines libyschen Warlords steht? "Es gibt in der Diplomatie Affären, die sich schlecht anlassen und später nicht mehr korrigierbar sind", schätzt der Pariser Politologe Dominique Moïsi. Vielleicht begann alles, als Frankreichs damaliger Präsident Nicolas Sarkozy den libyschen Gewaltherrscher Muammar al-Gaddafi 2007 nach Paris einlud und dieser sein Wüstenzelt in den Gärten republikanischer Paläste aufschlug. Dies und Vorwürfe illegaler Wahlkampfspenden aus Libyen sorgten für Kritik.

Als der Starphilosoph und Hobbystratege Bernard-Henri Lévy 2011 den Sturz Gaddafis propagierte, griff Sarkozy dankbar zu. Die beiden waren damals die treibende Kraft hinter dem Angriff von Nato-Kampfjets auf den Kommandoposten in Tripolis.Das folgende Machtvakuum hatte Sarkozy aber nicht vorhergesehen. Genauso wenig den anschwellenden Migrationsstrom aus Subsahara. Also setzte Paris erneut auf einen starken Mann, der das Chaos in Libyen stabilisieren sollte. Anders als Italien wählte der damalige französische Präsident François Hollande den Ostlibyer Haftar, der auch die wichtigsten Ölfelder des Landes kontrolliert. Dass ihn auch der ägyptische Präsident Abdelfattah al-Sisi unterstützt, störte Paris nicht, gilt Ägypten doch heute als strategischer Partner Frankreichs.

Im Stellvertreterkrieg eingezwängt

Weniger gern sieht Paris natürlich, dass Haftar auch aus Moskau Waffen und die berüchtigte Söldnertruppe Wagner kommen ließ. Mit einem Mal findet sich Macron eingezwängt im libyschen Stellvertreterkrieg. Das Szenario erinnert an den syrischen Albtraum, mit den Russen auf der einen, den Türken auf der anderen Seite. Und mit Frankreich als einziger Westmacht, die auf den aktuellen Verlierer gesetzt hatte.

Das militärische und diplomatische Missgeschick Macrons erklärt seine genervte Reaktion auf Ankaras Vorpreschen allerdings nur zum Teil. Paris warnt seine westlichen und namentlich deutschen Partner seit langem vor den "ottomanischen" Offensivplänen Ankaras. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan missachtet internationales Seerecht, das Zonen mit gasreichen Bodenschätzen Griechenland und Zypern zuordnet. Mit dem Import von Islamisten nach Libyen rückt er die Konfliktherde in die Nähe Europas.

Die Pariser Vorwürfe gegen Erdoğan mögen stimmen. Macron gewinnt aber mit seiner Solotour in Libyen weder in der Nato noch in der EU Rückendeckung. Auch Weststaaten, die für eine eigenständige europäische Verteidigungspolitik plädieren, bleiben auf Distanz zu Paris. Frankreich könnte mit seiner Schlagkraft eine wichtige Rolle spielen, um das schwindende Engagement der USA und Großbritanniens wenigstens teilweise wettzumachen. Und auch, um Europa zu einer geeinten Reaktion auf das Vordrängen Russlands und der Türkei in den mediterranen Raum zu veranlassen. Solange aber Macron den Alleingang in Libyen fortsetzt, werden sich EU- und Nato-Staaten nicht hinter ihn scharen. (Stefan Brändle, 13.7.2020)