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Bereits zu Mittag zeichnete sich eine hohe Wahlbeteiligung bei der Stichwahl ab, es bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen.

Foto: Reuters/AGENCJA GAZETA

Bereits am frühen Sonntagmorgen hatte sich vor der Friseur-, Kosmetik- und Mode-Berufsschule in Warschau-Mokotow eine lange Schlange gebildet. "Ich habe das Gefühl, heute an einer Schicksalswahl für Polen teilzunehmen", sagt die Innenarchitektin Elwira Nowacka. "Wenn Präsident Duda gewinnt, war das hier vielleicht die letzte freie Wahl für viele Jahre. Und wenn Trzaskowski gewinnt, wird es zwar in der ersten Zeit ein bisschen Chaos geben, aber wir werden unsere Freiheit behalten und unseren Staat wieder reparieren können."

In der polnischen Hauptstadt ist es schwer, Anhänger des amtierenden Präsidenten Andrzej Duda zu finden, die bereit sind, mit ausländischen Journalisten zu sprechen. Immerhin ist der Herausforderer Rafał Trzaskowski hier Oberbürgermeister. Auch sonst ziehen die Wählerinnen und Wähler an die Urnen: Die Beteiligung lag zu Mittag mit rund 24,7 Prozent noch ein paar Zehntelpunkte über dem Wert der ersten Wahlrunde vor zwei Wochen – und klar über jenem von 2015. Um 17 Uhr war die Wahlbeteiligung um rund vier Prozent höher als bei der ersten Wahlrunde um diese Zeit.

Piotr Nowacka jedenfalls pflichtet seiner Frau vor dem Wahllokal bei: "Schon vor zwei Wochen sind so viele Warschauer an die Urne gegangen wie selten zuvor. Den meisten ist wohl klar, was auf dem Spiel steht." Der Türsteher am Eingang des Wahllokals winkt das Paar herein, deutet stumm auf die Mund-Nasen-Schutzmaske, die er selbst trägt, und auf die große Flasche mit Hand-Desinfektionsmittel. Die Nowackis ziehen ihre Masken über und verschwinden im Schulhaus. Erst am späten Abend sollen erste Exit-Polls ausgewertet werden.

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Rund 30 Millionen Polen und Polinnen sind am Sonntag aufgerufen, für einen der beiden Präsidentschaftskandidaten ihre Stimme abzugeben: für Duda, der wie auch schon 2015 von der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt wird, oder für Trzaskowski von der liberalkonservativen Oppositionspartei Bürgerplattform (PO). Beide sind 48 Jahre alt, verheiratet und haben Kinder. In ihrer Jugend lernten beide das realsozialistische System kennen, machten ihre Matura aber bereits nach der politischen Wende 1989 in der noch jungen polnische Demokratie.

Amtsinhaber Duda gab seine Stimme ab.
Foto: imago images / Merk Lasyk

Duda studierte Jus in seiner Heimatstadt Krakau, während Trzaskowski sich für Politologie und Anglistik in Warschau, Oxford und Paris entschied und neben Englisch auch Französisch, Spanisch, Italienisch und Russisch spricht. Nach ihrer Doktorarbeit stiegen beide Polen im Jahr 2005 in die Landes- und später Europapolitik der PiS bzw PO ein.

Aus der ersten Wahl Ende Juni mit noch elf Kandidaten ging Duda mit 43,5 Prozent der Stimmen als Sieger hervor, verfehlte aber die 50-Prozent-Marke, sodass er in die Stichwahl musste. Der mit 30,5 Prozent zweitplatzierte Trzaskowski war erst nach der spektakulär gescheiterten Briefwahl vom 10. Mai als neuer Kandidat der PO nominiert worden.

Herausforderer Trzaskowski kam auch in Maske zur Urne.
Foto: EPA / Andrzej Grygiel

Zuvor hatte die Kandidatin Malgorzata Kidawa-Blonska gegen die Corona-Lockdown-Maßnahmen der PiS-Regierung protestiert, da diese einen fairen Wahlkampf völlig unmöglich machten. Doch ihr Aufruf zum Wahlboykott war für ihre Kandidatur verhängnisvoll. Da die anderen Kandidaten sich dem Aufruf nicht anschlossen und die PO ideenlos war, wie man aus der Boykott-Nummer wieder herauskommen könnte, nominierte die Partei einen neuen Kandidaten. In den vergangenen zwei Wochen rückte Trzaskowski Duda so nah auf die Pelle, dass die PiS in Panik geriet.

"Dreckiger Wahlkampf"

"Ich habe noch nie einen so dreckigen Wahlkampf erlebt", sagt Jerzy S., der vor einem anderen Warschauer Wahllokal steht. Er will seinen Namen nicht in einer Zeitung lesen. "Wenn man etwas gegen Duda oder die PiS sagt, gilt man doch als Volksverräter. So wie früher im Kommunismus." Nervös spricht er weiter: "Meine Tochter lebt in Frankfurt. Sie hat einen Deutschen geheiratet. Und letztens sagte ein Experte in einem der PiS-TV-Sender, dass man Deutschland alle 50 Jahre bombardieren sollte." Er sah sich um, ob jemand zuhört: "Ich will das nicht. Ich will endlich in Frieden mit allen leben." Es ist ihm klar, dass die Warschauer die Wahl nicht entscheiden werden. Und außerhalb der liberalen Stadt wählen die Menschen vermehrt den Amtsinhaber Duda und die PiS. (Gabriele Lesser aus Warschau, 12.7.2020)