Identitären-Chef Martin Sellner bei einer Corona-Demo in Wien. Sein Interview wird gestört.

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Sollen Rechtsextremisten eine Bühne bekommen? Twitter hat sich dagegen entschieden und die "Identitären" von seiner Plattform geworfen. Auf den gesperrten Nutzerprofilen prangt der allgemeine Hinweis: "Twitter sperrt Accounts, die gegen die Twitter-Regeln verstoßen." Auch der österreichische Identitären-Chef Martin Sellner wurde von der Plattform vor die Tür gesetzt. Ein Schritt, der die Rechtsextremisten trifft, da sie dadurch von ihre Gefolgschaft abgeschnitten sind und Twitter nicht mehr für ihre Kampagnen etwa gegen Flüchtlinge und kritische Journalisten oder zur Unterstützung ihnen nahestehender Parteien nutzen können. Sellner hatte zuletzt rund 40.000 Follower auf Twitter.

Ex-FPÖ und FPÖ für Sellner

Der Rauswurf sorgte auf Twitter kurzzeitig für Emotionen. So sprang Team-Strache-Chef Heinz-Christian Strache für Sellner in die Bresche und sprach vom "Mundtotmachen unliebsamer Meinungen", FPÖ-Politiker und -Berater sahen ebenfalls die Meinungsfreiheit in Gefahr. Eine Unterstützung, die wohl nicht ganz uneigennützig ist – decken sich doch ihre Aussagen schon einmal mit jenen von Sellner, besonders wenn es um die Themen Flucht, Migration, Antifaschismus und Deutschtum geht. Gleichzeitig tauchte Sellner in den vergangenen Monaten bei FPÖ-Events auf, etwa beim "Akademikerball" oder einer sogenannten Corona-Demo. Vereinzelt äußern auch linke Publizisten ihren Unmut über das Vorgehen von Twitter, da es nicht begründet wurde.

Provokationen für das Netz

Außer Frage steht, dass der Rauswurf für die Rechtsextremisten ein Problem darstellt. Sie machen Politik größtenteils im Netz (und setzen darauf, dass ihre Provokationen von Medien übernommen werden). Zu dieser Politik gehört auch die Erzählung von Verschwörungen – etwa darüber, dass dunkle Mächte an einem "großen Austausch der Bevölkerung" arbeiten. Ein Mythos, der auch von jenem Rechtsextremisten verbreitet wurde, der im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen ermordete, als diese eine Moschee besuchten. Nach dem Anschlag präsentierte der Attentäter ein krudes Manifest, dessen Titel "Der große Austausch" Bezug auf die zentrale identitäre Verschwörungserzählung nahm.

Nachfolgeorganisation wird überwacht

Kurz nach dem Terrorakt wurde bekannt, dass der Attentäter dem Identitären-Chef Sellner 1.500 Euro gespendet hatte. Auf Druck der ÖVP wandte sich daraufhin der damalige Koalitionspartner FPÖ von der Gruppierung ab. Die Identitären entgingen einem behördlichen Verbot, da sich die damalige Dritte Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller (FPÖ) bei der Abstimmung im Parlament verzählte. Mittlerweile nutzt Sellner das Label "Identitäre" nicht mehr, er hat eine Nachfolgeorganisation gegründet, die bereits im Visier der Behörden ist.

Twitter nimmt den Kampf gegen Hass und Rechtsextremismus im Netz seit einigen Wochen ernst. Dazu passt wohl der Rauswurf der Idenititären. Die Meinungsfreiheit endet, wo rechtsextreme Agitation Gewalttaten befördert.

Wie sehr Rechtsextremisten der Rauswurf von Twitter und anderen Plattformen trifft, zeigt die Studie "Online-Ökosystem rechtsextremer Akteure" der deutschen Robert-Bosch-Stiftung. Diese zeigt auf, dass "die Sperrung von Accounts rechtsextremer Gruppen und Influencer wirksam ist, um deren Reichweite erheblich einzuschränken". Zumal große Teile der Gefolgschaft ihnen nicht auf neue Plattformen folgen.

"Gefährliche Inspiration"

In ihrer Analyse sehen die Forscher und Forscherinnen in den verbreiteten Inhalten eine "gefährliche Inspiration". "Die Posts konzentrieren sich überproportional häufig auf die negativen Folgen der Immigration. Wie wir aus den Manifesten rechtsextremer Attentäter gelernt haben, können rechtsextreme Ideen wie die Verschwörungstheorie des 'Großen Austauschs' extremistische Gewalt und Terrorismus inspirieren, ohne aktiv zur Gewalt aufzurufen", sagt die Extremismusforscherin Julia Ebner vom ISD, einem unabhängigen Forschungsinstitut mit Sitz in London.

Facebook strenger als Medien

Facebook hat die Identitären bereits im Jahr 2018 vor die Tür gesetzt und geht verstärkt gegen andere rechtsextreme Gruppen vor. Allerdings betont ein Sprecher, dass Facebook keine "gesellschaftlichen Probleme lösen kann". Und Rechtsextremismus sei ein solches Problem. Dem entgegenzutreten sei Aufgabe der Politik und der Zivilgesellschaft.

Heimische Medien sind weniger streng, in den vergangenen Monate interviewten sie Sellner oder luden ihn zu TV-Talkrunden ein. (Markus Sulzbacher, 14.7.2020)