Spätestens dann, wenn man die letzten Meter auf dem Weg in das neue Stadtviertel "Wildgarten" durch die kleinen Wege des angrenzenden Kleingartenvereins geht, wird einem bewusst, dass man das Stadtzentrum nun definitiv hinter sich gelassen hat. Am Rande der kleinen Gärten mit akkurat gemähten Rasen und kleinen Pools warnen Schilder auf den Zäunen vor unbefugtem Betreten: "Achtung, scharfer Hund!"

Verlässt man die kleine Welt der Kleingärten und überquert eine Straße, wird es aber auf einmal wieder unerwartet städtisch – zumindest, was die Dichte und Höhe der Gebäude betrifft: Auf einer zuvor brachgelegenen Fläche im Grenzgebiet zwischen Meidling, Hietzing und Liesing wird dort der Wildgarten hochgezogen. Einige Gebäude und Wohneinheiten auf der elf Hektar großen Fläche sind bereits fertiggestellt, andere befinden sich im Rohbau. Einzelne Bewohner sind bereits eingezogen, bis 2023 sollen 2.300 Menschen in 1.100 Wohnungen am Rosenhügel, einem Ausläufer des Wienerwaldes, leben.

Für Kinder ist viel Platz.
Foto: Christian Fischer

Nachbarschaftszentrum als Drehpunkt

Es lässt sich bereits jetzt erahnen, wie das Leben im Wildgarten aussehen wird: Es wird viel Wert gelegt auf halböffentliche Flächen, die von den verschiedenen Bewohnern genutzt werden sollen. Schlendert man durch das halbfertige Viertel, begegnet man vor allem Jungfamilien, die sich bei Brunnen oder unter Sonnensegel in der Sandkiste abkühlen. Ein Kindergarten ist vor Ort, in vielen Wohnanlagen gibt es Fitness- und Gemeinschaftsräume, das Viertel ist autofrei, die Autos parken ausschließlich in Sammelgaragen. Ein Nachbarschaftszentrum soll zum Dreh- und Angelpunkt für das öffentliche Leben werden.

Nicht urbanes Leben, sondern die Gemeinschaft steht im Fokus: eine Art Dorf in der Stadt. Es ist das gleiche Gefühl einer gewissermaßen am Reißbrett entworfenen Lebensqualität, das sich einem etwa auch im jungen Nordbahnviertel im zweiten Bezirk aufdrängt. Ein "gemeinschaftlicher Stadtteil, in dem ökologische und soziale Nachhaltigkeit großgeschrieben werden", beschreibt es etwa die verantwortliche Projektgesellschaft, Tochter der Are Development, die wiederum Tochter der Bundesimmobiliengesellschaft ist, in ihren eigenen Worten. Bei der Are handelt es sich um jene staatliche Immobiliengesellschaft, für die das türkise Finanzministerium Privatisierungspläne wälzte und die anschließend wegen Bauprojekten im Luxussegment in die Kritik geriet.

Im Wildgarten werden sowohl frei finanzierte als auch geförderte Wohnungen von externen Bauträgern wie der Sozialbau AG gebaut, das Verhältnis liegt etwa bei 60 zu 40 Prozent. Für Eigentumswohnungen mit 70 Quadratmetern und Balkon zahlt man in etwa zwischen 300.000 bis 400.000 Euro. Eine Reihe an Einheiten wird zudem als Anlegerwohnungen beworben. Ebenfalls vertreten sind private Baugruppen, die sich an verschiedenen sozialen oder ökologischen Prinzipien orientieren. Einer der 22 Bauplätze ist für einen Gemeindebau reserviert.

An manchen Ecken wird noch gebaut.
Foto: Christian Fischer

Fehlender Supermarkt

Für ein paar, die bereits dort wohnen, hapert es zum Teil noch an der Infrastruktur: Zwischen Picknickdecken, Nussstrudel und Kaffee in Thermoskannen haben sich einige Bewohner versammelt, um zu erzählen, wie es ihnen im Wildgarten geht. Eingeladen hat das Nachbarschaftszentrum, das von Mitarbeitern der Caritas-Stadtteilarbeit betreut wird.

Er habe sich extra einen Trekkingrucksack zugelegt, berichtet der Bewohner Wolfgang Schanik, der im Dezember in eine Genossenschaftswohnung in einem Sozialbau-Bau eingezogen ist. Den verwendet Schanik nun fürs Einkaufen und Pendeln: Der nächste Supermarkt ist knapp zwei Kilometer entfernt. Zur S-Bahn-Station ist es in etwa gleich weit. Am nächsten sind in fünf bis zehn Minuten zu Fuß die Busstationen des 58A sowie des 63A zu erreichen.

Sie überlege sich die Anschaffung eines E-Bikes, erzählt auch die Baugruppen-Bewohnerin Verena Mandak, die allerdings, vor allem im Hinblick auf ihre Kinder, die Abwesenheit der Autos schätzt. Anfang 2021 soll ein Billa vor Ort einziehen, heißt es seitens der Projektgesellschaft. Für nächstes Jahr ist außerdem eine eigene Busstation geplant, der 63A soll dann direkt vor Ort stehen bleiben. Dieser ermöglicht die Anbindung an die U-Bahn.

Stadtteilarbeit vor Ort

Bereits seit Projektbeginn sind Caritas-Mitarbeiter vor Ort, um den Entstehungsprozess des Viertels zu begleiten. Sie verstehen sich als Vermittler zwischen Bewohnern und Bauträgern. Im Gebäude des Zentrums befand sich früher die Schweinemastanlage der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, später wurde das Areal als Bundesanstalt für Virusseuchenbekämpfung bei Haustieren genutzt. Das denkmalgeschützte Haus wurde unter Einbeziehung des Denkmalamts renoviert.

Die Künstlerin Stefanie Sourial nutzt einen Raum des Nachbarschaftszentrums zwischen.
Foto: Christian Fischer

Einer der Räume wird derzeit von der beim Wiener Brut angedockten Künstlerin Stefanie Sourial temporär genutzt. Die Regisseurin entwickelt dort ihr nächstes Stück, das sich unter dem Stichwort "City of Diaspora" mit der "Stadt in der Stadt" – jenen Zwischenräumen, in denen sich Menschen mit Migrationshintergrund oft befinden – beschäftigen soll. "Ich find es hier spitze", sagt Sourial vor der Kulisse des Baustellenlärms. "Es ist laut, da weiß ich, ich bin nicht die Einzige, die hier arbeitet." Ziel sei, dass das Nachbarschaftszentrum, das auch schon jetzt für Kurse und Veranstaltungen mietbar ist, später in die Selbstverwaltung übergehe, sagt die Stadtteilarbeiterin Eva-Maria Kehrer.

Unbedingt wild geht es im Wildgarten bisher und wohl auch künftig nicht zu, das vorhandene Grün soll aber jedenfalls noch gedeihen. Mehr als die Hälfte der Flächen sind laut Projektverantwortlichen unversiegelte Grün- und Freiflächen. Der vorhandene Grünraum soll von den Bewohnern gemeinschaftlich gestaltet und verwaltet werden. (Vanessa Gaigg, 21.07.2020)