ORF-Journalistin Simone Stribl feiert heuer ihr Debüt als Moderatorin der "Sommergespräche".

Foto: STANDARD/Robert Newald

Wien – Als im Jahr 1981 erstmals die ORF-"Sommergespräche" mit Peter Rabl auf Sendung gingen, war sie noch gar nicht auf der Welt: Simone Stribl. Die 33-Jährige führt heuer erstmals durch die Interviewreihe mit den Chefinnen und Chefs der im Parlament vertretenen Parteien. Zum Auftakt empfängt Stribl, die seit zwölf Jahren beim ORF als Innenpolitikjournalistin arbeitet, am 3. August im Weingut am Reisenberg Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Die "Sommergespräche" gibt es heuer auch als Podcast zum Nachhören.

STANDARD: Hätte es das Ibiza-Video nicht gegeben, wo Sie sich sehr profilieren konnten: Glauben Sie, dass Sie trotzdem heuer bei den "Sommergesprächen" zum Zug gekommen wären?

Stribl: Wahrscheinlich nicht bei den "Sommergesprächen" 2020. Ich bin seit zwölf Jahren Innenpolitikjournalistin, aber natürlich ist mit Ibiza die große Aufmerksamkeit gekommen, und es war eine Art Wendepunkt, auch wenn man es schon lange macht und bei vielen Krisen dabei war.

STANDARD: Wenn Sie auf die Ereignisse nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos zurückblicken: Wie war es?

Stribl: Am 18. Mai 2019 ist einfach so viel passiert, dass wir nur von Stunde zu Stunde berichten konnten. Die Herausforderung war, den Überblick zu behalten. Man steht an einer Stelle, muss aber trotzdem gut informiert sein. Es war jedenfalls ein irrer Tag, aber auch die Tage danach, eigentlich das gesamte Jahr, und mit Corona geht es in diesem Tempo weiter. Ich habe immer geglaubt, die Ibiza-Affäre war das Stressigste, aber Corona hat das noch übertroffen.

STANDARD: Bei Tobias Pötzelsberger ging der Weg nach Ibiza von den "Sommergesprächen" zur "ZiB 1". Ist das auch ein Traum von Ihnen?

Stribl: Ich denke nur bis zum 31. August und möchte die "Sommergespräche" gut machen. Was danach kommt, an das denke ich nicht. Das war bis jetzt nie der Fall, sondern ich habe immer versucht, meine Arbeit gut zu machen.

STANDARD: War es ein Wunschtraum, einmal durch die "Sommergespräche" zu führen?

Stribl: Ein Wunschtraum schon, aber ein entfernter. Ich habe es aber immer so gehalten, dass ich einfach schaue, was kommt, und nicht auf eine Sache fixiert bin. Jedenfalls habe ich mich sehr gefreut. In den letzten Jahren war ich immer wieder bei den Generalproben der "Sommergespräche" dabei und habe die Rolle der Politikerinnen übernommen – etwa von Beate Meinl-Reisinger oder Maria Stern. Man kennt ja die Parteiprogramme und die Grundbotschaften der Parteien, und oft war es dann so auf Sendung, wie ich es in der Probe gesagt habe. Heuer bin ich auf der anderen Seite.

STANDARD: Die "Sommergespräche" stehen sehr stark im Fokus der Öffentlichkeit. Es ist anzunehmen, dass es danach auch Kritik geben wird. Wie gehen Sie generell mit Kritik um?

Stribl: Man kann nicht allen gefallen und muss damit umgehen, dass es natürlich Kritik geben wird. Vor allem weil die Sendung so wichtig ist und so viel Aufmerksamkeit hat. Ob ich nach der Sendung Twitter gleich einschalte und nachsehe, da bin ich mir noch nicht sicher. Vielleicht schaue ich zuerst, was die Freundinnen und Freunde geschrieben haben, die sind ja auch oft recht kritisch. Auf Twitter kommt es immer darauf an, wer wo politisch steht, und so muss man das auch sehen.

Simone Stribl.
Foto: STANDARD/Robert Newald

STANDARD: Wie insistierend werden Sie ans Werk gehen, um Antworten zu bekommen?

Stribl: Die Politiker haben ihre Botschaften. Sie sind gut vorbereitet, ich bin gut vorbereitet. In einer Stunde kann man jetzt nicht nur vorbereitete Botschaften mitbringen, da muss man sich schon einem Gespräch stellen. Ich werde natürlich nachfragen, wenn immer nur eine Floskel kommt. Irgendwann muss man aber auch sagen: Okay, jetzt gehen wir weiter.

STANDARD: Dann resigniert man.

Stribl: Nicht resignieren, aber der Mehrwert für die Zuseher ist dann auch überschaubar, wenn immer nur die gleiche Phrase kommt. Es kommen ja die Parteichefs, und die sollten schon bereit sein für ein Gespräch.

STANDARD: Viele kritisieren Minister und vor allem Ministerinnen – gerade aus den Reihen der ÖVP – dafür, dass sie keine Fragen beantworten und nur ihre eingelernten Stehsätze vom Stapel lassen. Zuletzt hat sich zum Beispiel Verteidigungsministerin Klaudia Tanner in der "ZiB 2" nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Sollte man solche Interviews abbrechen, wie manche meinen?

Stribl: Wie gesagt: Bei mir dauert das Gespräch länger. Ein zehnminütiges Interview kann man als Politiker sicher anders anlegen als ein "Sommergespräch". Hier kommt man nicht durch, wenn man immer nur eine Antwort wiederholt. Das geht sich nicht aus. Es sagt aber auch viel über einen Politiker, wenn immer nur eine Phrase kommt.

STANDARD: Und die Öffentlichkeit kann sich ein ausreichend fundiertes Bild von der Person machen?

Stribl: Ja, das glaube ich schon.

STANDARD: Wann ist ein Interview Ihrer Ansicht nach gelungen?

Stribl: Für mich ist wichtig, dass es für alle verständlich ist. Ich stelle mir als Zuseher nicht die Politik-Twitter-Blase vor, die sehr viel über Politik weiß, sondern etwa Menschen in meinem familiären Umfeld, die nicht dauernd Nachrichten und Social Media verfolgen. Ich orientiere mich eher daran, was die interessiert. Im besten Fall erfährt man Dinge, die man noch nicht gehört hat. Also tiefere Einblicke und Überraschungen, das ist der Anspruch an ein "Sommergespräch". Ob es gelingt, hängt von mir und vom Politiker ab.

STANDARD: Das erste "Sommergespräch" findet am 3. August statt. Seit wann bereiten Sie sich thematisch darauf vor?

Stribl: Ich bereite mich jetzt im Juli vor, habe aber dieses und das letzte Jahr recht viel erlebt. Genauso wie in den zwölf Jahren als Innenpolitikjournalistin. Als ich angefangen habe, hat sich Alfred Gusenbauer verabschiedet, das ist schon eine lange Zeit. Das ist mein Erfahrungsschatz. Ich lese sehr viel, ich schaue alle Interviews, die Parteichefs in den letzten Tagen, Wochen und Jahren gegeben haben. Ich habe auch ganz viele "Sommergespräche" nachgeschaut.

STANDARD: Wie weit zurück? Bis zum Beginn mit Peter Rabl im Jahr 1981?

Stribl: Nein, auf jeden Fall alle der letzten fünf Jahre und einige, die schon weiter zurückliegen. Ich finde das sehr spannend, und man lernt sehr viel.

STANDARD: Wer hat Sie als Interviewerin oder Interviewer besonders beeindruckt?

Stribl: Ich will keine Namen nennen, tausche mich aber mit den Kolleginnen und Kollegen aus, die ich jeden Tag sehe und die schon die "Sommergespräche" moderiert haben. Man beginnt aber bei null mit sich selbst. Ich will niemanden kopieren und so fragen, wie ich frage.

STANDARD: Gibt es in Sachen Interviewführung Vorbilder?

Stribl: Ich mag die Interviewführung von Lou Lorenz-Dittlbacher sehr, aber auch sie als Person. Sie steht mir immer mit Rat und Tat zur Seite.

STANDARD: Dem ORF droht ein Sparpaket im Ausmaß von 75 Millionen Euro. Betrifft Sie das redaktionell?

Stribl: Das wäre eine Frage für die Geschäftsführung. Im Aktuellen Dienst haben wir in der Corona-Krise gezeigt, wie wichtig wir sind. Wir hatten mehr Arbeit als je zuvor.

STANDARD: Manche kritisieren, dass der ORF in der Corona-Krise zu regierungsfreundlich berichtet und die Maßnahmen von Türkis-Grün zu wenig infrage stellt. Was sagen Sie zu dem Vorwurf?

Stribl: Wir haben in allen Sendungen, auch in den "Zeit im Bild"-Spezialausgaben, und nach jeder Pressekonferenz, die wir übertragen haben – und es gab sehr viele –, immer eine Analyse und Einschätzung von unseren Expertinnen und Experten geliefert und nie einfach nur das Gesagte ohne Einordnung übernommen.

STANDARD: Die Kritik war auch, dass zu viele Pressekonferenzen übertragen wurden.

Stribl: Es haben sehr viele Leute zugeschaut, auch untertags. In dieser Zeit gab es vielleicht nicht so viel zu tun, und die Spezialsendungen mit den Pressekonferenzen wurden gerne gesehen.

STANDARD: Gibt es eine Person, die Sie besonders gerne interviewen möchten?

Stribl: Angela Merkel würde ich gerne interviewen. Sie hat Europa und die EU im letzten Jahrzehnt maßgeblich mitgeprägt. Sieht man sich die Staats- und Regierungsspitzen an, dann gibt es ja auch nicht so viele Politikerinnen.

STANDARD: Apropos Politikerinnen: Sie haben ja Anfang Jänner einen "Runden Tisch" moderiert, an dem nur Politiker und keine Politikerinnen gesessen sind, weil die Parteien zum Thema "Was kann Türkis-Grün?" nur männliche Vertreter geschickt haben. Wie lässt sich so etwa verhindern?

Stribl: Wir haben die Höchstrangigen angefragt, und es sind nur Männer gekommen. Grundsätzlich wird bei ORF-Diskussionssendungen darauf geschaut, dass es ausgeglichen ist. Leute werden gezielt angefragt. Ein Politiker hat bei diesem "Runden Tisch" selbstkritisch angemerkt, dass er vielleicht das nächste Mal nicht dabei sein wird und eine Frau aus der Partei kommt. Und deswegen habe ich das auch anmoderiert, um zu zeigen, dass es schön wäre, wenn das Verhältnis im Jahr 2020 ausgeglichen wäre.

Simone Stribl und die Männerrunde.
Foto: Screenshot/ORFTVThek

STANDARD: Die Regierung arbeitet an neuen Regeln für den ORF. Welche Beschränkungen sollten aufgehoben werden?

Stribl: Dass die Sieben-Tage-Regel in der TVThek fällt, ist zum Beispiel in meinem Bereich ein großer Wunsch, damit unsere Zuschauer etwa alte "Sommergespräche" und Interviews nachsehen können.

STANDARD: Wie könnte man Sie überzeugen, zu Puls 4 oder Servus TV zu wechseln?

Stribl: Ich bin sehr glücklich im ORF, wo ich als 20-Jährige begonnen habe. Der ORF ist meine große Leidenschaft. Ich gehe sehr gerne in die Arbeit, auch wenn wir hier eine große Baustelle haben (Baulärm im Hintergrund, Anm.). Ich mache die Arbeit sehr gerne und mit voller Leidenschaft, ob das jetzt ein Beitrag ist, den ich mache, eine Live-Schaltung oder ein großes Interview.

STANDARD: Politik ist Ihre große Leidenschaft, aber könnten Sie sich einen Wechsel in eine andere Abteilung vorstellen?

Stribl: Ich habe immer Innenpolitikjournalismus gemacht, zwar gerne auch Reportagen, aber all meine Beiträge haben sich mit Politik beschäftigt. Ich schaue zum Beispiel sehr gerne den "Schauplatz", das ist allerdings eine weitgehend politische oder gesellschaftspolitische Sendung. Politikjournalismus ist mein Thema.

STANDARD: Wie oft sind Sie mit politischen Interventionen oder Begehrlichkeiten von Parteien konfrontiert?

Stribl: Ich bin seit zwölf Jahren Innenpolitikjournalistin. Es gibt Anrufe, aber bei mir beißt man auf Granit. Es ist nicht so, dass es heißt, aber der Beitrag gehört so oder so gemacht, sondern es ist meist eine Kritik. Das hört man sich an und legt auf.

STANDARD: Wie sieht Ihr Fernsehverhalten aus? Noch vieles linear, oder geht es schon mehr in Richtung Streaming?

Stribl: Die "ZiB 2" sehe ich meistens zu Hause, ich schaue aber auch sehr viele Sachen in der TVThek nach und sehe alle "ZiB"-Sendungen des Tages. Man muss ja wissen, was man macht. Ich sehe aber zum Beispiel auch sehr gerne die "Liebesg'schichten". Ein Sommer ohne "Liebesg'schichten" geht nicht, und ein Sommer ohne "Sommergespräche" auch nicht.

STANDARD: Welche Serien gefallen Ihnen?

Stribl: Jetzt habe ich "Little Fires Everywhere" geschaut, "Handmaid's Tale" und "The Marvelous Mrs. Maisel" fand ich sehr gut, aber auch die ORF-"Vorstadtweiber". Generell schaue ich aber nicht so viele Serien. Wenn man alle "ZiBs" sehen muss und noch den "Report", geht sich nicht mehr so viel aus. (lacht) (Oliver Mark, 16.7.2020)