"Platz an der Sonne": Die Pop-up-Skulptur der Wiener Künstlerin Marlene Hausegger schlägt eine Verbindung zwischen Museum und dem angrenzenden Schweizergarten.
Foto: Belvedere Wien / Johannes Stoll

"Insekten sind Monster", stellt der Mann mit weißem Vollbart und schwarzem Tanktop fest. Wer glaubt, eine Blütenwiese sei etwas Paradiesisches, liege da komplett falsch. "Wären nur einige von den Tieren da drin so groß wie ein Pudel, würden wir hier nicht mehr sitzen", lacht er.

Martin Lödl ist Lepidopterologe und Abteilungsdirektor der Zoologie im Naturhistorischen Museum in Wien. Als Experte für Schmetterlingskunde steht er vor einer Gruppe von etwa 20 Menschen, die unter einer Hängeweide in Strandstühlen und im Gras Platz genommen hat, und erzählt ihr euphorisch von Entwicklungsstadien bei Insekten, Artensterben und garniert das Ganze mit lateinischen Gattungsnamen.

Neben ihm hat die Künstlerin Antonia Fuchs einen Lichtfang aufgebaut: Ein bodenlanges Netz hängt in etwa 1,5 Meter Höhe über einem Gestell. Darin leuchtet UV- und Schwarzlicht. Später sollen davon vor allem Nachtfalter angelockt werden, die Lödl mit dem Publikum beobachten wird. Gerade dämmert es, erst ein paar Mücken und Köcherfliegen finden sich um das Netz ein. Die Geräuschkulisse teilen sich Grillenzirpen und Verkehrslärm. Die Gruppe befindet sich im Schweizergarten – einem Park direkt hinter dem Belvedere 21.

Kunst trifft Natur: Eine Nachtfalterbeobachtung im Schweizergarten hinterm Museum.
Foto: Ouriel Morgensztern

Das Ziel: Raus aus der Kunstblase

Seit diesem Frühjahr ist dieser durch einen neuen Zugang auch von dem Museum aus begehbar. Während der Öffnungszeiten können Interessierte kostenlos den Skulpturengarten besichtigen. Diese Öffnung nimmt die Kuratorin Christiane Erharter zum Anlass, um gemeinsame Projekte mit bildenden Künstlerinnen in der unmittelbaren Umgebung der benachbarten Grünfläche zu realisieren. Woraus ein Programm an der Schnittstelle zwischen Kunst und Natur entstand.

So hat Anita Fuchs drei Biodiversitätsspaziergänge mit Experten und Expertinnen konzipiert und Marlene Hausegger ihre mobile und partizipative Pop-up-Skulptur Platz an der Sonne in die Wiese gestellt. Davor sollen kollektive Lesungen stattfinden und die Installation aktivieren. "Wir möchten das Museum heraustragen und mit den Menschen in einen Dialog treten", sagt Erharter.

Seit 2018 ist sie am Belvedere 21 tätig und leitet dort das Community-Outreach-Programm. Was als partizipative Einbeziehung des Umfelds an US-amerikanischen oder britischen Kunsteinrichtungen wie dem Tate Modern bereits länger Usus ist, erfährt hierzulande erst langsam Bedeutung.

Communitykuratorin Christiane Erharter möchte "das Museum heraustragen".
Foto: Ouriel Morgensztern

Als erste – und bisher einzige – Kuratorin für Communityarbeit an einem österreichischen Bundesmuseum nimmt sich Erharter mit diversen Projekten der Nachbarschaft an. Das früher fast "in der Peripherie" an der Grenze zu Favoriten gelegene Haus für zeitgenössische Kunst möchte den sich seit Jahren in starkem Wandel befindlichen Ort des Sonnwendviertels um den Hauptbahnhof miteinbeziehen. Mit öffentlichen Events und regelmäßigen Nachbarschaftstreffen soll ein diverses Publikum angesprochen werden. Ein hohes Ziel: die Kunstblase zu verlassen und über die Kunstvermittlung im Haus hinausgehen. Das passt zur spürbaren Tendenz der Wiener Kulturpolitik, stärker an die Stadtgrenzen zu gehen.

Im Dialog mit der Vergangenheit

"Nichts hier sieht noch so aus wie vor zehn Jahren", sagt Claudia Slanar in ein Mikrofon. Sie steht auf einer kleinen Bühne im Hof des Belvedere 21. Neben ihr wachsen Pflanzen aus dem Wildwuchskäfig des kürzlich verstorbenen Lois Weinberger, hinter ihr ragen in Baugerüst gehüllte Wohntürme in die Höhe. Doch nicht nur das Stadtgebiet habe sich verändert, sondern auch dessen Wahrnehmung. Auf dem Areal des ehemaligen Südbahnhofs entsteht nun ein moderner Stadtteil, wo aber auch Themen wie Migration und Flucht eine Rolle spielen.

Über diese Vergangenheit müsse man auch mit den Anwohnern sprechen, finden Slanar und Erharter. An diesem Abend diskutieren junge Autoren über die jugoslawische Diaspora in Wien. Und reflektieren ihre Erinnerungen an die Ankunft in der Stadt.

Gemeinsam organisieren die beiden Kuratorinnen auch das Public Program, das sich mit den Outreach-Events teilweise überschneidet. An sechs Donnerstagabenden lädt die Reihe unter dem Motto "Draußen sein" bis September in den Garten des Museums zum Dialog. Neben einer Performance von Klitclique, Filmvorführungen zur Hainburger Au oder der Abholzung des brasilianischen Regenwalds gibt es auch künstlerische sowie aktivistische Beiträge unter dem Titel "Queering Belvedere", bei denen offen über queere Themen gesprochen wird.

Wichtig sei, dass Bereiche niederschwellig Platz finden, die im Museum oft verlorengehen. Diskursiv, öffentlich und kostenlos. (Katharina Rustler, 15.7.2020)