Für vernachlässigte Ehefrauen gab es den Hausfreund, der regelmäßig vorbei kam.

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Wissen Sie, was ein Dynomen ist? Seit geraumer Zeit geistert dieser "Fachbegriff" durch die Lehrpläne von Fahrschulen. Er bedeutet so viel wie maximale Gefahrenstelle. Irgendein findiger Fahrlehrer erfand dafür das Kunstwort Dynomen (Dynamit und Phänomen).

So ein Dynamit-Phänomen existiert natürlich nicht nur im Straßenverkehr – es geistert auch durch den geregelten Verkehr der klassischen Paarbeziehung. Dort nennt man es mit schreckgeweiteten Augen: DER LIEBHABER oder DIE GELIEBTE.

Auswärtsspiele

Nun muss man unterscheiden: Ab und zu auswärts essen zu gehen, das ist für moderne Pansexuelle, Chaos-Patchworker und Es-ist-kompliziert-Player nichts Außergewöhnliches. "Nothing to write home about", würden viele von ihnen (müde lächelnd) im Fall von entdeckten Außenstellen abwinken.

Für konservativere Gemüter allerdings – Menschen, die mit einer Ehe nicht nur den Rausch der ersten Verliebtheit, sondern auch Sicherheit und Tradition verbinden –, für sie bedeutet das heimliche Auswärtsspiel des Partners: Hochverrat.

Diese traditionellen "We-People", wurden sie nicht von allen beneidet, als sie während des Corona-Shutdowns "die ruhige Zeit zu Hause" genossen? Waren Liebes-Chaoten nicht blass vor Bewunderung, wenn so eine entzückende, gut organisierte Kleinfamilie sich auf zweihundert Quadratmetern mit Garten austoben konnte?

Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. "Mir reicht’s, ich suche mir jetzt einen Liebhaber", tönte vor kurzem eine Freundin. Die Gute ist erfolgreich, schön, mit einer Bilderbuchfamilie ausgestattet — und lebte bisher nach strengsten moralischen Prinzipien.

Onkel Bruno

Jetzt ist sie wütend. Während ihr Mann, ein wichtiger Anwalt, sich schon nach einer Woche wieder ins Büro verabschiedete ("Freu dich, du kannst zu Hause bleiben!"), behielt sie den Familienladen im Auge – brachte Homeoffice, Haushalt und Homeschooling unter einen Hut. Die Familie nahm ihren täglichen Kraftakt als selbstverständlich hin.

Dieses Dilemma erinnert mich an die Generation meiner Eltern und Großeltern. Für vernachlässigte Ehefrauen gab es damals den Hausfreund. In unserer Familie hieß er Onkel Bruno. Er hatte Tagesfreizeit, kam regelmäßig nachmittags zum Tee und überhäufte die Damen des Hauses mit Komplimenten. Mit geröteten Wangen reichten sie ihm zum Abschied den Arm zum Handkuss.

Aktuell, so scheint es, ist der Bedarf an Hausfreunden wieder grenzenlos. Fassen Sie sich ein Herz meine Herren: Sie tragen keinerlei Verantwortung. Ihre Galanterie wird ihnen mit grenzenloser Wärme und Herzlichkeit gedankt.

Der klassische Ehemann betrachtet, wenn er klug ist, dieses Phänomen wie ein Fahrlehrer. Er sieht in dem Eindringling ein Löschobjekt – ebenfalls ein Kunstwort aus der Welt der Fahrschule: Löschobjekte sind Fahrzeuge, Fußgänger oder ähnliche Objekte, die im ersten Moment eine Gefahr verursachen können, im zweiten Moment aber nicht mehr relevant für die Verkehrssituation sind. (Ela Angerer, RONDO, 4.8.2020)