Das frühere "No. 27" beim Naschmarkt hat den Lockdown für einen Umbau genutzt und heißt nun schlicht "China Kitchen".

Foto: Gerhard Wasserbauer

Als Langnase ist es nicht immer ganz leicht, die Qualität chinesischer Restaurants zielsicher einzuschätzen. Schmecken muss es, eh klar, Gäste aus der chinesischen Community sind auch immer ein gutes Zeichen.

Lassen die Zutaten auf achtsamen Umgang in der Küche schließen? Wenn es Meeresfrüchte wie frische Muscheln oder Fisch im Ganzen gibt, wenn das Gemüse knackig und variantenreich ist, wenn die faszinierende Bandbreite der Tofu-Konsistenzen auf der Karte zumindest ansatzweise abgebildet wird, dann kann kaum etwas schiefgehen – außer wenn die Luft zum Schneiden ist vor Küchendunst.

Im No. 27 auf der Linken Wienzeile war das so. Den Fettdunst konnte man auch als wirtshausgestählter Zeitgenosse nur als Zumutung verstehen, dementsprechend dringend musste das Bedürfnis nach brennheißen, aromatisch hoch verdichteten und konsistenzmäßig vielfach variierten Leckereien sein, um sich trotzdem glücklich zu essen.

Aber wirklich gute Sichuan-Küche bedingt eben die wirklich große Flamme, über der binnen Sekunden frittiert, Gewürze geröstet und so ziemlich alles von Gemüse bis zu ganzem Fisch dem Atem des Feuers ausgesetzt wird.

Den Dunstschleier lüften

Also gut, die gerade hier legendären Dan-Dan-Nudeln, mit scharfer Chilisauce, beißend saurem Senfgemüse, Faschiertem und getrockneten Bohnensprossen (ohne Zweifel die besten der Stadt!), die vielfach köstlichen gedämpften Teigtascherln (Pflichtbestellung Chao-Shu mit Hendl und Shrimps!), die umwerfend marinierten Seitan-Netzwürfel mit Pilzen und der ganz kurz blanchierte Blattspinat für den grandios erfrischenden Salat mit schwarzem Reisessig waren punkto Luftqualität unbedenklich.

Aber sonst? Lauter Herrlichkeiten, die man unbedingt haben will, nur halt nicht als hartnäckige Erinnerung in Haupthaar und Hemd. Damit ist es jetzt zum Glück vorbei: Meisterkoch und Betreiber Zhang Fa Jun aus der sichuanesischen Fressmetropole Zigong – in China gibt es Sprichwörter zur kulinarischen Ausnahmestellung dieser Stadt, in der der Legende nach vor Jahrtausenden das Geheimnis der Salzherstellung entdeckt wurde – hat den Corona-Lockdown für den Umbau des Lokals genutzt, inklusive richtig guter Lüftungsanlage.

In der Sichuan-Küche wird so ziemlich alles von Gemüse bis dem Atem des Feuers ausgesetzt.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Reservierung ist seitdem doppelt ratsam, speziell in größerer Runde. Das ist auch die beste Art, Zhangs Kunst zu erleben – weil sich nur dann der Tisch so mit Speisen zustellen lässt, dass man von jeder nur ein paar Happen nimmt. Die sind dafür so vielfältig köstlich, dass man scheinbar ewig weiteressen kann. Tigerhaut-Pfefferoni in einer Sauce aus fermentierten schwarzen Bohnen und Reisessig zum Beispiel oder knusprig frittierte Nori-Röllchen, gefüllt mit gehackten Shrimps und Calamari.

Zunge schillert!

Auch Fuqi Feipian, hauchdünn geschnittene Zunge, Kutteln und Herz vom Rind in einer schillernden Salsa mit Sichuanpfeffer, will man nicht versäumen. Der zu feinen Stifteln geschnittene, getrocknete Tofu mit Sesam und Koriander ist sowieso Pflicht. Reisfleisch aus zuvor roh angeröstetem Reis mit Schweinebauch und Süßkartoffeln ist überhaupt eine Sensation – so saftig, so verführerisch zart mit Sternanis gewürzt, dass trotz des bemerkenswerten Schmalzgehalts garantiert nix überbleibt.

Chicken Chongqing, erst mariniert, dann gebacken und schließlich mit vielerlei Pfeffer und Chili im Wok auf Touren gebracht, ist so scharf und köstlich, dass man dazu garantiert das nächste Bier bestellt.

Au ja: Mapo Tofu, die Schlabber gewordene Verheißung mit integrierter Zungenelektrik, gibt’s hier genau so, wie man in heißer Sommernacht von ihm träumt. (Severin Corti, RONDO, 17.7.2020)

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