Rund 35.000 Geldbußen wurden wegen Verstößen gegen Ausgangsbeschränkungen verhängt.

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Bei der am Dienstag zu Ende gegangenen außertourlichen Session des Verfassungsgerichtshofs geht es um viel: um viel Geld und um viel Ehr'. Die Höchstrichter haben die Sitzung im Juli wegen der zahlreichen Anträge im Zusammenhang mit Corona eingeschoben. Aus finanzieller Sicht besonders bedeutsam: die Aushebelung jenes Paragrafen im Epidemiegesetz, der geschlossenen Betrieben bisher einen Anspruch auf Entschädigungen für den Verdienstentgang zusicherte.

Ebenfalls viel Geld ist im Spiel, wenn über die Lockerungen befunden wird. Dass große Geschäfte erst zwei Wochen nach den kleinen öffnen durften, hat viele Beschwerden nach sich gezogen. Der Punkt, der in der Öffentlichkeit wohl am meisten Aufmerksamkeit erhalten hat, sind die Ausgangsbeschränkungen. Hier hagelte es regelrecht Kritik an der Diktion von Regierungsmitgliedern, die deutlich vom Inhalt der entsprechenden Verordnung abwich.

Nicht nur Kommunikationsfehler

In der Zwischenzeit ist klar: Nicht nur die Kommunikation ist umstritten, sondern auch die Rechtssetzung an sich. Mehrere Gerichte haben bereits Strafen wegen Verstößen gegen Ausgangsbeschränkungen aufgehoben. Dank einer weit gefassten Ausnahme vom Ausgangsverbot war nämlich viel mehr erlaubt, als die Regierung glauben machte. Dennoch hagelte es Verwaltungsstrafen. Kürzlich beantragte dann auch noch das Landesverwaltungsgericht Wien wie berichtet die Aufhebung der Verordnung, weil sie durch das Gesetz nicht gedeckt sei.

Unabhängig vom Ausgang der verschiedenen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) haben sich Rechtsexperten schon früh kritisch mit der Vorgangsweise der Koalition auseinandergesetzt. Angesichts der jüngsten Entscheidungen zu den Ausgangbeschränkungen sieht sich Professor Stefan Griller nun bestätigt. Die Vorlage des Landesgerichts an den VfGH erachtet er als richtig und gut begründet.

Keine Ausreden

Griller räumt im Gespräch mit dem STANDARD ein, dass die Zeit bei den Corona-Maßnahmen knapp war, dennoch dürfe das nicht als Ausrede für zweifelhafte Rechtssetzung herhalten. "Es wäre möglich gewesen, das besser zu machen", sagt der Professor für Europarecht an der Universität Salzburg. An den Juristen in Gesundheitsministerium oder Verfassungsdienst lägen die rechtsstaatlich umstrittenen Verordnungen nicht. Aus seiner Sicht sind die Defizite "Folge einer Grundhaltung und der Anweisungen von ganz oben", wobei Griller den zuständigen Gesundheitsminister und den Bundeskanzler anspricht. "Wenn von dort kommt, dass berechtigte Kritik an den Verordnungen Spitzfindigkeiten sind, wirkt sich das auf die Qualität der Rechtserzeugung aus."

Griller bezieht sich damit auf Äußerungen von Regierungschef Sebastian Kurz, der Bedenken von Experten zu den Widersprüchen rund um die Ausgangsbeschränkungen als "juristische Spitzfindigkeiten" abgetan hat. Für den Professor ist es essenziell, dass derart eingreifende Maßnahmen mit einer ordentlichen Grundrechtsabwägung einhergehen. Zudem stört ihn, dass an Regelungen trotz grundrechtlicher Bedenken festgehalten worden sei. Er hält es für notwendig, dass Juristen "den Mund aufmachen".

Europarechtsexperte Griller kritisiert diverse Verordnungen.

Wie dürftig die Ausgangssperre umgesetzt wurde, zeigen die eingehobenen Geldbußen. Ein Landesverwaltungsgericht hat beispielsweise in einem Fall entschieden, bei dem ein Mann mit dem Auto zur Wohnung eines Freundes gefahren ist und dafür eine Strafe von 500 Euro ausgefasst hat. Eine Grundlage in der Verordnung gab es dafür nicht. Kleiner Seitenhieb des Gerichts: Dass in Regierungsstatements anders kommuniziert wurde, habe "keine rechtserhebliche Bedeutung".

In einem anderen Fall wurde die Abstandsvorgabe zu haushaltsfremden Personen im Park nicht eingehalten. Dennoch hob das Gericht die Strafe auf, denn beim Betreten des öffentlichen Ortes war der Abstand noch gewahrt. Erst danach kam er einer anderen Person zu nahe. Das war aber genau genommen nicht verboten. (Andreas Schnauder, 15.7.2020)