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Die liberale Margrethe Vestager hatte Apple im August 2016 aufgefordert, eine Milliardensumme in Irland nachzuzahlen, weil das Land dem Konzern eine unzulässige Sonderbehandlung bei den Steuerkonditionen gewährt habe. Der Kommissarin sind innereuropäische Steueroasen ein Dorn im Auge.

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Brüssel/Luxemburg – Wäre Einstimmigkeit aller EU-Länder nötig, hätte das jüngste Vorhaben der EU-Kommission wohl keine Chance. Denn die Behörde erwägt, gegen die Steuerpraxis einiger ihrer Mitgliedsländer vorzugehen. Wie die "Financial Times" berichtet, könnte die Kommission Artikel 116 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union aktivieren – und somit in die nationalen Steuersysteme ihrer Mitglieder eingreifen. Um Steueroasen innerhalb der EU trockenzulegen, braucht es lediglich eine qualifizierte Mehrheit: 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die zusammen 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren.

Zwar berichtet die "Financial Times", dass sich die entsprechenden Pläne in einem sehr frühen Stadium befänden. Allerdings wäre die Maßnahme nicht Brüssels erste, die es auf maßgeschneiderte Steuerpakete für multinationale Konzerne abgesehen hat.

Urteil im Fall Apple

Ein aktuelles Beispiel ist Apple: Die EU-Kommission hatte im August 2016 eine Steuernachzahlung von 13 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2003 bis 2014 gefordert, weil es sich ihrer Ansicht nach um unrechtmäßige Steuervergünstigungen handelte. Irland und auch Apple erhoben Nichtigkeitsklagen vor dem Gericht der Europäischen Union. Für Mittwochvormittag wird ein Urteil erwartet.

Apple zahlt in Irland zu wenig Steuern – zumindest nach Einschätzung der EU-Kommission.
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Verliert die EU in dieser Instanz, steht den Parteien zwar noch offen, vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu ziehen. Das Gericht der Europäischen Union ist diesem nachgeordnet. Allerdings würde eine Niederlage der EU bedeuten, dass ihre Mittel gegen Steuergeschenke an Großkonzerne zahnlos bleiben. Das Urteil könnte also einen Einfluss darauf haben, ob die Kommission per Artikel 116 in die Steuerpolitik ihrer Mitglieder eingreift.

Milliardenschäden durch Steueroasen

Margrethe Vestager, EU-Kommissarin für Wettbewerb und hier im STANDARD-Porträt – sie war es auch, die sich 2016 mit Apple und Irland anlegte –, will gegen informelle Steueroasen in der Union vorgehen, weil sie wettbewerbsverzerrend seien. Länder wie die Niederlande, Luxemburg oder Irland bieten Konzernen attraktive Konditionen, um sich dort niederzulassen und von dort aus im europäischen Markt zu agieren. Das bedeutet auch, dass ein guter Teil der Konzerngewinne dorthin verschoben wird.

Allerdings entgehen anderen EU-Ländern damit viele Milliarden Euro an möglichen Steuereinnahmen. Die Organisation Tax Justice Network rechnet etwa vor, dass in die Niederlande verschobene Unternehmensgewinne im Jahr 2019 in Frankreich zu Steuerausfällen von mehr als 2,4 Milliarden geführt haben. Italien und Deutschland seien im selben Jahr auf diese Weise je 1,4 Milliarden entgangen. Spanien hätte ohne niederländische Steueranreize rund 900 Millionen mehr an Steuern eingenommen, und für Österreich weist die NGO Mindereinnahmen von rund einer halben Milliarde aus.

Die Aktivierung von Artikel 116 setzt voraus, dass die Kommission Verzerrungen des Binnenmarkts durch die Steuerpolitik feststellt. Tut sie das, tritt sie zuerst mit den entsprechenden Ländern in Beratungen ein – und kann Richtlinien vorgeben, falls diese Beratungen ergebnislos verlaufen.

Auch heimische Konzerne verschieben in Oasen

Eine Analyse des Momentum Instituts zeigt, dass 17 der 20 größten börsennotierten Firmen Österreichs bis zu 199 Tochtergesellschaften in Steuersümpfen halten. Das schreibt das Arbeitnehmer-nahe Institut in einer Aussendung anlässlich des Apple-Entscheids. Der Republik seien hochgerechnet auf das Jahr 2018 somit rund 1,3 Milliarden Euro an Steuereinnahmen entgangen. So viel koste die Mindestsicherung, so das Momentum Institut.

In der Aussendung heißt es weiter: "Viele davon befinden sich in der EU, folgt man den Definitionen der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam oder des Tax Justice Network mit seinem Corporate Tax Haven Index." Die einschlägige EU-Liste würde hingegen viele aus politischen Gründen nicht ausweisen, so das Institut. Der Großteil der Profite werde in die Schweiz, nach Irland, die Benelux-Staaten und nach Malta verschoben.

Unter den betroffenen Betrieben sind demnach auch welche, an denen die Republik beteiligt ist: Etwa die Telekom Austria, die OMV, und die Post. Bei der Post hält Österreich sogar die Mehrheit der Anteile.

Für Barbara Blaha, Leiterin des Momentum Instituts, wirft das die grundsätzliche Frage auf: "Wozu benötigen teilstaatliche Unternehmen Briefkastenfirmen in Steueroasen und warum stellt das die Politik nicht einmal im eigenen Einflussbereich ab?"

Der Chef-Ökonom des Arbeitnehmer-nahen Momentum Instituts sieht in den Plänen Brüssels keinen Angriff auf Niedrigsteuerländer, sondern eher eine Verteidigung gegen ausufernden Steuerwettbewerb.

Sparsames Steuerparadies

Besonders die Rolle der Niederlande als europäisches Steuerparadies wurde zuletzt in der Öffentlichkeit des europäischen Südens vehement thematisiert. Schließlich ist das nordeuropäische Land ein Viertel der sogenannten "Sparsamen Vier" – auch Schweden, Dänemark und Österreich gehören dazu –, die beim EU-Aufbaufonds für die Erholung nach der Krise auf Kredite pochen und Zuschüsse für hart getroffene Länder strikt ablehnen.

In diesen Ländern, also beispielsweise in Italien und Spanien, zeigte man sich immer wieder irritiert über die niederländische Haltung – Den Haag sei nicht in erster Linie sparsam, sondern ein Steuerparadies, so Kritiker. (luis, 15.7.2020)