Sheryl Sandberg, US-amerikanische Geschäftsfrau und seit 2008 Co-Geschäftsführerin von Facebook, steht für viele für den liberalen Feminismus.

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"Alle sollen nach der eigenen Façon glücklich werden", schreibt Maren Jasper-Winter. Es ist der erste Grundsatz ihres Thesenpapiers zum liberalen Feminismus, den die deutsche FDP-Politikerin für die parteinahe Friedrich-Naumann-Stiftung verfasst hat. Auch wenn Liberale selten über Feminismus sprechen würden: Im Liberalismus sei der Feminismus schon enthalten, konstatiert Jasper-Winter. Der Schlüsselbegriff dazu findet sich in der Selbstbestimmung. Auf dem Weg zum persönlichen, selbstgeschneiderten Glück erweisen sich traditionelle Geschlechterrollen schließlich als hinderlich.

Eine Gesellschaft, die Frauen etwa den Zugang zu technischen Berufen verwehrt oder sie als ungeeignet für Führungsrollen betrachtet, widerspricht diesem liberalen Grundsatz: Jede und jeder solle sich gemäß den eigenen Talenten und Ideen entfalten können – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung.

Dass es mit der rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter nicht getan ist, gestehen auch staatskritische Liberale ein – davon zeugen schließlich eine klaffende Lohnschere oder die eklatant ungleiche Verteilung von Care-Arbeit.

Die Geschichte des liberalen Kampfs für die Gleichstellung von Frauen mit Männern reicht indes weit zurück: Aktivist*innnen und Denker*innen engagierten sich in der Wahlrechtsrechtsbewegung und wiesen die biologisch begründete Unterdrückung der Frau scharf zurück. So schrieben etwa John Stuart Mill und Harriet Talyor Mill bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gegen die patriarchale Unterordnung der Frauen an, die der Gesellschaft insgesamt schade. Nicht die Natur präge das Wesen der Geschlechter, die hierarchische Geschlechterbeziehung sei gesellschaftlich gemacht.

Von der Hausfrau zur Karrierefrau

Auch als sich feministische Bewegungen zunehmend ausdifferenzierten, blieben liberale Feministinnen – allen voran im angloamerikanischen Raum – durchaus einflussreich. So erzielte die US-amerikanische Autorin Betty Friedan mit ihrem 1963 erschienenen Buch "The Feminine Mystique" (in deutscher Übersetzung "Der Weiblichkeitswahn") einen durchschlagenden Erfolg und prägte die Zweite Frauenbewegung entscheidend mit.

Friedan kritisiert darin die Reduktion von Frauen auf die Rolle als Mutter und Hausfrau, die sie in ihrer individuellen Freiheit beschränke: Statt etwa einer Berufskarriere nachzugehen, würden Frauen sich abmühen, dem Bild der immer lächelnden Ehefrau zu entsprechen, unfähig, die eigene Unzufriedenheit zu artikulieren.

Friedan, die wenige Jahre später die National Organization for Women mitbegründete, stellte freilich weder die Fabrikarbeiterin noch die migrantische Haushaltshilfe ins Zentrum ihrer Überlegungen. Die Autorin stehe für einen privilegierten, weißen Mittelschichtsfeminismus, der blind sei für die Machtverhältnisse zwischen Frauen, so die Kritik, die innerhalb feministischer Bewegungen lauter wurde.

Dem Vorwurf, einen elitären Feminismus zu vertreten, sehen sich liberale Feminist*innen bis heute ausgesetzt. In ihrem Manifest "Feminismus für die 99%" erklären Arruzza, Bhattacharya und Fraser den liberalen Feminismus gar als "bankrott"; linke, transformative Feminist*innen müssten sich ihm entgegenstellen. "Anstatt nach einer Abschaffung der sozialen Hierarchie zu streben, zielt er darauf ab, diese mit mehr 'Diversity' zu versehen, indem er 'talentierte' Frauen zum Aufstieg 'ermächtigt'", so der Befund der Autorinnen. Längst sei ein verwässerter, neoliberaler Feminismus im Mainstream angekommen, den Frauen wie Facebook-Managerin Sheryl Sandberg vertreten: Nicht das gute Leben für alle, sondern die Förderung bereits privilegierter Frauen innerhalb eines ungerechten Systems stehe auf ihrer Agenda.

Shareholder-Value

Welche Vorstellungen von Gerechtigkeit und vom guten Leben ein liberaler Feminismus mit sich bringt, ist freilich auch innerhalb der Schar seiner Anhänger*innen umstritten. So griff die einflussreiche Philosophin Martha Nussbaum feministische Kritik am Liberalismus auf und kritisierte den klassischen Liberalismus, der sich ganz dem freien Markt verschrieben hat.

Wenn Unternehmen "trotz Fachkräftemangels und wissenschaftlich belegter Zusammenhänge von Diversität und Unternehmenserfolg" keine Frauen in die Vorstände holen würden, könne das kaum im Sinne der Shareholder sein, formuliert es Jasper-Winter. (Brigitte Theißl, 16. Juli 2020)