Der Wirecard-Skandal zieht weite Kreise.

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Wien/Aschheim – Aktivitäten des flüchtigen Wirecard-Managers Jan Marsalek sorgen für Diskussionen über die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft (ORFG). In die Schlagzeilen gekommen ist sie, weil ihr Generalsekretär Florian Stermann Nachrichten Marsaleks an die FPÖ weitergeleitet haben soll. Als "Senator" in den Verein aufgenommen wurde Marsalek aber mit den Stimmen auch ÖVP- und SPÖ-naher Funktionäre.

Marsalek war seit 2011 "Senator" der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft, ebenso wie sein Wirecard-Kollege Markus Braun, den die deutsche Finanzaufsicht (Bafin) wegen Verdachts auf Insiderhandel angezeigt hat. Die mittlerweile insolvente Skandalfirma hat den Verein jährlich mit rund 10.000 Euro unterstützt, wie Vizepräsident Christoph Matznetter, ein SPÖ-Abgeordneter, der APA bestätigte. Präsident Richard Schenz – industrienaher Finanzreferent der Wirtschaftskammer – war für ein Gespräch nicht zu erreichen. Auch Generalsekretär Stermann wollte nichts sagen.

Jan Marsalek ist untergetaucht. Die Fahndung gestaltet sich kompliziert.
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Verfassungsschutz und FPÖ

Der frühere Wirecard-Vorstand soll laut Medienberichten Informationen aus dem Verfassungsschutz an die FPÖ weitergeleitet und den Aufbau einer Söldnertruppe in Libyen geplant haben. Letzteres getarnt als Wiederaufbauprojekt und unter Nutzung der Kontakte in der Freundschaftsgesellschaft, in deren Präsidium auch ein Vertreter des Verteidigungsministeriums aktiv ist.

Angesichts der Medienberichte darüber ist die Freundschaftsgesellschaft nun um Distanzierung zu Marsalek bemüht. Der russische Botschafter Dmitri Ljubinski, Ehrenpräsident des Vereins, ließ über einen Sprecher ausrichten, dass die Aktivitäten Marsaleks nichts mit der Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaft zu tun hätten. "Laut mir vorliegenden Informationen hat das nichts mit der Freundschaftsgesellschaft zu tun", sagte auch Matznetter der APA.

Matznetter hat Ex-Vorstände nicht kennengelernt

Matznetter gibt an, sich nicht daran erinnern zu können, die früheren Wirecard-Manager Braun und Marsalek bei Veranstaltungen des Vereines kennengelernt zu haben. Konsequenzen legt der SPÖ-Abgeordnete aber Generalsekretär Stermann nahe, der Informationen Marsaleks an die FPÖ weitergeleitet haben soll: "Ich nehme einmal an, dass Florian Stermann nach Einschätzung der Lage die Konsequenzen daraus ergreifen muss. Wenn nicht, wird man darüber reden müssen, wie es weitergeht."

Der frühere FPÖ-Politiker Johann Gudenus hat seinen Platz im Vereinsvorstand bereits nach der Ibiza-Affäre geräumt. Vorige Woche aufgetauchte Berichte, wonach Marsalek ihm Informationen aus dem BVT zukommen ließ, bestätigt er nicht. Es gebe anscheinend einen Chatverlauf in einem Akt der Staatsanwaltschaft, den er nicht kenne und auf den er keinen Zugriff habe, sagte er. "Das ist jahrelang her, und ich muss mich da prinzipiell daran nicht erinnern", begründete er auf APA-Anfrage.

Gudenus betonte, dass Marsalek seinerzeit mit Zustimmung von Vertretern aller Parteien in den Verein aufgenommen worden sei. Gesehen habe er "diesen Typen" vier oder fünf Mal, und einmal sei er gemeinsam mit Marsalek beim damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gewesen.

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Markus Braun hat sich der Münchner Staatsanwaltschaft gestellt. Der Österreicher gilt als politisch gut vernetzt und saß auch im Thinktank des Bundeskanzlers. Hier sein Porträt im STANDARD.
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Deutscher Konzern mit österreichischer Spitze

In einer der APA vorliegenden Broschüre der Freundschaftsgesellschaft aus dem Jahr 2016 finden sich in der Rubrik "Senatoren" die Logos von Wirecard sowie von 15 weiteren Konzernen, darunter etwa Magna, Novomatic, Strabag und Signa-Holding. Die konkreten Firmenverantwortlichen wurden jedoch nicht genannt.

Dass sich mit Wirecard auch ein deutscher Konzern für die Mitgliedschaft interessierte, begründet Vizepräsident Matznetter so: "Wirecard hat versucht, auch in Russland Geschäfte zu machen. Da verstehe ich schon, wenn zwei Österreicher an der Spitze eines deutschen Konzern da bei uns beitreten."

Insiderverdacht gegen Markus Braun

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat nun auch Wirecards Ex-Vorstandschef Braun wegen Insiderhandels im Visier. Eine Bafin-Sprecherin sagte am Dienstag, man habe bei der Staatsanwaltschaft München Anzeige gegen die MB Beteiligungsgesellschaft erstattet, hinter der Braun steht. Es gehe um den Verkauf von Wirecard-Aktien für 6,6 Millionen Euro am 24. Juni – dem Tag, bevor der Zahlungsabwickler Insolvenz angemeldet hatte.

Weitere Verkäufe für 3,4 Millionen Euro durch MB zwei Tage vorher würden noch untersucht, sagte die Behördensprecherin. Braun war da bereits als Vorstandschef zurückgetreten, nachdem das Unternehmen hatte einräumen müssen, dass 1,9 Milliarden Euro aus seiner Bilanz aller Voraussicht nach nicht existierten.

Nachdem bekannt geworden ist, dass zwei österreichische Wirecard-Manager über ausgezeichnete Kontakte in die Politik verfügen, ist ein Streit zwischen ÖVP und FPÖ entbrannt. Beide Parteien orten Verfehlungen beim jeweils anderen.
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Die Staatsanwaltschaft München ermittelt bereits, ob und inwieweit der Österreicher Braun in die Betrügereien verwickelt ist. Er war am 22. Juni gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Braun war auch größter Einzelaktionär von Wirecard. Den größten Teil seines Aktienpakets von acht Prozent hatte er bereits am 18. und 19. Juni für 155 Millionen Euro verkauft.

Wegen des Kurssturzes der Aktie musste er die Papiere losschlagen, um Nachschusspflichten gegenüber Kreditgebern (Margin Calls) zu erfüllen, wie es damals hieß. Die Bafin erklärte, auch diese Transaktionen würden auf möglichen Insiderhandel überprüft.

Zweifelhafte Aktiengeschäfte

Zweifelhaften Aktiengeschäften im Vorfeld der spektakulären Pleite sind die Finanzaufseher ohnehin schon auf der Spur. Die Bafin hatte am Montag erklärt, einen ersten Insiderverdacht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben zu haben. Laut einem "Handelsblatt"-Bericht geht es dabei um einen Eintrag in einem Online-Börsenforum.

Dort hatte ein anonymer Nutzer geschrieben, dass die Wirtschaftsprüfer von EY die Bilanz von Wirecard nicht uneingeschränkt testieren würden – acht Tage vor der tatsächlichen Verweigerung des Testats. Dem Beitrag zufolge hatte das Wirecard-Management nicht nachweisen können, woher erhebliche Summen als Sicherheiten auf Treuhandkonten stammten. Mitarbeiter hätten diese Information weitergegeben. (APA, Reuters, 15.7.2020)