Die jüngsten Ausschreitungen bei Kundgebungen in Wien-Favoriten haben die Schaffung der Dokumentationsstelle für politischen Islam beflügelt.

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Wien – Viele Vorhaben im Regierungsprogramm wurden durch die Corona-Krise gebremst und auf nächstes Jahr verschoben. Nicht so die neue staatliche Dokumentationsstelle für politischen Islam, die in die Zuständigkeit von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) fällt.

Die jüngsten Ausschreitungen bei Kundgebungen in Wien-Favoriten – Anhänger der rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe attackierten linke Kurdenorganisationen – haben die Schaffung der Dokumentationsstelle beflügelt. Am Mittwoch präsentierte Raab erste Details. Als fachliche Unterstützung holte sie den Extremismusexperten Lorenzo Vidino, der mit Publikationen über die Muslimbruderschaft bekannt wurde, und den Islamwissenschafter und Professor für islamische Religionspädagogik, Mouhanad Khorchide, aufs Podium.

500.000 Euro Anschubbudget

Formal wird die Dokumentationsstelle als unabhängiger Fonds nach dem Bundesstiftungsgesetz firmieren. Wer mit der Leitung betraut wird, steht noch nicht fest, die Stelle wird ausgeschrieben. Raab wiederholte, dass ihr eine Frau als Direktorin am liebsten wäre, am Ende werde aber die fachliche Kompetenz der Bewerber entscheidend sein. Fünf bis sieben Fachexperten und ein wissenschaftlicher Beirat kommen zum Einsatz. Der Sitz der Dokumentationsstelle werde in Wien sein, so Raab ohne genauere Angaben. Zum Start werden 500.000 Euro aus dem Budget des Ministeriums investiert.

Die Aufgaben sind vielfältig. Neben wissenschaftlicher Grundlagenforschung soll die neue staatliche Stelle etwa Vereine durchleuchten, Raab sprach von einem "Mapping von Vereinen". So sollen Organisationen mit "gefährlichen Ideologien" oder ein möglicher Einfluss aus dem Ausland aufgespürt werden. Man werde sich anschauen, welche Vereine "gute Partner" der Behörden seien und welche nicht. Eine mögliche Konsequenz sei etwa die Streichung von Förderungen, bei strafrechtlichen Verdachtsfällen werden die Polizei informiert.

Die Frage, ob auch Atib, der Dachverband türkischer Vereine in Österreich, überprüft werde, beantwortete Raab so: "Das wird die Dokumentationsstelle entscheiden" – sie rechne aber damit.

Direkt in Moscheen

Der wissenschaftliche Beirat soll auch direkt in Moscheen sowie in sozialen Medien nach der Verbreitung radikaler Ideologien Ausschau halten. Voraussetzung für die Tätigkeit sind deshalb gute Sprachkenntnisse.

Für die Integrationsministerin ist die Dokumentationsstelle ein "Meilenstein gegen Extremismus". Es gehe nicht um den Islam als Religion, betonte Raab, sondern um extremistische Ideologien, die unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit unsere Gesellschaft bedrohten. "Wir haben uns in Europa zu lange auf Phänomene wie Jihadismus konzentriert, aber es gibt auch abseits davon gefährliche islamistische Strömungen", sagte Islamwissenschafter Khorchide.

Im Regierungsprogramm war die Dokumentationsstelle inhaltlich deutlich breiter angekündigt: "Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus, für den religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam) und für den Rassismus im 21. Jahrhundert". Dass sich die Meldestelle nun nur dem politischen Islam widmet, begründete Raab damit, dass es für die anderen Themen das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und die Bundesstelle für Sektenfragen gebe.

IGGÖ fordert Einbindung

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) forderte am Mittwoch die Einbindung in die Dokumentationsstelle. Er hoffe, so Präsident Ümit Vural, dass nicht wieder die "türkis-blaue Politik der Ausgrenzung" fortgesetzt werde.

Die Dokumentationsstelle soll in den kommenmden Wochen, wenn entschieden ist, wer die Leitung übernimmt, ihre Arbeit aufnehmen. Neben Jahresberichten sollen auch Studien und die Ergebnisse von Einzelprojekten veröffentlicht werden. (Michael Simoner, 15.7.2020)