Was macht ein griechischer Student im schottischen Aberdeen, der wegen der Corona-Krise nach Hause will, dessen Flüge aber alle gestrichen wurden? Richtig: Er kauft sich ein altes Rennrad, eine Campingmatratze, ein kleines Zelt und fährt mit Muskelkraft nach Athen.

Zumindest Kleon Papadimitriou hat das so gemacht. Wie hart die mehr als 4.000 Kilometer lange Reise werden würde, wusste er im Vorhinein nicht – und wahrscheinlich hätte er sich sonst erst gar nicht auf das Rad gesetzt. So aber hat er jetzt ein Abenteuer auf seinem Erlebniskonto, das man ihm erst einmal nachmachen muss.

Sorge vor Lockdown: Nichts wie weg!

Begonnen habe alles im April, erzählte Kleon dieser Tage dem Sender CNN und mehreren Social-Media-Diensten. Der britische Premierminister Boris Johnson hatte die Corona-Epidemie in seinem Land lange Zeit negiert und verharmlost, dann war er selber erkrankt. Kleon befürchtete, auf lange Monate in Schottland festzuhängen, wenn es zu strikten Lockdown-Maßnahmen kommen sollte. Also buchte er drei Flüge nach Hause – aber alle drei wurden gecancelt. Er saß fest. Oder doch nicht?

Kleon rief seine Eltern an, über die er erzählt, dass sie selbst abenteuerlustige Menschen gewesen seien. Er schilderte ihnen seine Idee, mit dem Rad nach Hause zu kommen: Schottland, England, dann mit der Fähre aufs Festland. Weitere Stationen: Niederlande, Deutschland, Österreich, Italien. Dann rauf auf die Griechenland-Fähre, die letzten Kilometer dann wieder per Rad. Über die Grenzen würde er schon irgendwie kommen. Die Eltern sagten zu – unter einer Bedingung: Er müsse sich am Handy tracken lassen, damit sie stets wüssten, wo er gerade unterwegs sei. Deal!

Kleon hatte kaum mit dem Okay der Eltern gerechnet – eher schon damit, dass sie sein Vorhaben als jugendliche Spinnerei abtun würden. Doch so machte er sich nun an die Vorbereitung. Ein bisschen im Training war er ja, im vergangenen Jahr hatte er sogar an einem kleinen Rennen teilgenommen. Wie schwer könnte der Trip also schon sein?

Tour de Force

"Erst jetzt dämmert es mir, wie groß diese Unternehmung eigentlich war", erzählt Kleon dem Channel CNN Travel nach der Beendigung seiner 48-tägigen Tour de Force. "Und ich habe eine Menge über mich gelernt, über meine Grenzen, meine Stärken und Schwächen."

Der Start zu dieser Tour der Selbsterkenntnis war am 10. Mai. Immer schön Richtung Süden mit Tagesetappen zwischen 60 und 120 Kilometern – eine Leistung, die schon ohne Gepäck beachtlich wäre für einen Hobbyradler.

2019 spulten die Athleten auf der Tour de France 3.365,8 Kilometer ab, aufgeteilt auf 21 Etappen. Während des Rennens gibt es Verpflegung und taktische Hilfestellung durch den Teamchef oder Teamkollegen. Kleon hingegen war allein auf sich selbst gestellt. Und am Abend gab es auch keine Massage und kein reichhaltiges Abendessen in einem gemütlichen Hotel, sondern zumeist eine dünne Matratze in einem engen Zelt, dazu im Regelfall Dosennahrung – zum Beispiel Sardinen und Erdnussbutter mit Brot. Ab und zu Pizza oder Fish 'n' Chips.

Auf seinem Weg fand er ab und zu Unterschlupf bei Freunden und Bekannten, dort hatte er dann für eine Nacht eine heiße Dusche und ein weiches Bett, doch dann ging es weiter. In den Niederlanden und Deutschland, wo er nach Möglichkeit dem Rhein folgte, war es vergleichsweise flach. Doch in Bayern und auf seiner Österreich-Etappe bis zum Grenzübergang Thörl-Maglern/Tarvisio kamen schon zahlreiche Höhenmeter zusammen. Ab hier ging es wieder bergab durch das Kanaltal nach Udine. Und dann lag vor ihm die brettlebene Landschaft der Po-Ebene – bis er auf die Fähre nach Patras rollen konnte.

Tägliche Routine

Der typische Tagesablauf, so erzählt der 20-Jährige, lief immer gleich ab: früher Aufbruch, schauen, wie weit man kommt und ob die tags zuvor geplante Route auch tatsächlich so befahrbar ist. Am Abend dann Tagebuch, Planung für den nächsten Tag, Kontakt mit Freunden und Eltern. Nach und nach wurden immer mehr Leute auf seine Instagram-Fotos und sein Facebook-Profil aufmerksam. Am Ende der Reise hatte er über 1500 Follower – für einen Influencer so gut wie nichts; für einen einsamen, nach Eigendefinition "eher introvertierten" Abenteurer, der kein Eigenmarketing betreibt, aber eine ganze Menge.

Am 48. Tag seines Radmarathons kam Kleon tatsächlich zu Hause in einem Vorort von Athen an. Dort erwarteten ihn jubelnd nicht nur seine Eltern und Dutzende Freunde, sondern auch viele wildfremde Personen, die seinen Trip über die sozialen Medien verfolgt hatten.

"Es war sehr emotional", gibt Kleon zu und sinniert im Gespräch mit CNN über sich selbst: "Ich habe jetzt mehr Selbstvertrauen, ich glaube mehr an meine Fähigkeiten." Und er fügt hinzu: "Ich hoffe, dass mein Trip mindestens einen weiteren Menschen dazu inspiriert, seine Komfortzone zu verlassen und etwas Neues, etwas Großes auszuprobieren. Denn du wirst viel über dich selbst lernen und dich selbst überraschen." (gian, 16.7.2020)