Keine Angst, in dieser Analyse geht es nicht um erotische Fesselspielfantasien mit dem Bürgermeister. Für den gelernten Politfetischisten können die Stimuli “Parteiapparat, Macht und Machtbewusstsein“ aber durchaus ein gewisses romantisches Knistern auslösen, denn nicht nur die Temperaturen steigen im Hochsommer an, auch in den Parteizentralen beginnt es zu brodeln. Die schwüle Politstimmung in der Bundeshauptstadt hat einen einfachen Grund - trotz scheinbar klarer Umfrageergebnisse weiß niemand wirklich, ob der momentane Bürgermeister Michael Ludwig im Amt bestätigt wird.

Shades of Ludwig

Die Kernfrage um die sich die gesamte Wahl im Oktober in Wien drehen wird ist, ob der Amtsinhaber bereits über ein ausreichend eigenständiges Profil bei den Bürgerinnen und Bürger verfügt und wenn ja, welche “Facetten“ und Merkmale sie mit dem SPÖ-Wien-Chef verbinden. Damit steht und fällt die Wirkkraft der letzten wirklich mächtigen SPÖ Landesgruppe neben Kärnten und Burgenland. Assoziieren die Menschen mit Ludwig den Bürgermeister oder hatte er noch nicht die Zeit in die großen Fußstapfen Michael Häupls zu treten? Die sozialdemokratische Bewegung wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um eine positive emotionale Prägung in freier Assoziation zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Wiener Zoologen und Medizin-Nobelpreisträgers Konrad Lorenz zu bewerkstelligen. Mit dem Unterschied, dass die Wählerinnen und Wähler wahrscheinlich niemandem uneingeschränkt wie die Gänse nachlaufen werden.

Bleibt Ludwig Bürgermeister?
Foto: APA/HANS PUNZ

Romantiker der Macht

Der studierte Politikwissenschafter ist ein Politiker der alten Schule und Kenner des Wiener Machtapparates von der Partei bis über die hochkomplexe Beamtenstruktur hinaus. Er kennt die Spielregeln des Systems SPÖ in Wien und denkt eher weniger in modernen Social-Media-Kategorien. Der sozialpartnerschaftlich tickende Bürgermeister wird in den kommenden Monaten alles tun, um sein “Unternehmen“- die Stadt ist der größte Arbeitgeber Wiens - derart zu optimieren und zu modernisieren, um diese optimal auf die Bedürfnisse und Anforderungen der Zukunft und der Wählerschaft abzustimmen. Alte Parteibuchpolitik hat hier ebenso wenig Platz, wie das spontane Einsetzen von Wunderwuzzis oder Quereinsteigern, denn die Wiener Seele ist komplex und jeder zu große Eingriff in das sensible Gefüge der sozialen Struktur kann bestimmte Risiken beinhalten.

Hirn vor Herz

Ludwig ist kein emotionaler Sensitizer. Das heißt, er ist niemand der schnell impulsiv auf Bedrohungen reagiert und sich damit verbundenen Reizen im Übermaß zuwendet. Dies konnte man bei seinem besonnenen und ruhigen Corona-Management gut beobachten. Angst und Panikreaktionen sind nicht das Seine. Er reflektiert bevor er zu schnell oder gar überreagiert. Zuerst denken und dann reden trifft auf ihn zu wie die Faust aufs Auge. Die Kampagne “Mit Herz und Hirn für Wien“ ist an sich gut angelegt wobei bei Ludwig sicher das Hirn die dominante Facette darstellt.

Interessantes Detail am Rande des Polit-Profilings ist, dass der Stadtvater seine Dissertation einst über die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) verfasste. Seine individuelle Kernprägung liegt sicher in den Werten der Sozialdemokratie vor einer Ära der Tony Blairs oder Gerhard Schröders und des aufkommenden Neoliberalismus - im roten Wien in Zeiten zunehmender sozialer Spannungen nicht unbedingt ein Nachteil. Wenn es ihm gelingt, die erneut aufkeimende Migrationsthematik in Favoriten und darüber hinaus in feinfühlig “sozial"-technischer Manier zu managen, dann steht einer Verlängerung seiner Amtszeit nicht viel im Wege. Sollten Sie nun aufgrund des doch eher sachlichen Textes enttäuscht sein, keine Angst, der Wahlkampf wird noch geil. (Daniel Witzeling, 21.7.2020)

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