Fußball- und Bankchef Pucher hat seinen Posten geräumt.

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In Mattersburg und um Mattersburg herum hatten die Menschen am Mittwoch nur ein Gesprächsthema. Und sie benutzten dabei Worte, die wohl auch die Neos-Abgeordnete Krisper hätten erröten lassen. Man war sozusagen erschüttert, erzürnt, erbost oder zumindest erstaunt – oder auch nicht, denn es waren auch solche unterwegs, die es eh immer schon gewusst haben.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch hat die Finanzmarktaufsicht nämlich die regionale Privatbank, die Commerzialbank Mattersburg, per Bescheid und mit sofortiger Wirkung zugesperrt. Bei einer Prüfung erhärtete sich für die Prüfer der Verdacht schwerer Malversation. Über viele Jahre hinweg seien Bilanzen frisiert worden, sodass die Bilanzsumme von rund 800 Millionen Euro, obwohl testiert, ihnen nicht einleuchten wollte.

Schließung zu Mitternacht

Um einen Bank-Run zu verhindern, wurde die Schließung um Mitternacht verfügt. Mittwochfrüh waren dann alle neun Filialen geschlossen. Der Direktor Martin Pucher ist in der Nacht noch zurückgetreten, mit ihm der gesamte Vorstand. Für die Bank wurde als Regierungskommissär Bernhard Mechtler bestellt.

Auch die Zentrale in der Mattersburger Judengasse war am Mittwoch geschlossen. Hinein durften nur die Prüfer und die Beamten der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.
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Pucher hat Selbstanzeige erstattet. Die Sache wurde der Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Hausdurchsuchungen fanden – und finden wohl noch länger – statt. Die Justiz sammelt Belege – auch schon mal als mögliche Beweise.

Rufe nach Schadenersatz

"Ich war genauso geschockt wie viele andere. Das ist eine menschliche Katastrophe für viele Privatpersonen und Firmen", sagte auch die Mattersburger Bürgermeisterin Ingrid Salamon (SPÖ) am Donnerstag. Viele Betroffene hätten sich bereits gemeldet, um nachzufragen, wie es nun weitergehe, erzählte Salamon. Ihnen habe man Auskunft erteilt und auf die Initiativen des Landes verwiesen. Auf der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg gibt es für betroffene Bankkunden etwa die Möglichkeit zur Beratung durch Mitarbeiter der Schuldnerberatung, des Konsumentenschutzes und der Bankenombudsstelle.

Ähnlich wie bei Wirecard wird auch die Rolle der Wirtschaftsprüfer noch ein Thema werden. Die Mattersburger Bank wurde von 2006 bis 2018 von der TPA geprüft. Die bezeichnete sich am Mittwoch prompt als Opfer des mutmaßlichen Betrugs. Am Donnerstag wurden schließlich erste Rufe nach Schadenersatz laut. So meint etwa der Wiener Anlegeranwalt Ingo Kapsch, dass mögliche Haftungsansprüche bei einem Fehlverhalten der Prüfer bei mehreren Millionen Euro pro Jahresabschluss liegen könnten.

Doskozil: Liquidierung

Dass die Bank weitergeführt werden kann, scheint sehr fraglich bis ausgeschlossen. SP-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hat in einer eilig einberufenen Pressekonferenz erklärt: "An einen Fortbestand ist in keinster Weise zu denken. Die Bank ist zu liquidieren." Und in diesem Fall darf man dem Landeshauptmann den Superlativ von "kein" wohl auch durchgehen lassen.

Der ÖVP Burgenland geht das nicht weit genug. Landesparteiobmann Christian Sagartz hat am Donnerstag eine Soforthilfe des Landes für Gemeinden und Betriebe, die vom Bilanzskandal rund um die Commerzialbank Mattersburg betroffen sind, gefordert.

Im Zentrum der Ermittlungen steht nun klarerweise Martin Pucher. Er hat die Bank vor 25 Jahren ins Leben gerufen. Ursprünglich war sie die regionale Raiffeisen-Genossenschaft im Mattersburger Bezirk. Pucher überzeugte damals die Genossen – hauptsächlich Gewerbetreibende und Landwirte – davon, dass die Overhead-Kosten bei Raiffeisen, die sich damals rasant internationalisierte, weitaus zu hoch seien. Es käme also billiger, eine eigenständige kleine regionale Bank zu gründen. Heute gehört die Commerzialbank einer Kreditgenossenschaft, an der Pucher und andere Banknahe Anteile halten.

Gemeinden betroffen

Nach jüngsten Darstellungen hatte die Commerzialbank zuletzt rund 13.500 aktive Kunden. Stark betroffen vom Shutdown und der offenbar bevorstehenden Liquidierung sind freilich die regionale Wirtschaft und die Gemeinden, die dort ihre Konten führten.

In Mattersburg selbst, wo die Bank ihre Zentrale hat, planten etwa die Gemeinde und die Bank ein neues Stadtzentrum, wohin auch das Rathaus übersiedeln sollte. 30 Millionen schwer ist dieses "Impulszentrum". Die Commerzialbank finanziert. Der Grund gehört Pucher. Die Stadtgemeinde rechne dennoch mit keinem finanziellen Schaden, so Bürgermeisterin Salamon.

Das Land ist in der kleinen Privatbank nicht veranlagt. Sehr wohl aber die landeseigene Energie Burgenland. Die ließ verlauten: "Vorbehaltlich der weiteren Entwicklungen ist davon auszugehen, dass daraus eine negative Auswirkung auf das Jahresergebnis in der Höhe von höchstens einem mittleren einstelligen Millionenbetrag zu erwarten ist."

An der Börse brachen die Aktien des Technologiekonzerns Frequentis ein. Das Unternehmen hat 31 Millionen Euro bei der Commerzialbank veranlagt. Laut einem Bericht der APA bangt auch die CTS-Austro-Eventim-Tochter Barracuda um 34 Millionen Euro.

Auch bei kleineren Unternehmen könnte es durchaus ans Eingemachte gehen. Das Land hat darum eine entsprechende Hotline eingerichtet. Einlagen bis zu 100.000 Euro pro Kopf und Konto sind durch die Einlagensicherung gedeckt. Viele freilich, so Landeshauptmann Doskozil, "werden höchstwahrscheinlich am Ende des Tages sehr viel Geld verlieren".

"Geht ins Strafrecht"

Doskozil, den die Finanzmarktaufsicht noch in der Nacht informiert hatte, zeigte sich auch "wirklich persönlich berührt, ich kann mir nicht vorstellen, was in einem Menschen wie dem Martin Pucher vorgeht, den bis jetzt sehr viele als Persönlichkeit geschätzt haben. So etwas zu machen, sich für so etwas herzugeben: Das sind wirklich strafrechtliche Delikte." Am Zug ist die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die von der FMA eingeschaltet wurde.

Martin Pucher war einer, der mehr war als der Chef einer kleinen Bank. Mit dem SV Mattersburg ist er verantwortlich dafür, dass die kleine burgenländische Bezirksstadt weithin bekannt ist.

Eigentor für SVM

Als Obmann führte er mit der Bank als Sponsor den SVM von der zweiten Landes- bis in die Bundesliga. Er war der Mentor der burgenländischen Fußballakademie, an der der Verein beteiligt ist. Er war ein umsichtiger Bundesligapräsident, Erfinder des sogenannten Österreicher-Topfs, aus dem jene Vereine gespeist werden, die heimischen Kickern den Vorzug geben. Beim SVM steht aufgrund des Bilanzskandals um seinen Großsponsor Mattersburger Commerzialbank weiter die Existenzfrage im Raum. "Wir harren der Informationen, wie es im Club weitergeht und wer nach der Rücktrittsankündigung von Präsident Martin Pucher die Vereinsorgane und in weiterer Folge für uns Ansprechpartner ist", sagte Liga-Vorstand Christian Ebenbauer. (Renate Graber, Wolfgang Weisgram, red, 16.7.2020)