Gerhard Strejcek lehrt am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. Im Gastkommentar fordert er eine gründlichere Bundesheerdebatte und weniger Polemik. Und er stellt die Frage in den Raum, warum nicht F-18 aus der Schweiz den Luftraum über Vorarlberg und Tirol sichern sollten. In einem weiteren Gastkommentar kritisiert der ehemalige Chef des Generalstabs des österreichischen Bundesheeres Edmund Entacher, dass Klaudia Tanner bei den Themen Luftraumüberwachung und Hubschrauber mit Blendgranaten um sich werfe.

Die alten Saab 105 werden "ausgephast", mit Eurofighter-Hersteller Airbus wird ein Vertragsausstieg angepeilt.
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Die letzten Wochen standen schwankend-oszillierende Reformvorschläge und eine dementsprechend harte Kritik an der Vorgangsweise der Verteidigungsministerin Klaudia Tanner auf der Tagesordnung. Gewiss hatte diese Kritik Substanz, aber dennoch darf man die Amtsvorgänger nicht aus der Pflicht entlassen. Sie hatten durchwegs alle Probleme, die Kernaufgaben des Bundesheers zu definieren und diesem jene Ressourcen, also Material, aber auch das geeignete Ausbildungsumfeld und den modernen gesetzlichen Rahmen zuzuführen, den diese verfassungsmäßige Einrichtung braucht oder gebraucht hätte.

Auffällig war schon der Zickzackkurs, den die Amtsvorgänger Norbert Darabos, Gerald Klug, Hans Peter Doskozil und Mario Kunasek gefahren sind, wogegen uns in der kurzen Phase der Bierlein-Regierung aus der Expertensicht eines hochrangigen Offiziers das wahre Ausmaß der Dramatik vor Augen geführt wurde, als sogar die Absage der Heeresschau am Nationalfeiertag 2019 im Raum stand. Aber auch diese Epoche, in der Zeit für sachliche Reformvorschläge bestand, wurde nur suboptimal genutzt.

Nicht bloß zur Schau

Die anstehenden Richtungsentscheidungen sollten sich an der Verfassung orientieren und dabei auch den Worten "Unverletzlichkeit des Gebiets" und "Schutz seiner Unabhängigkeit" gerecht werden, die den Zweck des Neutralitäts-Bundesverfassungsgesetzes umschreiben. Dass die Kontrolle des Luftraums und der Schutz vor äußeren Bedrohungen eine Kernaufgabe des Bundesheers darstellt, muss im Lichte der Definition von "militärischer Landesverteidigung" als unbestritten gelten. Auch völkerrechtlich betrachtet muss das Heer zumindest eine Mindesteffektivität erreichen.

Die Bundesverfassung weist der militärischen Aufgabe im Rahmen der umfassenden Landesverteidigung eindeutig Priorität zu. Wie diese Aufgabe aber gemeistert wird, ist eine Ressourcenfrage, die zudem einige rechtliche Implikationen hat. Meines Erachtens darf sich das Bundesheer nicht auf ein paar Schaupanzer und anderes schweres Gerät reduzieren lassen, vielmehr muss es in allen modernen Waffengattungen präsent bleiben, vor allem zu Land und in der Luft, wegen der Binnenlage im nötigen Ausmaß auch zu Wasser und natürlich in der "vierten Dimension", dem Internet. Auch das Problem der Typenwahl bei Militärflugzeugen und Abfangjägern steht mit den Verfassungsvorgaben im Zusammenhang.

Kooperation in der Luft

Möchte Österreich einen strikten Neutralitätskurs fahren, so muss es entweder autark bleiben oder sich einer Kooperation mit der Schweiz annähern, was im Westen unseres Landes auch militärisch sinnvoll ist. Die Schweiz verfügt mit modernen F-18 (und Vorgängern) über effektives Material, um auch den Luftraum zu sichern, der über ihr eigenes Gebiet hinausreicht. Dass die Flieger in Graubünden mehr oder minder bergauf und bergab trainieren müssen, statt auch Vorarlberg und Tirol abzudecken, könnte hinterfragt werden. Wenn sich Österreich angesichts seiner Solidaritätsaufgaben in der EU stärker in die durchwegs der Nato angehörenden Nachbarn eingebettet sieht, stünde einer besseren Kooperation mit der Tschechischen Republik und mit Italien nichts im Wege. Österreich könnte so schrittweise die teuren Eurofighter ausmustern und sich einer billigeren Lösung zuwenden.

Ein Nachfolger für die Jettrainer Saab 105 wird sich aber finden müssen, weil unser Land auf jeden Fall gute Militärpiloten braucht, die die Topografie kennen. Die Trittbrettfahrerei wird nicht so weit gehen können, auch deren Ausbildung zu dislozieren – obwohl selbst das eine zumindest überlegenswerte Option sein könnte. Zudem sind Erdkampfflugzeuge, aus Laiensicht gesagt, effektiver zur Drohnenbekämpfung, sie haben zudem auch ein Einschüchterungspotenzial, wie die Teilmobilisierung im Jugoslawienkrieg gezeigt hat. Ob der potenzielle Gegner wirklich in Form von Überschallflugzeugen auf Österreich zukommt oder ob es sich nicht eher um die für heute typischen hybriden Bedrohungsszenarien (auch mit terroristischem Hintergrund) handeln könnte, sollen Experten beurteilen. Die Vernunft spricht gegen eine Preisgabe der Luftraumüberwachung, für ein Nicht-Nato-Mitglied ist sie auch nicht delegierbar.

Falsche Prioritäten

Rechtlich ist auch der Schutz von verfassungsmäßigen Einrichtungen, der Demokratie, der Freiheit der Bürger und – hilfsweise – der inneren Sicherheit ein Thema. Dass das Bundesheer gerade mit der dritten Säule der Katastrophenbekämpfung das Herz und die Sorgen der Österreicher bei Elementarereignissen wirksam erreicht, ist ein Faktum, ja ein Gemeinplatz. Die Prioritätensetzung sollte aber der Verfassung entsprechen, und daher darf das Bundesheer nicht zu einem Mittelding aus Feuerwehr und (deutschem) TÜV oder Katastrophenschutz degradiert werden. Die graduelle Verteilung der Aufgaben, auch was "wirtschaftliche" und "geistige" Landesverteidigung betrifft, ist von der Verfassung aber nicht vorgegeben und eröffnet Spielräume. Ich vermisse auch die Aktivitäten des Bundesheers in den Schulen, wie ich sie noch selbst Ende der 1970er-Jahre erlebt habe. Das Bundesheer setzte damals auf den "Igel", der sich wehren kann, obwohl er klein ist, was auch den Schülern gut zu vermitteln war, die ja die künftigen Träger auch der Landesverteidigung sind. Das Bundesheer wirft diesen hohen immateriellen Wert zu wenig in die Waagschale, um bessere Ressourcen zu erhalten.

Wie die Aufteilung der Aufgaben zwischen Polizei und Heer zu treffen ist, bedarf daher einer gründlicheren Debatte, als sie derzeit in eher fruchtloser Polemik geführt wird. Die Verfassung ermöglicht es auch, die Bundesländer bei "Ergänzung, Verpflegung und Unterbringung" sowie Beistellung sonstiger Erfordernisse in die Pflicht zu nehmen. Somit ist nicht nur der Bund gefragt, und dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen auch mitreden möchte, ist angesichts des formellen Oberbefehls und der Offiziersernennungen nicht abwegig. Deshalb darf es in der Bundesheerdebatte keine Denkverbote geben. Die Ministerin soll eine Chance bekommen, mit ihren Experten und Expertinnen die anstehenden Probleme zu lösen. Immerhin ist das Bundesheer selbst eine schützenswerte Verfassungseinrichtung. (Gerhard Strejcek, 16.7.2020)