Das Bild war Teil einer Dokumentation, die jahrelang unter gastarbeiterroute.com abrufbar war. Die Seite ist leider weg – die Erinnerungen an die langen Fahrten nicht.

Foto: gastarbiterroute.com

Abgesehen von den Kriegsjahren in den 1990ern ist die aktuelle Corona-Krise für viele Menschen aus Ex-Jugoslawien die längste Zeitspanne, in der sie nicht "runterfahren" können. Anders als viele andere Gastarbeiter, Auswanderer oder ehemalige Flüchtlinge haben es jene, die Österreich zu ihrer neuen Heimat gemacht haben, eigentlich leicht: Zu Zeiten Jugoslawiens mussten sie die kürzeste Strecke auf der sogenannten Gastarbeiterroute zurücklegen und lediglich eine Staatsgrenze, samt elend langer Wartezeiten, bewältigen.

Gastarbeiterroute

Es gibt einen bösartigen (es gibt eigentlich nur solche) Gastarbeiterwitz, der ungefähr so lautet: In Österreich sind nur jene Gastarbeiter hängen geblieben, die unfähig waren, weiter zu kommen und sich in Deutschland zurechtzufinden. Das berüchtigte Körnchen Wahrheit steckt hier aber nicht in der Unfähigkeit, sondern vermutlich in der Bequemlichkeit.

Als (Ex-)Jugoslawe und Gastarbeiter in Österreich hat man zwar jahrzehntelang viel schlechter verdient als in Deutschland. Doch dafür war man nach einem halben Tag Reise auch schon wieder bei den alten Eltern. Oder auch den eigenen Kindern, die Großeltern oder andere Verwandte manchmal gehütet haben. Nicht wenige Gastarbeiter machten sich jedes zweite Wochenende auf den Weg in die alte Heimat. Oft müde und überarbeitet. Davon zeugen die Zahlen der Unfallopfer auf der Strecke München–Istanbul in den 1970er- und 1980er-Jahren.

Sehnsucht "Urlap"

Und dann natürlich der Sommerurlaub. "Urlap" – die sehnsuchtsvolle Zeit, in der kein Vorarbeiter, keine Stechuhr und kein Fahrplan den Tag bestimmt. Ein paar Tage an der Adria vielleicht. Aber für viele auch malochen auf einer weiteren Baustelle, nämlich der für das heißersehnte Eigenheim. Dann aber auch dutzende Verwandtenbesuche absolvieren, Geschenke austeilen, Feste feiern.

Für die Kinder und Jugendlichen, die zweite Generation, die Jugoschwabos, war und ist die Zeit "unten" nicht minder wichtig. Oma und Opa wiedersehen. Cousinen und Cousins treffen, ein wenig angeben, ein wenig flirten vielleicht (nicht mit den Cousinen, die Oma überwacht alles ganz genau!). Die Eltern sind in der alten Heimat oft nachgiebiger, weniger streng. Erinnerungen werden gesammelt, Sprachkenntnisse aufgebessert.

Heuer fällt das alles weg. Die ganz Braven werden nicht einmal an die kroatische Adria fahren, werden sogar vielleicht zum ersten Mal Urlaub in Österreich machen. Das wird auch schön sein, aber der idealisierte und verklärte Heimaturlaub fehlt trotzdem. Der Verzicht ist nicht vergleichbar mit der Stornierung des alljährliche All-inclusive-Aufenthalts am Mittelmeer. Denn "runterfahren" ist viel mehr als ein Sommerurlaub. Es war und ist noch immer die Erholung für hart arbeitende Hände, aber eben auch fürs Herz. (Olivera Stajić, 16.7.2020)