In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Nächstes Jahr wird es hoffentlich erste, wirksame Impfungen gegen das neue Coronavirus geben. Damit sie fair verteilt werden und auch ärmere Länder Zugang zu Impfstoffen haben, hat die Impfallianz Gavi gemeinsam mit der Cepi-Koalition und der Weltgesundheitsorganisation einen globalen Impfmechanismus ins Leben gerufen. Er soll dafür sorgen, dass Impfungen produziert werden, bevor alle notwendigen Studien beendet sind. Wirken sie, spart das wertvolle Zeit. Idealerweise würde sich alle Länder der Welt beteiligen, sagt Geschäftsführer Seth Berkley. Das könnte nicht nur Kosten sparen, sondern würde ärmeren Ländern hunderte Millionen Impfdosen garantieren.

Wer wird zuerst geimpft? Die Impfallianz Gavi setzt sich für faire Mechanismen ein. Im Bild: Zwei Frauen in Dhaka, Bangladesch, werden gegen Cholera geimpft.
Foto: EPA / MONIRUL ALAM

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STANDARD: Gavi hat angekündigt, zwei Milliarden Dollar für den Start für seine Covid-Bemühungen zu benötigen. Wie weit sind Sie?

Berkley: Wir haben zu Beginn etwa 500 Millionen Dollar bei einer Geberkonferenz bekommen, um Impfungen für ärmere Länder zu kaufen. Wir versuchen derzeit, auf die reichen Länder zuzugehen. Es gibt einige, die bereits gesagt haben, dass sie sich auf eigene Faust Impfungen holen. Vielleicht haben sie Erfolg, vielleicht aber auch nicht. Fest steht: Wenn sie alle Impfdosen aufkaufen, gibt es keine für den Rest. Wir versuchen das so zu organisieren, dass jedes Land der Welt etwas bekommt. Wenn jedes Land einmal die Menschen mit hohem Risiko und das Gesundheitspersonal impft, hat das einen dramatischen Effekt auf die Pandemie.

STANDARD: Wie soll der sogenannte Covax-Mechanismus genau funktionieren?

Berkley: Normalerweise dauert es zehn bis 15 Jahre, um eine Impfung zu produzieren. Es braucht viel klinische Arbeit, Experimente, Testungen, Adaptierungen, und wenn man sich sicher ist, dass sie funktioniert, wird damit begonnen, Infrastruktur dafür aufzubauen. Wir versuchen all das auf einmal zu machen. Wir lassen Impfstoffe produzieren, bevor wir wissen, ob sie funktionieren. Wichtig ist, nicht nur ein oder zwei zu haben, wir haben neun im Portfolio, wollen aber mehr. Wenn ein Produkt nicht vielversprechend ist, fliegt es raus, und wir versuchen die Infrastruktur für andere Impfstoffe zu nutzen.

STANDARD: Wenn Sie das Geld haben: Was ist der nächste Schritt?

Berkley: Die zwei Milliarden sind ein Anfang, wir wissen nicht, welcher Impfstoff am Ende funktioniert, wie einfach er zu produzieren ist, ob man ein, zwei oder drei Dosen davon braucht. Wir wissen also nicht, wie viel Geld wir brauchen. Unser Ziel ist, bis zum Ende des nächsten Jahres zwei Milliarden Dosen zu produzieren. 950 Millionen davon sollen an reichere Länder gehen, 950 Millionen an ärmere und 100 Millionen als Reserve für die Weltgesundheitsorganisation, für Ausbrüche oder humanitäre Notsituationen.

STANDARD: Warum sollten das reiche Länder wie die USA oder Österreich nicht einfach selbst in die Hand nehmen?

Berkley: Österreich könnte das selbst probieren und Verträge verhandeln. Wir haben schon neun Verträge, und da steckt viel Arbeit und Geld dahinter. Das wird für einzelne Länder nicht einfach. Wenn das jeder für sich macht, wird das außerdem ein Chaos. Dazu kommt: Vielleicht hat man Verträge für Impfstoffe, die dann doch nicht funktionieren. Dann muss man sich plötzlich wieder ganz hinten anstellen. Das ist auch bei den USA so, hier ist aber der Unterschied, dass die USA wegen ihrer Größe und Macht das vielleicht alleine schaffen würden. Nur: Das Problem ist nicht gelöst, wenn ganz USA geimpft ist. Keine Impfung hilft zu hundert Prozent, auf der Welt gibt es das Virus noch, das ist mühsam, wenn man verreisen, Geschäfte machen und handeln will. Wenn der Virus weiter zirkuliert, kann er auch mutieren. Dieses globale Problem lässt sich nur global lösen.

STANDARD: Die internationale Kooperation funktioniert gerade nicht so gut. Die USA sind aus der Weltgesundheitsorganisation ausgetreten. Wie optimistisch sind Sie?

Berkley: Das Gute ist: Wir haben jetzt ein wenig Zeit, das Ganze zu koordinieren. Bei Masken und Material hat es ja schon einmal nicht funktioniert. Da hat jeder für sich eingekauft. Aber jetzt ist jeder auf der Welt in Gefahr. Das Virus war innerhalb von drei Monaten von einem Land, China, in 180 Ländern. Werden sie alle kooperieren? Nein. Aber wir brauchen auch nicht alle, es reicht eine kritische Masse an Ländern und Unternehmen. Für die USA wäre es auch eine Art von Versicherung. Sie haben derzeit vier Impfungen im Portfolio, was, wenn keiner davon funktioniert? Was, wenn sie zu viel haben? Verteilen sie sie dann an ein paar befreundete Länder? Oder sollte es nicht besser einen fairen Mechanismus geben?

STANDARD: Warum haben Sie noch nicht das ganze Geld? Die Zeit drängt.

Berkley: Jeder Tag zählt. Der wirtschaftliche Schaden durch das Virus ist so groß, dass sich unsere Arbeit, wenn durch sie die Impfung fünf Tage früher kommt, von selbst bezahlt. Wir versuchen die Impfung aber sechs bis acht Monate schneller in Masse zu produzieren. Wir verlieren 357 Milliarden Dollar an globaler Wirtschaftsleistung im Monat. Wir stehen aber am Anfang unseres Bemühens, wir haben noch kein offizielles Fundraising gestartet. Es ist nicht garantiert, dass unser Unterfangen gelingt, ich bin aber nicht pessimistisch.

STANDARD: Sind zwei Milliarden Dosen in gut einem Jahr nicht doch sehr optimistisch?

Berkley: Ich weiß nicht, wie viel wir genau schaffen, aber sicher eine Menge. Was wir aber nicht wissen, ist, ob die Impfstoffe, die wir produzieren, wirken werden. Das ist der kritische Teil. Im Herbst bekommen wir dafür Evidenz. Es werden derzeit 260 Impfungen entwickelt, 15 sind in klinischen Testungen. Von Letzteren zielen alle auf das Spike-Protein ab. Wenn das funktioniert, werden viele der Impfstoffe funktionieren. Wenn nicht, wird sich das ganze Unterfangen verspäten.

STANDARD: Mit Abnahmegarantien für Herstellern haben Sie ja schon Erfahrung?

Berkley: 2007 haben wir eine Garantie für die Pneumokokken-Impfung abgegeben. Damals gab es keine Impfung, die in ärmeren Ländern geholfen hätte. Wir haben mit Firmen verhandelt, damit sie ihre Produktion erhöhen und sie ärmeren Ländern billig zur Verfügung stellen. Eigentlich kostete die Impfung 150 Dollar pro Dosis, und davon brauchte es vier! Wir haben das auf drei Dollar pro Dosis für ärmere Länder verhandelt. Dazu gab es einen Zuschuss für eine bestimmte Menge, damit die Produktion hochgefahren wird. Wir haben eine solche Abnahmegarantie auch für Ebola gemacht.

STANDARD: Wie hat das funktioniert?

Berkley: Außerhalb ärmerer Länder gibt es keinen Markt für Ebola-Impfstoffe. Und in ärmeren Ländern kann sich den Impfstoff kaum jemand leisten. Für Firmen stellt sich dann also die Frage: Wie verdiene ich da Geld? Gavi hat einen künstlichen Markt geschaffen, wir haben einen Deal mit Merck verhandelt. Sie bekommen Geld und wir einen Impfstoff. Wir legen gerade 169 Millionen Dollar zur Seite über die nächsten fünf Jahre, um einen Ebola-Impfstoff auf Reserve zu kaufen. Damit sind wir für künftige Ausbrüche gerüstet.

STANDARD: Blicken Sie für uns in die Glaskugel. Wie steht es 2022 um die Pandemie?

Berkley: Meine Hoffnung ist, dass wir in zwei bis drei Jahren die erste Welle an Impfungen fertig haben. Einige funktionieren, und die werden an einen Teil der jeweiligen Bevölkerung verteilt. Die Epidemie ist so kontrolliert. Die zweite Welle an Impfungen ist dann schon im Kommen, sie sind besser, einfacher und wirken bei älteren Menschen besser. Die große Frage ist: Wie lange hält die Immunität? Saisonale Coronaviren geben für etwa zehn Monate Immunität. Wenn das bei diesem Coronavirus auch so ist, muss man wie bei der Grippe jedes Jahr impfen. Wenn es eine robuste Immunantwort gibt, vielleicht alle fünf, zehn Jahre oder nur einmal im Leben.

STANDARD: Hat Ihre Arbeit gegen andere Krankheiten an der jetzigen Pandemie gelitten?

Berkley: Zu Beginn gab es Panik und Verwirrung. Die Weltgesundheitsorganisation hat empfohlen, dass präventive Impfungen gestoppt werden, dass Routineimpfungen aber weitergehen. Die meisten haben das so probiert. Viele Eltern sind aber nicht mehr in die Klinik gegangen, weil sie in den Nachrichten hörten, sie sollten zu Hause bleiben. Auch viele Doktoren wurden abgezogen. Es gab einen Einbruch bei den Impfungen, laut unseren Erhebungen in 75 Prozent der Länder. Das geht jetzt wieder hinauf, aber es gibt eine Gruppe an Menschen, die nicht geimpft wurde, und die müssen wir jetzt wieder erreichen. Es gab einige kleinere Ausbrüche an Krankheiten, aber keine großen. Aber langfristig bleibt das ein Risiko.

STANDARD: Sie haben mir vor zwei Jahren auf einer Konferenz gesagt, ich solle doch dem österreichischen Kanzler ausrichten, Österreich möge Ihrer Impfallianz Gavi beitreten. Jetzt können Sie das selbst tun.

Berkley: Es ist wichtig, dass Österreich Unterstützer unserer Bemühungen wird. Nicht nur für die Covid-Impfungen. Wichtig ist, dass es Impfungen für viele andere Krankheiten in ärmeren Ländern gibt und dass es dort Routinedienstleistungen gibt. Es ist evolutionär absolut sicher, dass es weitere Ausbrüche gibt. Ich war vom Corona-Ausbruch überhaupt nicht überrascht. Es gab bereits zwei Coronaviren-Ausbrüche, das ist der dritte. Es braucht Strukturen, um damit in ärmeren Ländern umzugehen. Das beschützt nicht nur sie, sondern auch Österreich. Das könnte das Gute an diesem Virus sein: dass er die Mentalität ändert. Dass wir verstehen, dass wir global darauf vorbereitet sein müssen. Das kann die Welt zu einem sichereren Ort machen.

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