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Trotz der Einführung von Checkpoints (hier vor einer Wohnsiedlung in Wuhan am 13. Februar) wurde viele Erkrankungen offenbar nicht registriert.

Reuters

Wie hoch ist der Anteil der Menschen, die sich mit Sars-CoV-2 infizierten, ohne dass sie positiv darauf getestet wurden? Darüber geben vor allem Antikörperstudien Auskunft, die bisher zeigten, dass während der Frühphase der Pandemie in stark betroffenen Regionen – wie etwa in Ischgl – eine hohe Anzahl von Infektionen unentdeckt blieb, was wiederum maßgeblich zur Ausbreitung von Covid-19 beitrug. Denn wie wir heute wissen, können auch nicht- und präsymptomatische Personen Überträger sein.

Im konkreten Fall von Ischgl waren 42,4 Prozent der Personen, die auf Antikörper getestet wurden, seropositiv. Diese Zahl war damit etwa sechsmal höher (bei Kindern zehnmal höher) als die Zahl der zuvor mittels PCR positiv getesteten Personen. Anders formuliert: Die Rate der offiziell gemeldeten Covid-19-Infektionen betrug im Fall von Ischgl nur 15 Prozent der de facto Infizierten, die Dunkelziffer lag mithin bei 85 Prozent.

Rückschlüsse der Ausbreitung

Man kann diese Dunkelziffer ex post aber auch auf eine andere Art rekonstruieren: nämlich anhand von Modellrechnungen der Ausbreitungsdynamik. Genau das haben chinesische Forscher um Chaolong Wang für eine neue Studie gemacht, die am Donnerstag im Fachblatt "Nature" erschien: Konkret untersuchten sie den Covid-19-Ausbruch in Wuhan auf Basis der Daten von 32.583 im Labor bestätigten Fällen vom 8. Dezember 2019 bis zum 8. März 2020 sowie mittels der Wirkung der chinesischen Interventionen.

Auf Basis dieser Daten modellierten die Forscher den Ausbruch ab dem 1. Januar 2020 und unterteilten ihn in fünf Phasen, die durch Schlüsselereignisse und Interventionen wie das chinesische Neujahrsfest und die Verhängung eines zentralisierten Lockdowns markiert waren. Diese Analysen zeigen zum einen, dass die anfängliche Übertragungsrate mit einer anfänglichen Reproduktionszahl (R0) von 3,54 sehr hoch war, um bis zum Ende des Untersuchungszeitraums dank der Eindämmungsmaßnahmen auf etwa 0,28 abzusinken.

87 Prozent blieben unentdeckt

Denn diese Daten legen nahe, dass es in Wuhan zahlreiche unentdeckte Infektionen gegeben haben muss – und damit kommen wir zum spannenden Teil der Studie: Die Forscher schätzen, dass nicht weniger als 87 Prozent der Infektionen während des Studienzeitraums unentdeckt geblieben seien, wobei die untere Grenze der Schätzung bei 53 Prozent liege.

Grafik der neuen Schätzungen der bestätigten (rot), präsymptomatischen (blau) und nicht festgestellten (gelb) Infektionen mit Sars-CoV-2 in Wuhan 2020.

Die Autoren betonen aber auch, dass weitere Untersuchungen wie Antikörpertests erforderlich seien, um diese Schätzungen zu bestätigen. Diese Zahlen decken sich jedenfalls gut mit jenen von Ischgl, einem stark betroffenen Gebiet in der Frühphase der Pandemie in Europa.

Als problematisch erscheint es allerdings, von diesen Zahlen aus einem Hotspot auf die Gesamtbevölkerung – etwa der von Österreich – zu schließen, da zu vermuten ist, dass die Dunkelziffer für große Regionen, die insgesamt weniger stark betroffen waren, deutlich niedriger liegt. Eine Klärung dieser Frage werden die ersten serologischen Flächentests bringen – so auch in Österreich vermutlich im Herbst. (tasch, 16.7.2020)