Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) und Rudolf Bretschneider zum Thema "Aktuelle Studie und Umfrage zu Brennpunkten und Parallelgesellschaften" am Dienstag in Wien.

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Der Klüngel um den Kanzler, der für den Kanzler denkt, hat sich ausgedacht, den Wiener Wahlkampf für ihn mit Grauen Wölfen und einem türkisen Finanzminister zu bestreiten, um den roten Bürgermeister vom festen Punkt Favoriten her aus den Angeln zu heben: die Verlegenheitslösung einer Partei, der seit einem Erhard Busek zu Wien außer Dagegenzusein nichts Vermerkenswertes mehr eingefallen ist, und das ist lange her. Weder das Eingeständnis eklatanter Gedächtnisschwäche noch erkennbare Fähigkeiten auf dem Gebiet der Staatsfinanzen empfehlen Gernot Blümel begründet für einen Sitz im Stadtsenat. Hält er sich selber als Finanzminister für entbehrlich, bietet er keinen Grund für die Annahme, Wien würde ihn entbehren, da hilft das Herumgerede über eine Entscheidung nach der Wahl nicht viel. Über Koalitionen lässt sich aufgrund des Wahlergebnisses entscheiden, ob ein Spitzenkandidat es ernst meint, müssten die Wähler vorher wissen dürfen, sollen sie sich nicht gepflanzt fühlen. Hier waltet dieselbe Arroganz den Wienerinnen und Wienern gegenüber, wie sie vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingeübt wurde.

Und ohne das segensreiche Wirken der Grauen Wölfe stünde die ÖVP mit Blümel womöglich als einzigem Angebot an die Wiener da. War das ein Aufwand! Nehammer schlug unbarmherzig zu, was er getroffen hat, blieb bisher unklar, und die Integrationsministerin kündigte gleich ein "Frühwarnsystem" (!) für Parallelgesellschaften an.

Es ist ja nie zu spät für einen Treppenwitz der Lokalgeschichte. Favoriten war schon vor hundertfünfzig Jahren eine Parallelgesellschaft, ohne dass die christlichsoziale Vorläuferin der ÖVP das gestört hätte. Und da sich Parallelen bekanntlich im Unendlichen treffen, wird Favoriten auch am 11. Oktober noch Favoriten sein. Sofort war aber eine passende Umfrage zur Hand, und eifrig ging es daran, die Dinge durcheinanderzubringen. Parallelgesellschaften, wie es sie heute übrigens in jeder Großstadt gibt – wobei ja immer nur eine Parallele gemeint ist –, werden überwiegend von Menschen bewohnt, die ihr Leben in Frieden leben wollen und vor denen sich niemand fürchten muss. Aggressionen von Faschisten, welcher Nationalität immer, gibt es leider auf beiden Seiten, sie sind etwas anderes, und es ist lächerlich, oder gefährlich, wenn die Ministerin Attacken der Grauen Wölfe auf friedliche Demonstranten nur zum Anlass nimmt, gegen "romantische Multikulti-Ideen" zu wettern.

Wer sich wirklich und nicht bloß in Wahlkampfzeiten für Probleme der Integration in Wien und speziell in Favoriten interessiert, der brauchte nicht plötzlich ein Frühwarnsystem als Augenöffner, der brauchte auch keine Umfrage, die verrät, dass – nur richtig gefragt – 70 Prozent der Bevölkerung Probleme beim sozialen Zusammenhalt sehen. Eine Umfrage übrigens, die von einer Regierung in Auftrag gegeben wird, zu deren Programm es gehört, den sozialen Zusammenhalt in diesem Land zu schwächen, und das durchaus auch auf der autochthonen Parallele.

Die Integrationsministerin könnte sich an ihr Motto "Hin- und nicht Wegschauen" halten. Doch wozu, sie weiß ohnehin, dass ihre Partei in Wien die rechtsextreme Parallele hofieren muss, um Blümel einen Achtungserfolg zu bescheren. (Günter Traxler, 17.7.2020)