Tunesiens Premier Elyes Fakhfakh wirft das Handtuch.

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Kaum ist der Corona-bedingte Gesundheitsnotstand in Tunesien vorerst vorbei, machen praktisch alle politischen Kräfte im Land das, was sie am besten können: Sie gehen sich sprichwörtlich an die Gurgel. Der zuletzt mit immer härteren Bandagen geführte Machtkampf zwischen Parlament, gemäßigt islamistischer Ennahda-Partei, Regierungschef Elyes Fakhfakh und Staatspräsident Kais Saïed gipfelte diese Woche in einem regelrechten Paukenschlag.

Mit Unterstützung der populistisch-wirtschaftsliberalen Partei Qalb Tounes des unter Geldwäscheverdachts stehenden Medienmoguls Nabil Karoui und der im salafistischen Milieu fischenden Allianz Al-Karama hatte Ennahda am Mittwoch einen Antrag auf ein Misstrauensvotum gegen Fakhfakh bei der Parlamentsverwaltung eingereicht. Dieser ist aber de facto gegenstandslos. Denn der Premier kam Ennahdas Versuch zuvor, ihn mittels einer solchen Abstimmung zu stürzen, und trat noch am selben Tag zurück. Dadurch obliegt es jetzt Saïed, einen neuen Regierungschef vorzuschlagen, und nicht Ennahda, der im Falle eines erfolgreichen Misstrauensvotums als größter Fraktion im Parlament das Vorschlagsrecht zugefallen wäre.

Unmittelbar nach dem Einreichen seines Rücktrittsgesuchs entließ Fakhfakh die sechs in seiner Regierung sitzenden Minister mit Ennahda-Parteibuch und hinterließ eine irritierte Ennahda, die dem 47-jährigen Sozialdemokraten daraufhin in einer Stellungnahme "Impulsivität" vorwarf. Der erst seit Februar amtierende Fakhfakh, die interimsmäßig auf die frei gewordenen Posten berufenen neuen Ressortchefs und die übrigen Minister bleiben derweil vorerst geschäftsführend im Amt.

Erst gestern hatten zudem drei an der Regierung beteiligte Parteien und zwei Fraktionen aus der Opposition eine Petition gegen Parlamentspräsident und Ennahdas historischen Anführer Rached Ghannouchi vorgelegt. Dieser soll nun ebenfalls mittels eines Misstrauensantrags aus dem Amt gedrängt werden.

Der während des Corona-Notstandes überraschend konsequent haltende Waffenstillstand zwischen den sich regelmäßig Schlammschlachten liefernden politischen Rivalen im Land ist damit endgültig vorbei. Das gemeinhin befürchtete Wiederaufflammen politischer Ränkespiele dürfte die Gräben zwischen Tunesiens Bevölkerung und den politischen Eliten noch zusätzlich vertiefen. Schließlich wird Letzteren schon seit Jahren vorgeworfen, vor allem mit Machtkämpfen beschäftigt zu sein und die wirtschaftliche Schieflage und die eklatante soziale Misere im Land zu vernachlässigen.

Massive Proteste im Land

Die Corona-Pandemie hatte soziale Ungleichheiten dabei abermals massiv verstärkt. Seit Ende des Corona-Lockdowns ist Tunesien Schauplatz einer Welle an sozioökonomisch motivierten Protesten und Streiks, die seit Wochen immer wieder Teile des öffentlichen Dienstes, die Öl-, Gas- und Phosphatindustrie oder den Transportsektor lahmlegen. Während der seit zwei Monaten schwelende Konflikt zwischen offenbar rechtswidrig entlassenen Arbeitern und dem österreichischen Energieriesen OMV weiterhin nicht ausgestanden ist, droht die Al-Kamour-Bewegung im südtunesischen Tataouine ihre Proteste für Investitionen in der Region und neue Jobs dieser Tage zu eskalieren und kündigte an, eine Erdöl-Pumpstation zu blockieren.

Prioritär dürften die sozioökonomischen Missstände angesichts der Regierungskrise auch weiterhin nicht behandelt werden – stehen Tunesien doch nun abermals wochenlange Verhandlungen über eine neue Regierung bevor. In deren Zuge dürften die Karten in der politischen Landschaft im Land einmal mehr neu gemischt werden. Ersetzt werden dürfte die gescheiterte Koalition von einer Koalition aus Ennahda und Qalb Tounes, die sich zuletzt angenähert hatten. Ob beide Fraktionen jedoch eine stabile Mehrheit in Tunesiens zersplittertem Parlament zusammenkratzen können, ist offen. (Sofian Philip Naceur, 17.7.2020)