"Diese Studie ist ein Meilenstein", so Wolfgang Wurst vom Helmholtz-Zentrum München.

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Es ist, als würde der Körper gefrieren: Sekundenlang ist er nicht in der Lage, eine beabsichtigte Bewegung auszuführen. Menschen mit der neurodegenerativen Erkrankung Parkinson haben mit massiven Bewegungseinschränkungen zu kämpfen. Sie beginnen zu zittern und müssen sich im täglichen Leben mit Haltungs- und Balancestörungen herumschlagen.

Die Hauptursache sehen Forscher im Absterben von Nervenzellen in der Substantia nigra im Mittelhirn. Diese Neurone produzieren den für die Bewegungssteuerung wichtigen Botenstoff Dopamin. Es gibt zwar Medikamente, mit denen man den Dopaminmangel im Gehirn zum Teil kompensieren und die Symptome lindern kann. Eine Therapie, die an der Wurzel ansetzt und das Absterben der Neurone verhindert, gibt es allerdings nicht.

Nervenzellen ersetzen

Forscher um Xiang-Dong Fu von der University of California in San Diego und Kollegen wollen daher die abgestorbenen Nervenzellen durch neue ersetzen. Im Fokus ihres Interesses steht ein Protein namens PTB. Es beeinflusst, welche Gene in einer Zelle an- oder ausgeschaltet werden. Damit ist PTB wichtig für die Spezialisierung von Zellen. Denn je nachdem, wie die Zelle spezialisiert ist – handelt es sich etwa um eine Herzelle oder eine Nervenzelle –, sind bestimmte Gene aktiv und andere nicht.

Schon vor einigen Jahren konnten Fu und seine Kollegen zeigen: Legt man in Zellen des Bindegewebes das Protein PTB still, verwandelten diese sich in Nervenzellen. Für eine kürzlich im Fachblatt "Nature" veröffentlichte Studie untersuchten sie, ob sich das auch therapeutisch nutzen lässt.

Umprogrammierung im Gehirn

Dieses Mal griffen sie allerdings nicht auf Bindegewebszellen zurück, sondern auf Astrozyten, sternförmige Hirnzellen. Mittels kleiner RNA-Moleküle regulierten sie genau die Gene herunter, die für die Produktion des Proteins PTB den Bauplan bereitstellen. Zu diesem Zweck brachten die Forscher die RNA-Moleküle in ein Virus ein und verabreichten das Virus Astrozyten von Mäusen in einer Petrischale. Nach Ablauf von vier Wochen hatten sich 50 bis 80 Prozent der Astrozyten, die die RNA-Moleküle über das Virus in sich aufgenommen hatten, in Nervenzellen umgewandelt.

Doch funktioniert die Umprogrammierung der Zellen auch im lebendigen Gehirn? Das fragten sich auch Fu und seine Kollegen. Zu diesem Zweck injizierten sie lebendigen Mäusen das Virus in die Substantia nigra – also genau in die Hirnstruktur, in der dopaminproduzierende Neurone bei Menschen mit Parkinson absterben. Auch dieser Versuch war ein voller Erfolg. Zehn Wochen nach der Injektion hatten sich 80 Prozent der Astrozyten, die das Virus aufgenommen hatten, in Neurone verwandelt. Außerdem stießen die Wissenschaftler auf Hinweise, dass die neuen Nervenzellen tatsächlich Dopamin produzierten.

In einem letzten Schritt machten sie den entscheidenden Test. Sie zerstörten auf chemischem Weg bei Mäusen dopaminproduzierende Neurone. Die Konzentration des Dopamins war daraufhin bei den Tieren auf 25 Prozent des normalen Werts gefallen. Die Mäuse hatten in der Folge mit parkinsonähnlichen Symptomen zu kämpfen. Ein Teil der Tiere behandelte das Team um Fu daraufhin mit dem Virus, das PTB herunterregulierte. Eine Kontrollgruppe von Mäusen erhielt hingegen eine Scheinbehandlung mit einem leeren Virus. Anders als die Kontrollgruppe zeigten die behandelten Nager anschließend ein Dopaminlevel, das immerhin wieder auf 65 Prozent des normalen Levels gestiegen war. Außerdem verbesserten sich ihre motorischen Fertigkeiten merklich.

"Der Beitrag von Xiang-Dong Fu und Kollegen ist eine sehr umfassende und interessante Studie", sagt der Neurogenetiker Wolfgang Wurst vom Helmholtz-Zentrum München. In der Petrischale habe man schon mehrfach gezeigt, dass man Astrozyten in Neurone reprogrammieren kann. "Allerdings war diese Reprogrammierung in lebenden Organismen bisher nicht sehr effizient. Daher ist diese Studie ein Meilenstein."

Unerwünschte Nebenwirkungen

Wolfgang Wurst sieht allerdings auch einige Grenzen der Studie. Durch das Herunterregulieren von PTB seien wahrscheinlich hunderte Proteine und Gene direkt und indirekt betroffen. "Es könnte also sein, dass man mit seiner Inaktivierung auch Gene an- oder abschaltet, die nichts mit der Umprogrammierung zu Neuronen zu tun haben." Solche möglichen unerwünschten Nebenwirkungen müsse man in weiteren Studien untersuchen.

Außerdem sind bei Parkinson nicht nur dopaminproduzierende Neurone betroffen, sondern ganze neuronale Netzwerke. Dazu gehören etwa Neurone, die letztendlich das Dopamin empfangen und daraufhin wieder andere Botenstoffe ausschütten. Solche nachgeschalteten Neurone degenerieren teilweise bei Parkinson ebenfalls. "Da stellt sich natürlich die Frage, ob diese nachgeschalteten Neurone durch den Ansatz von Fu und seinen Kollegen auch repariert werden", sagt Wurst. Positiv sei auf jeden Fall, wie ungemein plastisch das Gehirn ist. "Vor dieser Studie hätte man in diesem Ausmaß nicht erwartet, dass man verloren gegangene Neurone ersetzen kann und diese korrekt in das bestehende neuronale Netzwerk integriert werden."

Mit Blick auf eine mögliche klinische Anwendung bei Parkinson-Patienten stellt sich natürlich auch die Frage, wie man die Behandlung Betroffenen zukommen lässt. Dass die Methode einen Einsatz von Viren vorsieht, betrachtet Wolfgang Wurst nicht als Problem. "Die Viren, die in der Studie eingesetzt wurden, sind eigentlich Standard für Gentherapien." Sie könnten allerdings Immunreaktionen im Gehirn auslösen. "Insofern müsste man im Falle einer möglichen klinischen Anwendung auch den Patienten Medikamente verabreichen, um die Immunantwort zu unterdrücken." (Christian Wolf, 24.7.2020)