Ein offenes Fenster ist eine gute Möglichkeit, die Nachbarschaft kennenzulernen.

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Der Sommer in Wien ist immer so eine Sache. Auf der einen Seite lockt der Yppenplatz endlich wieder mit dem einen oder anderen Spritzer bis tief in den Abend, sollte es die Corona-Verordnung denn zulassen. Auf der anderen Seite fragt man sich jeden Tag, wie man die Hitze bis dahin überstehen soll. Jedes einzelne Grad staut sich zwischen den Häuserwänden auf den Straßen, sodass Hitzeflimmern so oft auftritt, dass man denkt, es sei die neue Norm.

Um dann vor allem auch die Nacht zu durchstehen und vielleicht sogar ein oder zwei erholsame Stunden Schlaf zu erhaschen, braucht es diverse Methoden. Eine davon, und sie ist weder kreativ noch ein Wundermittel, ist das offene Fenster. Es bietet zumindest die Illusion einer gewissen Kühle, die mehr oder minder die tiefsitzende Hitze aus den eigenen vier Wänden schiebt und dabei sogar ein paar Nebeneffekte auf Lager hat.

Lautstarkes Kennenlernen

Denn natürlich ist man nicht der Einzige im Haus, dem diese geniale Idee in den Sinn kommt. Und so lernt man seine Nachbarn, wenn auch nicht visuell, auf eine ganz andere Art und Weise kennen. Mittlerweile kann ich fast auf die Minute genau bestimmen, wann die Kinder aus Etage zwei noch einmal aktiv werden und schreiend durch die Wohnung rennen – meist gegen 01.17 Uhr. Oder dass der Nachbar unter mir scheinbar ein neues Gspusi hat, das er ... nun, wie soll ich das sagen ... lautstark kennenlernen möchte, und das mehrmals am Tag. Sie scheint das übrigens auch zu freuen.

Aufpassen muss man dann bei Streitereien. Wenn ein saftiges "Oaschloch" oder "Trottel" durch den Innenhof knallt, sitzt die Nachbarschaft aufgeregt auf den Fensterbänken und lauscht.

Bisher hat sich noch niemand über meinen Musikgeschmack beschwert, den ich nun seit Wochen mit den Nachbarn teile. Die Betonung liegt auf dem noch. (Thorben Pollerhof, 17.07.2020)