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Zwei Jahre, neun Monate und 22 Tage Haft: Dazu ist der "Welt"-Journalist Deniz Yücel am Donnerstag von einem türkischen Gericht verurteilt worden. Im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk zeigte er sich "nicht wirklich" überrascht darüber und bezeichnete das Urteil als "Verfassungsbruch". Das Gericht in Istanbul verurteilte Yücel diesen Donnerstag in Abwesenheit wegen Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Vom Vorwurf der Volksverhetzung und der Propaganda für die Gülen-Bewegung wurde Yücel freigesprochen.

Yücels Anwalt, Veysel Ok, hatte in seinem Plädoyer den Freispruch seines Mandanten von allen Anklagepunkten gefordert. Zur Begründung führte er an, Yücels Artikel enthielten weder terroristische Propaganda noch Anstiftung zum Hass. Die Staatsanwaltschaft hatte Yücel Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und Volksverhetzung vorgeworfen. Yücel war zwischen Februar 2017 und Februar 2018 ohne Anklageschrift in der Türkei inhaftiert. Prozessauftakt war in Abwesenheit Yücels im Juni 2018.

Widerspruch zum türkischen Verfassungsgericht

Das Urteil stehe im Widerspruch zu einem Urteil des türkischen Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2019, sagte Yücel. Am 28. Juni 2019 erklärte das türkische Verfassungsgericht Yücels einjährige Untersuchungshaft für rechtswidrig und sprach ihm ein Schmerzensgeld von umgerechnet 3.800 Euro zu. Es gebe es "keinen Anhaltspunkt" für den Vorwurf, dass Yücel ein Interview mit dem Anführer der verbotenen PKK, Cemal Bayik, nicht zu journalistischen Zwecken geführt habe, sondern zur Verbreitung von Propaganda für dessen Organisation. Trotz dieses Urteils des Verfassungsgerichts wurde Deniz Yücel nun von einem anderen Gericht wegen Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verurteilt.

"Das Gericht hätte gestern mich freisprechen müssen", sagte Yücel. Dieser Verfassungsbruch stehe in einer ganzen Reihe von rechtswidrigen Handlungen: der Verhaftung, der Misshandlung im Gefängnis, selbst bei der Freilassung.

Er möchte allerdings nicht Eindruck erwecken, er sei der "größte Leidtragende dieses Unrechtsregimes". "Das bin ich nicht. Das sind andere", sagt Yücel im Interview mit dem BR. Im Gegensatz zu vielen anderen Journalistinnen und Journalisten sei er in einer sehr komfortablen Situation, da er sich nicht mehr in der Türkei befände. "Es ist mir ein bisschen peinlich, jetzt darüber zu klagen, dass ich zu Unrecht verurteilt wurde", sagte Yücel laut Aussendung des BR. Denn er kenne so viele andere Kolleginnen und Kollegen, die derzeit in der Türkei in der Haft sitzen.

Die türkische Presserechtsgruppe P24 zählt derzeit 93 Journalisten hinter Gittern. Die Türkei liegt bei der Pressefreiheit laut aktuellem Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Rang 154 von 180.

Urteil ist eine Form von Reisewarnung

Das Urteil in seinem Fall bedeute, so Yücel, dass jeder – auch im Ausland – der von der offiziellen Staatsmeinung abweiche, Gegenstand von Ermittlungen in der Türkei werden könne. "Das ist auch eine Form von Reisewarnung, die das Gericht hier ausgesprochen hat", sagte er.

Der Prozess gegen Yücel ist mit dem heutigen Tag nicht zu Ende. Sein Anwalt Veysel Ok hat angekündigt, in Berufung zu gehen. Zumal das Gericht parallel zum Urteil wegen angeblicher Propaganda für eine Terrororganisation weitere Ermittlungen gegen den deutschen Journalisten angekündigt hat. Dieses Mal wegen Beleidigung von Präsident Erdoğan und der Verunglimpfung türkischer Symbole. Unter anderem berufen sie sich dabei auf Yücels Verteidigungsschrift. "Das ist schon skandalös, weil die Verteidigung eines Angeklagten eigentlich unantastbar ist: Und damit wird jetzt das, was ich zu meiner Verteidigung vor Gericht vorgetragen habe, selbst kriminalisiert."

in dem Interview äußerte sich Yücel auch zur Umwidmung der Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee. Dieser "populistische Notgroschen" zeige, wie ernst die Lage für Erdoğan sei. Sein Fazit: "Die türkische Justiz war noch nie – selbst zu Zeiten der Militärjunta – derart auf den Hund gekommen wie diese Justiz."

Ebenfalls zu Wort gemeldet hat sich der Journalist auf Twitter. Dort bedankt sich Yücel für "die Solidarität und die Anteilnahme".

(red, 17.7.2020)