Er habe noch nie in so kurzer Zeit so dramatische Verhaltensänderungen erlebt, sagt Handelsverband-Präsident Stephan Mayer-Heinisch. Von einer Viertagewoche hält er nichts. Die Österreicher müssten in die Hände spucken und härter denn je arbeiten.

Österreichs Einzelhandel erholt sich nur zögerlich vom Lockdown. Corona verleidet vor allem Lustkäufe.
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STANDARD: Wie hat Corona Ihr Einkaufsverhalten verändert?

Mayer-Heinisch: Ich gehe mit Geld bewusster um, was Reisen und Einkaufen betrifft. Ich frage mich, ob ich vieles wirklich brauche und will. Ich habe in meinem langen Leben bei Menschen in so kurzer Zeit noch nie so dramatische Verhaltensänderungen erlebt. Die einen sind von Angst geprägt, die anderen von Zuversicht, die dritten von Pragmatismus.

STANDARD: Die Maske wurde zum Symbol der Krise. Was, wenn sie in Geschäften wieder zur Pflicht wird?

Mayer-Heinisch: Sie macht vor allem Modehandel sehr schwierig und hat starken Einfluss auf Lustkäufe. Aber es ist Güterabwägung: Wenn es sein muss, muss sie sein. Die Maske wurde zum Symbol für Vorsicht. Möglicherweise werden wir damit leben müssen. Dass das die Händler schmerzt, ist klar.

STANDARD: Viele klagen nach wie vor über Einbußen von gut 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Mayer-Heinisch: Bei Möbeln, in der Elektronik, im Sportbereich erholt sich der Handel. Mode, Schuhe, Accessoires leiden – alle Lustkäufe eben. Vielleicht spiegelt es das Umdenken der Menschen wider: Wie oft braucht es ein neues Auto? Muss man um 50 Euro nach Venedig fliegen? Corona lädt dazu ein, das eigene Leben zu überdenken. Wir werden aber auch die Wirtschaft, Steuern, die EU neu denken müssen. Europa hat viele Talente und versumpft in Nationalismus.

STANDARD: Wie nachhaltig wird Corona den Handel umwälzen?

Mayer-Heinisch: Kluge Unternehmer stellen sich neu auf und gehen gestärkt hervor. Industrien mit Vorerkrankungen, bei denen alles auf Kante genäht ist und die ohnehin schon auf dünnem Eis tanzten, bleiben am Straßenrand liegen. Die Krise wird uns 1000 Tage verfolgen. So lang liegen wir im Tal der Tränen.

STANDARD: Haben kleine Einzelkämpfer den kürzeren Atem?

Mayer-Heinisch: Ganz kleine Gastronomiebetriebe boten während des Lockdowns Hauszustellungen ebenso an wie der weltgrößte Gastronom, McDonald’s. Echte Krisen machen kreativ, unabhängig von der Größe – allerdings nur, wenn man sich nicht zu Tode fürchtet. Das Durchschütteln ist eben nicht nur Risiko, sondern auch Chance.

Stephan Mayer-Heinisch sieht Amazon stark von der Krise profitieren. "Brüssel, wach auf! Wollen wir Einzelhandel, brauchen wir Steuergerechtigkeit."
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STANDARD: Schärft Corona das Bewusstsein für Regionalität?

Mayer-Heinisch: Kurze Wege wurden wichtiger. Konsumenten entfernen sich nur noch ungern von ihrem Nest, sie wollen Sicherheit. Die Krise hat kleine Einkaufsorte daher weniger hart getroffen als große Einkaufsstraßen. Das könnte zu ihrer Renaissance führen.

STANDARD: Hat die Krise nicht auch mehr Umsatz denn je in die Arme von Onlineriesen getrieben?

Mayer-Heinisch: Amazon hat stark profitiert. Internetkonzerne erzielen über ihre Steuerkonstruktion hohe Rentabilität, die sie nicht in ihre Dividenden, sondern in Forschung und Entwicklung investieren. Ihre Leistungsfähigkeit wird täglich höher. Brüssel, wach auf! Wollen wir Einzelhandel, brauchen wir Steuergerechtigkeit.

STANDARD: Mehr als ein Viertel der Händler nimmt nach wie vor Kurzarbeit in Anspruch. Droht starker Jobabbau, wenn sie ausläuft?

Mayer-Heinisch: Sie hat einige Firmen künstlich am Leben erhalten. Ihr Nachfolgemodell, das aus der Droge Kurzabeit herausführen soll, wird nicht mehr so attraktiv sein. Beim Zahlen von Stundungen und Weihnachtsgeld werden Händler in Schwierigkeiten geraten. Ich fürchte, dass darunter viele kleine und mittlere Betriebe sind.

STANDARD: Rechnen Sie mit einer Insolvenzwelle?

Mayer-Heinisch: Ich habe gelernt, wie wenige Unternehmen im Einzelhandel krisenresistent sind. In welche Politik hat man sie aber zuvor getrieben? Eigenkapital wurde teurer als Fremdkapital. Eine der Aufgaben der Politik wird es sein, dafür zu sorgen, dass einem beim Eigenkapital nicht nach zehn Wochen Krise die Puste ausgeht. Alle jammerten über die strengeren Regularien für Banken. Heute sind diese weit krisenfester als 2008.

Autofreie Wiener Innenstadt? Stephan Mayer-Heinisch pocht auf eine schrittweise Annäherung. "Warum muss man hier mit dem Holzhammer drüberfahren?"
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STANDARD: Wo haben Hilfen der Regierung in der Krise versagt?

Mayer-Heinisch: Ihre Ansage, allen helfen zu wollen, war wichtig. Sie hat ihre Apparate dabei aber überfordert, sicher nicht aus Bösartigkeit. Die Maßnahmen waren richtig, vieles war kompliziert. Rennst du um dein Leiberl und Leben, ist die Ungeduld riesig.

STANDARD: Heben niedrigere Mehrwertsteuern den Konsum?

Mayer-Heinisch: Um sich aus dieser Krise rauszuwurschteln, sind Zuversicht, Investitionen, Konsumlust gefragt. Ob Helikoptergeld oder geringere Mehrwertsteuern mehr helfen, sollen Volkswirte evaluieren. Es braucht jedenfalls einen Blumenstrauß an Maßnahmen, einen Mix aus kurz- und langfristigen Anreizen.

STANDARD: Sie regen Konsumgutscheine für Geringverdiener in Höhe von 500 Euro an. Wer soll das bezahlen?

Mayer-Heinisch: Es ist verdammt viel Geld. Aber gerade in niedrig verdienenden Einkaufsschichten fließt es schnell in den Konsum zurück. Es ist, als würde ich mir Dextro Energen ins Blut spritzen. Es wirkt sofort.

STANDARD: Wie halten Sie es mit der Viertagewoche?

Mayer-Heinisch: Ich glaube nicht an die Milchmädchenformel, vier auf fünf Jobs aufzuteilen. Das geht sich mathematisch nicht aus. Das wird teurer, und Kosten zu steigern ist angesichts weniger Produktivität widersinnig. Das sagt einem der Hausverstand. Wir werden mehr in die Hände spucken und härter arbeiten müssen, um das Niveau von 2019 wieder zu erreichen und um unseren Kindern keine Schuldenberge zu hinterlassen. Hüpfen wir ordentlich in die Seile, holen wir Produktivitätsverluste in drei Jahren auf. Ich würde mehr in Bildung investieren, viel mehr in digitale Ausbildung. Hier brauchen wir Leute, daraus wird das Wachstum an Beschäftigung kommen.

STANDARD: Mitarbeiter der Supermärkte wurden als Helden gefeiert. Handelsbeschäftigte sind dem Virus an vorderster Front ausgesetzt. Sollte sich das nicht auch in ihren Gehältern niedergeschlagen?

Mayer-Heinisch: Wir haben in Östereich einen Flächentarifvertrag. Ich kann Mitarbeiter des Lebensmittelhandels nicht anders behandeln als jene eines Textilbetriebs, der ums Überleben kämpft. Es bildeten sich unterschiedliche Geschwindigkeiten heraus: Das Geschäft mit Kurzfristbedarf leidet weitaus weniger. Die Tarifpartner werden daher sehr scharf darüber nachdenken müssen, wie sie das im Herbst bei den Kollektivvertrags-Verhandlungen lösen. Würde man die alte Benya-Formel anwenden: Inflation plus Produktivitätszuwachs, sänken die Löhne um sechs Prozent.

STANDARD: Corona-Verdachtsfälle versperren vielen Kindern den Weg in Kindergärten. Viele Frauen, auf denen die Hauptlast der Kinderbetreuung liegt, bangen deswegen um ihre Jobs im Handel.

Mayer-Heinisch: Ich habe hohen Respekt für die Vereinbarkeit eines Jobs mit einer Familie, die im Corona-Stress ist. Firmen werden flexiblere, individuellere Arbeitszeitmodelle bieten müssen, um ihre guten Leute nicht zu verlieren.

Verschlungene Wege des Handels: Wohin die Reise führt, traut sich derzeit kaum einer zu prognostizieren. Allein: Alles ist im Umbruch.
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STANDARD: Im Herbst wird wohl auch die Sonntagsöffnung wieder auf den Tisch kommen. Bringt diese nicht mehr Kosten als Nutzen?

Mayer-Heinisch: Im Onlinehandel ist Sonntag der stärkste Einkaufstag. Ich plädiere für sechs bis zehn offene Sonntage im Jahr, lokal den Bedürfnissen angepasst. Sie lassen sich als Event inszenieren, als Party oder Kirtag. Und man bietet damit dem Interneteinkauf Paroli. Sie helfen auch dem Städtetourismus, der dramatisch leidet.

STANDARD: Warum wehrt sich der Handel gegen eine autofreie Wiener Innenstadt? Fußgängerzonen haben weder der Kärntner noch der Mariahilfer Straße geschadet.

Mayer-Heinisch: Wir haben in der Mariahilfer Straße alle überregionalen Kunden verloren, ein Zehntel der Kunden. Größere Angebote an Gastronomie haben das wettgemacht. In der Innenstadt jedoch wäre eine schrittweise, sensible Ausweitung der Begegnungszone klüger. Warum muss man hier mit dem Holzhammer drüberfahren? Nur weil bald Wien-Wahlen sind? Und wieso hetzt man jeden Freitag und Samstag Demonstrationen auf den Stephansplatz oder treibt sie durch die Mariahilfer Straße?

STANDARD: Weil sie auf der Donauinsel keiner sehen würde?

Mayer-Heinisch: Dorthin will ich sie nicht schicken, es gibt ja den Schwarzenbergplatz. Es braucht auch hier ein Abwägen der Güter. Und es gibt das Recht des Händlers, Geschäft zu machen. (Verena Kainrath, 18.7.2020)