Am 31. Mai 2020 muss Silvia P.s* Frust einfach raus. Auf Facebook postet die Gründerin des Eve’s Help Club, eines Wiener Spendenvereins: "Wir stehen im Verdacht!!! eine Terrororganisation zu sein." Im Beitrag wirft P. "diversen Behörden" Schikanen und Rassismus vor. Ein Kontrolleur habe ihr gesagt, dass alle Araber Terroristen seien. Der Eve’s Help Club solle Spenden lieber nach Israel schicken.

P. sieht sich und ihren Spendenverein als Opfer einer Verleumdungskampagne. Aufgeben will sie deshalb nicht. "Wir können alles widerlegen, was uns vorgeworfen wird", schreibt sie in ihrem Statement. Auch die Facebook-Freunde des Vereins sind empört. "Echt UNFASSBAR", kommentiert eine Nutzerin. "Eine ganz große Sauerei", findet eine andere.

Der Eve's Help Club auf Instagram.
Foto: Screenshot Instagram

Was viele Unterstützer des Eve’s Help Club nicht wissen: Hinter den schweren Vorwürfen gegen den Verein und dem Statement mit den vielen Ausrufezeichen steckt eine Familientragödie. 2015 schloss sich Elisa, die Tochter von Silvia P., dem sogenannten Islamischen Staat an.

Wie viele Angehörige von IS-Anhängern wartet P. seit Jahren vergeblich auf die Rückführung ihres Kindes. Sie fühlt sich von der Politik alleingelassen. Hat ihr Verein deshalb versucht, IS-Mitglieder aus den Gefängnissen in Syrien und dem Irak zu befreien?

Tausende Euro gesammelt

DER STANDARD hat die Aktivitäten des Eve’s Help Club und der dahinterstehenden Familie P. über sechs Monate beobachtet. Die Recherche zeigt, wie die Hilfsorganisation in sozialen Netzwerken tausende Euros sammelte, um weibliche IS-Mitglieder aus Gefangenenlagern in Nordsyrien freizukaufen. Dahinter stehen nicht nur überzeugte Islamisten, sondern verzweifelte Familien. Dokumente, die dem STANDARD vorliegen, belegen gleichzeitig, dass österreichische Sicherheitsbehörden im Kontext des Eve’s Help Club von einer "IS-Gruppierung" sprechen.

Der Verein aus Wien setzt sich nicht nur für Jihadistinnen in Nordsyrien ein. Die Staatsanwaltschaft Feldkirch geht davon aus, dass der Verein Geld für die Freilassung eines männlichen IS-Kämpfers im Irak gesammelt hat. Sie ermittelt wegen des Anfangsverdachts der Terrorismusfinanzierung mindestens gegen einen Spender des Eve’s Help Club.

Die Familie P. möchte zu den STANDARD-Recherchen nicht öffentlich Stellung nehmen und hat mehrere Gesprächsangebote abgelehnt.

Auf den ersten Blick wirkt der Verdacht, der Eve’s Help Club könnte etwas mit islamistischem Terror zu tun haben, absurd. Silvia P. ist Christin und als Kind aus Chile nach Österreich geflohen. Den Eve’s Help Club führt sie aus ihrem Sozialmarkt in Floridsdorf, der in erster Linie bedürftige Wiener versorgt.

Im Schaufenster klebt das Logo der Hilfsorganisation, ein grünes Herz mit zwei helfenden Händen. Im Winter verteilt der Eve’s Help Club Handschuhe an Obdachlose, im Sommer gibt es Gratis-Milchschnitten.

Nicht nur in Floridsdorf

Doch der 21. Gemeindebezirk ist nicht das einzige Einsatzgebiet des Vereins. Mehrmals im Jahr reist Silvia P. über die Türkei und den Irak nach Syrien. Ihre Reisen dokumentiert sie auf Facebook. Hier hat der Verein mehr als 1.100 Abonnenten. Eine zusätzliche Helfergruppe kommt auf mehr als 250 Mitglieder.

Ein Facebook-Beitrag zeigt Silvia P. vor einem Koffer voller Wundkompressen hockend. Die habe sie in einem syrischen Krankenhaus abgegeben. Ein anderes Mal stattet P. Schulkinder mit Malheften und Buntstiften aus, "traumatisierte kleine Seelen", schreibt sie. Für ihr Engagement erntet Silvia P. viel Anerkennung.

"Was diese Frau macht, um zu helfen, ist unbeschreiblich. Ich liebe sie. Sie riskiert ihr Leben, um anderen (...) Hilfe geben zu können", schreibt eine Nutzerin. Eine andere ist sicher: "Wenn wer spenden möchte, so ist auch 100 Prozent garantiert, dass es bei den Richtigen ankommt."

Einen radikalen Eindruck machen Silvia P.s Facebook-Fans nicht. Auch Bezirksrat Dieter Preinerstorfer (SPÖ) posiert mit ihr und freut sich, der Betreiberin des Sozialmarktes 350 Euro übergeben zu können.

Eine furchtlose Wienerin

2018 berichtet Puls 4 über die furchtlose Wienerin P., die in den "Flüchtlingscamps" in Syrien humanitäre Hilfe leiste, während in ihrer Nähe Bomben niedergehen. "Ich sehe nur die Menschen, die mich brauchen", sagt P. damals.

Sie spricht über das Leid der Waisenkinder, die Kälte, den Hunger. Den Grund dafür, dass sie seit Jahren ausgerechnet nach Nordsyrien reist, enthält sie der Öffentlichkeit und vielen Spendern vor. Bis heute soll es P.s Geheimnis bleiben: Ihre Tochter Elisa lebt mit ihrem Enkelkind im kurdischen Gefangenenlager Roj.

Laut Innenministerium haben sich insgesamt 330 aus Österreich stammende Personen in der Vergangenheit am Jihad in Syrien und dem Irak beteiligt oder hatten die Absicht. 20 Prozent davon seien Frauen. 100 Personen vermuten die Sicherheitsbehörden weiterhin im "Jihadgebiet", heißt es auf Anfrage des STANDARD.

Im Frühjahr 2019 verlor der IS seine letzten Territorien in der Schlacht um die syrische Stadt Baghuz. Die Syrian Democratic Forces, das siegreiche kurdisch-arabische Bündnis, hat die überlebenden Kämpfer in Massenverliesen eingesperrt. Frauen und Kinder leben nun in den Lagern Al-Haul und Roj.

Ein überfülltes Gefangenenlager

In Al-Haul harren rund 70.000 Menschen zwischen Sand, Steinen und Staub aus. Das Lager ist maßlos überfüllt. Allein im Jahr 2019 sollen 300 Kinder an den Folgen von Mangelernährung gestorben sein. Unter den Insassen verbreiten sich Krankheiten wie Syphilis oder Tuberkulose.

Der Eve’s Help Club hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Frauen und ihren Kindern zu helfen. Aber wie? Um die Arbeit der Organisation zu verstehen, muss man ein weiteres Mitglied der Familie P. kennenlernen. Die Gründerin hat nämlich noch eine zweite Tochter, Elisas ältere Schwester Dilara.

Sie ist die Kassierin des Vereins und führt einen Instagram-Account namens "eveshelpclub1". Anders als bei Facebook ist diese Seite des Vereins nicht jedem zugänglich. Das Profil hat 975 Follower. Anfragen werden einzeln freigeschaltet.

Im Gegensatz zu ihrer Mutter Silvia P. spricht Dilara P. offen über eine Facette des Vereins, die bei Facebook nicht stattfindet: die Unterstützung der "Schwestern in den Gefangenencamps", wie Dilara die Frauen nennt. Mutmaßliche IS-Mitglieder wäre wohl die treffende Bezeichnung.

Fotos von ihnen teilt Dilara P. reichlich. Sie tragen Nikab und halten Dollar, Euro oder syrische Lira in die Kamera. Bei den Spendern des Eve’s Help Club bedanken sie sich für die "Sadakah", die Gabe im Sinne Allahs.

Ein Spiegel-Selfie aus Nordsyrien auf Instagram als Dankeschön.
Foto: Screenshot Instagram

Verwerflich ist das nicht, denn auch Frauen und Mädchen, die sich einer folternden und mordenden Terrororganisation angeschlossen haben, verdienen ein menschenwürdiges Leben. Doch an wen die Spendengelder mit welcher Motivation fließen, macht der Verein abseits von Instagram nicht transparent.

Allah soll sie vernichten

Doch Dilara P. treibt nicht nur die humanitäre Lage oder die Sorge um ihre kleine Schwester Elisa um. Offenbar fehlt der Kassierin jede kritische Distanz zum Terror des IS. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bezeichnet sie als "Abschaum", der Muslime erniedrigen würde. Dilara P. wünscht der französischen Regierung, die Gefangenenbesuche in den Camps untersagen würde, dass Allah sie vernichte. Ihr gefällt ein Posting, das dem "edlen Bruder" Mirsad O. Standhaftigkeit im Gefängnis wünscht.

Der Prediger O., bekannt unter dem Namen "Abu Tejma", galt als Schlüsselfigur des IS in Österreich. 2016 verurteilte ihn das Grazer Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren. O. soll Jugendliche für die Terrororganisation angeworben und zum Morden angestiftet haben.

Mit Sympathien für Jihadisten ist sie in der Instagram-Community des Eve’s Help Club nicht allein. Hier wirbt ein Nutzer für den Verein, der das Wappen des IS als Anzeigebild verwendet. Ein anderer verbreitet ein Bild von IS-Terroristen, die mit Pick-up-Trucks und gezückten Gewehren eine siegreiche Schlacht feiern. "So werden wir mitten in eure Städte (...) einmarschieren", schreibt er.

Und auch die Campbewohnerinnen bedanken sich bei Instagram für die Unterstützung aus Wien. Zwar sind Handys im Lager verboten. Doch aufgrund der teils chaotischen Zustände haben einige Smartphones ihren Weg durch die Zäune gefunden.

Eine der Frauen, die nach Informationen des STANDARD im Camp wohnt, heißt "UmmxMuniba". Sie hat eine rote Stecknadel, ein gängiges Symbol, um auf Social Media den Standort zu markieren, in Al-Haul gesetzt. Die Frau veröffentlicht ein Foto, das offenbar aus den letzten Tagen des Kalifats stammt, darauf provisorische Zelte und ein Schützengraben. Dazu schreibt die Campinsassin: "#DaysWeWillNeverForget".

Im Stich gelassen

Die Ideologie des Terrors scheint "UmmxMuniba" tief verinnerlicht zu haben. Einmal postet sie ein Bild von bewaffneten Kämpfern und droht: "Das Blut der Shuhada, also der Märtyrer, ist nicht umsonst geflossen." Haben diese Frauen Terror und Hass nicht langsam satt?

Der Politikwissenschafter und Nahostexperte Thomas Schmidinger hat die Camps besucht und Insassen interviewt.

"Die Frauen sind mit ihren Kriegskameradinnen eingesperrt und verwalten sich autonom", sagt er. Nicht alle Frauen seien weiterhin radikalisiert. Doch die lange Wartezeit unterstütze das Narrativ der Terroristen, nach dem Motto: "Seht ihr, eure Heimatländer lassen euch im Stich, ihr habt nur den ‚Islamischen Staat‘." Aber warum holen europäische Regierungen die Frauen nicht nach Hause?

Aufmarsch von IS-Unterstützerinnen im Camp Al-Haul.
Foto: Screenshot Instagram

"Die kurdische Seite wäre die Frauen lieber gestern als heute losgeworden", sagt Schmidinger. Aber hierzulande seien die Rückholungen unpopulär, gefundenes Fressen für Rechtspopulisten. Also suche die österreichische Regierung immer neuen Ausreden, um die Frauen in Syrien zu lassen.

Ein Gespräch mit dem Außenbeauftragten der Syrischen Demokratischen Kräfte, Abdelkarim Omar, stützt diesen Eindruck. Mit dem deutschen Außenministerium spreche man über die Rückführung von Waisenkindern, zur österreichischen Regierung bestehe kein Kontakt. "Sie sprechen nicht mit uns", sagt Omar.

Im Außenministerium in Wien heißt es, man könne aus Sicherheitsgründen keine Informationen über "Modalitäten von Rückholungsbemühungen" erteilen.

Dort, wo die Regierung Probleme verschleppt, packt Silvia P. an. Auf ihren Reisen transportiert sie Essen, Kleidung und Medizin in die Camps. Nicht nur für Tochter Elisa, sondern auch für viele andere Frauen und Kinder.

Geld sammeln über Paypal

Geld sammelt der Verein über den Bezahldienst Paypal. Per Smartphone-App können Nutzer spenden. DER STANDARD hat zehn Konten mit mehr als 8200 Euro gefunden, die dem Eve’s Help Club zugerechnet werden können. Sieben davon hat Tochter Dilara P. initiiert.

Die Paypal-Links sind wichtig, denn sie verbinden den Eve’s Help Club mit einem Extremisten, der Jihadistinnen aus den Gefangenenlagern befreien will. Er nennt sich bei Instagram "Help For Sisters", ein "Bruder" aus Wien, wie er selbst schreibt.

Der Nutzer verbreitet eine Audiobotschaft, in der eine angebliche Campinsassin anklagt: "Sollte ich euch sagen, dass diese Affen und Schweine uns vergewaltigen und unsere Gebärmutter gefüllt ist mit außerehelichen Säuglingen?" Im Hintergrund hört man Schreie und Schluchzen.

Mit Gewalt oder Geld

"Help For Sisters" hat eine klare Vorstellung, wie das Leid der Gefangenen beendet werden kann: "Man muss diese Frauen befreien. Mit Gewalt oder mit dem Freikauf." Und der Nutzer hat auch eine Gehilfin, die ihm für die Freikäufe Spendenkonten bei Paypal einrichtet: Dilara P. Sogar das Logo des Eve’s Help Club leiht sie ihm. Mal liegen 404 Euro im Spendentopf, in einem anderen 1.221,31 Euro. Immer wieder verschwinden Links und neue tauchen auf. Inzwischen wurde das Instagram-Konto von "Help For Sisters" gelöscht.

Dilara P.s Hilfe hat für den Fluchthelfer einen entscheidenden Vorteil: Wer bei Paypal Spenden sammeln möchte, muss Klarname und Adresse angeben. Versuche, IS-Mitglieder freizukaufen, können schwerwiegende Konsequenzen haben. Im österreichischen Strafgesetzbuch steht auf Terrorismusfinanzierung eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahre. "Help For Sisters" hat offenbar kein Interesse daran, ins Visier der Fahnder zu geraten. Und offenbar schützt Dilara P. mit dem Eve’s Help Club die Identität des Mannes.

Bei Paypal geben einige Spender von "Help For Sisters" ganz offen "Freikaufen" als Verwendungszweck an. Ein Vorteil aus ihrer Sicht: Im Gegensatz zum Sammler können die Spender bei Paypal anonym bleiben.

Eine gute Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit mit Dilara P. fasst "Help For Sisters" in einem Beitrag so zusammen: "Sie hat die Spenden gesammelt (...). Ich habe es verschickt." Nach einer losen Internetbekanntschaft klingt das nicht.

Hinter dem Plan, Frauen aus den Gefangenenlagern freizukaufen, steckt offenbar nicht nur eine fixe Idee. Auf seinem Profil beantwortet "Help For Sisters" spezifische Fragen zum Ablauf solcher Freikäufe.

Ein anonymer Nutzer fragt: "Bekommen PKK’s Hunde das Geld für die Befreiung?" Gemeint sind hiermit offenbar die kurdischen Lagerwachen. "Help For Sisters" antwortet: "Die Schmuggler bekommen das Geld."

Ein User möchte wissen: "Wo können sie (die Frauen) nach der Befreiung hin?" "Help For Sisters" antwortet knapp: "Idlib".

Eine Instagram-Fragerunde mit "Help for Sisters".
Foto: Screenshot Instagram

Ortskundige Experten bestätigen dem STANDARD, dass die Stadt im Nordwesten Syriens eine beliebte Anlaufstelle für Schmuggler nach einer Flucht ist. "Help For Sisters" scheint sich auszukennen.

Aber was hat das alles noch mit Silvia P. zu tun? Die Mutter macht bei Facebook einen hilflosen, aber herzensguten Eindruck. Bekommt Mutter P. von den Machenschaften ihrer Tochter Dilara auf Instagram gar nichts mit?

Wahrscheinlich ist das nicht. Denn auch sie folgt "Help For Sisters" und tauscht sich mit ihm in einem Kommentar über die Lage in den Camps aus. Es ist nur schwer vorstellbar, dass Silvia P. die Freikauf-Angebote unter dem Namen ihres Vereins übersehen hat.

Mutter eines Deutschen

Dilara P.s Spendentöpfe kursieren auch in der Chat-App Telegram. In einer Gruppe sammeln Unterstützer für eine Frau namens "Umm Mohamad Almani". Der Name "Almani" deutet darauf hin, dass es sich um eine deutsche Frau handeln oder wörtlich übersetzt die Mutter eines Deutschen.

Für die Befreiung würden 3.000 bis 5.000 Dollar benötigt. Klickt man auf den Link, landet man plötzlich bei einem Spendenaufruf für ein "Waisenhaus" von Dilara P. Offenbar verschleiert der Eve’s Help Club hier den Verwendungszweck des Geldes, um ahnungslose Spender oder Paypal zu täuschen.

Mit Erfolg: Mitte März jubelt der Admin: "ALLAHUAKBAR! DIE SUMME FÜR UMM MUHAMMAD IST BEISAMMEN!" Hat der Eve’s Help Club hier die Befreiung einer Frau aus kurdischer Gefangenschaft finanziert? Äußern möchte sich weder Silvia noch Dilara P. dazu.

Der kurdische Außenbeauftragte sagt, er wisse nichts von Befreiungen oder Fluchten österreichischer oder deutscher Frauen, die kürzlich stattgefunden haben. Grundsätzlich seien Fälle von Befreiungen bekannt, in denen man ermittle.

Trommeln für Freikäufe

In Ausnahmesituationen trommelt Dilara P. ganz offen auf dem Kanal des Eve’s Help Club für Freikäufe. Im Februar berichtet sie, die Kurden würden im Camp Al-Haul nach einer Frau namens Umm Khalid suchen.

Gewalttätige Wachen hätten sie misshandelt, ihr drohe noch Schlimmeres. Der Eve’s Help Club fordert seine Follower auf: "Meine lieben Geschwister, es werden 10.000 Euro benötigt! (...) Wir müssen das doch hinbekommen, die daraus zu holen!!"

Dazu veröffentlicht Dilara eine EC-Karte des Vereins. Dass ihr die Aufrufe Ärger einhandeln könnten, ist ihr offenbar bewusst. Sie teilt den Screenshot einer Überweisung mit dem Buchungstext "Eve’s Help Club Schwestern Freikauf im Camp". Dilara mahnt: "Geschwister, so ein Verwendungszweck geht nicht."

Am 7. März meldet der Eve’s Help Club auf Instagram Vollzug. Dilara P. teilt den Beitrag einer Freundin der Campbewohnerin, die offenbar aus Österreich kommt: "Ihr müsstet die Stimme hören, als ich Umm Khalid sagte, dass es so weit wäre."

Bei Telegram heißt es wenige Tage später, Umm Khalid habe das Camp verlassen. Sie habe wegen des Vorfalls mit den Wachen schnell mit den Kindern rausgemusst. Es scheint, als habe der Eve’s Help Club hier bei einer weiteren Befreiung mitgeholfen.

Wenn es aber tatsächlich so einfach ist, Fluchten zu organisieren, warum klappt es dann nicht auch bei Elisa, der Tochter von Silvia P.? DER STANDARD hat eine Insassin über einen verschlüsselten Messengerdienst erreicht.

Die Flucht geschafft

Die Deutsche lebt gemeinsam mit Elisa im Camp Roj. Ihren Namen möchte sie nicht im Internet lesen. "Klar, wenn ich könnte, würde ich flüchten in die Türkei", schreibt die Bewohnerin.

Aus dem großen Camp Al-Haul sei das ganz einfach, auch für Europäerinnen. Tatsächlich haben es nach STANDARD-Informationen 2020 mehrere ihrer Landsfrauen aus dem Camp geschafft. "Alle außer eine sind mit Schmugglern in die Türkei", schreibt sie. Offenbar kennt auch die Insassin die Fälle.

Doch aus ihrem Camp Roj sei es eigentlich unmöglich, herauszukommen. Das kleine Camp werde strenger geführt. Die Situation sei übersichtlicher. Thomas Schmidinger, der selbst vor Ort war, bestätigt das. Hat die Bewohnerin dennoch Hoffnung, eines Tages zurück in die Heimat zu gelangen?

"Meine Hoffnung liegt bei Allah allein", schreibt sie. Mit dem IS hat die Frau aus Deutschland lange abgeschlossen, wegen der Ungerechtigkeit. Damit meint sie nicht etwa jesidische Frauen, die der IS verschleppt und versklavt hat. Ihr geht es um den Umgang mit den "Muhajirin", also zugewanderten IS-Anhängern wie ihr. Diese wurden von den Syrern und Irakern innerhalb des IS nach ihrem Empfinden benachteiligt.

Über den Eve’s Help Club sagt sie: "Sie versuchen ihr Bestes. Was Kurdistan und Österreich erlaubt, das bringen sie." Dass die Organisation Gefangene freikaufen würde, habe sie nicht gehört. Diese Aktionen würden eher von Familien und Privatleuten finanziert. Aber wie laufen diese Freikäufe ab?

Unterstützung von den Wachen

Die Bewohnerin schildert es so: Die Familie sammle das Geld in Europa. Die Frau im Camp kontaktiere dann den Schmuggler vor Ort eigenhändig. Der Schmuggler besteche wiederum die kurdischen Wachen. "(Sie) arbeiten zusammen, solange jeder sein Stück vom Kuchen bekommt", schreibt die Insassin aus Deutschland.

Der Außenbeauftragte der SDF, Omar, bestätigt, dass einzelne Lagerwachen in der Vergangenheit Befreiungen unterstützt hätten: "Wir haben die Wachen festgesetzt und führen Ermittlungen."

Auf ihren Reisen in die kurdischen Camps ist Silvia P. nicht allein. Mehrmals begleiteten sie Mütter anderer Campbewohnerinnen. Damit sich die Familien nach Jahren wiedersehen können und Zutritt zum Camp gewährt bekommen, tarnte Silvia P. sie als Mitarbeiter des Eve’s Help Club.

DER STANDARD hat mit mehreren Verwandten von Campinsassen gesprochen, die Silvia P. kennen. Namentlich genannt werden wollen sie nicht. "Wir alle sind von ihr abhängig", sagt ein Familienmitglied. Silvia P. liefere für die Angehörigen Kleidung oder Spielzeug ins Camp. Für manche Frauen sei der Verein die einzige Versorgungshilfe.

Trotzdem möchte sie nichts mehr mit ihr zu tun haben. "Silvia spielt sich mit ihren Kontakten zu den Kurden auf", sagt sie. Gleichzeitig schimpfe sie über die Campleitung, als wäre sie schuld an der Lage.

Die Familien verbindet die Angst

Trotz aller Differenzen verbinden die Familien die Wut über die Tatenlosigkeit ihrer Regierungen und die Angst, ihre Kinder für immer im Kriegsland zu verlieren. Die Verzweiflung der einen ist das Geschäftsmodell der anderen. "Ich habe Angehörigen immer massiv von Freikäufen abgeraten", sagt Schmidinger. Bei einer Flucht könnten Angehörige verletzt oder getötet werden.

Dazu gerieten die Auftraggeber in Verdacht, Terroristen zu finanzieren. Doch Silvia P. gibt nicht auf. Im Februar 2020 hält sie sich wieder in Syrien auf. Sie erzählt einer Person aus ihrem Bekanntenkreis von einem neuen Plan: Dieses Mal möchte Silvia P. Campbewohnerinnen ganz offiziell freikaufen.

Auf dieses Angebot sei die Campleitung bei der Familie einer anderen Frau eingegangen, für 3.000 Euro oder Dollar könne man Frauen über die türkische Grenze bringen, hofft Silvia im Frühjahr noch. Doch auch dieses Mal kehrt die Mutter ohne ihre Tochter zurück.

Ihr Deal hatte offenbar nie eine Chance. "Ich habe noch nie gehört, dass Eltern eine Insassin bei den syrischen demokratischen Kräften privat abholen durften", sagt Schmidinger. Alle Rückführungen laufen über offizielle Stellen.

Auch der SDF-Außenbeauftragte Omar weiß von diesem Deal nichts. Mit Silvia P. habe er sich allerdings schon getroffen. Konkrete Inhalte des Gesprächs möchte Omar nicht teilen.

Nur eine Sache hat Silvia P. wohl auch ihm verschwiegen: "Wir wussten nicht, dass sie eine Tochter im Camp Roj hat", sagt er. Das habe man erst über den Sicherheitsapparat im Camp erfahren.

"Wir haben ein Problem damit, dass Silvia nicht transparent und offen war", sagt Omar. Wenn sie ihre Tochter sehen will, könne sich Silvia P. in Zukunft anmelden. Alle anderen Aktivitäten seien dem Verein fortan verboten.

Der "Gefangene Bruder" im Irak

Der Eve’s Help Club setzt sich hauptsächlich für die Frauen in den Camps ein. Doch es gibt eine Ausnahme, ein IS-Kämpfer mit dem Rufnamen Abu Abdurrahman Al Afghani.

Der Mann ist in Österreich aufgewachsen, sitzt in der irakischen Hauptstadt Bagdad in Gefangenschaft. Bei einer Verurteilung droht ihm offenbar die Todesstrafe.

Die Presse erwähnt den Mann in einem Artikel aus dem Februar 2019. Als Al Afghani 2015 ins Kalifat zog, begleitete ihn eine damals 16-Jährige Österreicherin. "Gefühle kann man nicht lenken", erklärt die Mutter der Mädchens im Interview. Es ist Silvia P., die anonym über das Schicksal ihres Schwiegersohns spricht.

Doch auch hinter den Kulissen spielt Al Afghani beim Eve’s Help Club eine Rolle. Dem STANDARD liegt eine WhatsApp-Nachricht vor, mit der der Verein offenbar Geld für eine von Al Afghani sammelte. Der Ton ist dramatisch, von Folter und Todesstrafe ist die Rede.

"WIR haben eine Chance, ihn daraus zu holen. NUR DIESE EINE". Der Verein baut massiven emotionalen Druck auf die Empfänger der Nachricht auf: "Können wir heute Nacht einschlafen, ohne auf diesen Text reagiert zu haben?" Und weiter: "Dieser Bruder er hat eine Frau! Ein Kind!".

1.022,34 Euro auf dem Spendenkonto

In dem Paypal-Spendenkonto, das am Ende der Nachricht verlinkt wurde, liegen 1.022,34 Euro. Das Konto heißt "Gefangener Bruder", organisiert hat es wie so häufig Dilara P. Unterschrieben ist die Whatsapp-Nachricht mit Eve’s Help Club.

Auch bei Dilara auf Instagram ist Al Afghani ein Thema. Hier heißt es, auf Nachfrage einer Nutzerin das Geld sei "eher" für einen Anwalt gedacht. Nur warum schreibt der Eve’s Help Club das nicht in der Whatsapp-Nachricht, die er privat verschickt? Es ist eine der vielen Fragen, die die Familie P. nicht beantworten möchte.

Sicher ist, dass die Spenden für Al Afghani mittlerweile auch die Justizbehörden interessieren. Im Dezember 2018 soll ein Mann aus Vorarlberg mindestens 100 Euro auf ein Spendenkonto des "@eveshelpclub1" überwiesen haben. Die Staatsanwaltschaft Feldkirch rechnet den Instagram-Account dem "IS-Mitglied" Elisa P. zu.

Nutzt etwa auch Elisa P. den Account, um Live-Updates aus Syrien zu posten? Und warum nimmt die Justiz erst jetzt, gut anderthalb Jahre später, die Ermittlungen auf?

Die Staatsanwaltschaft Feldkirch bestätigt, dass ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts des Verbrechens der Terrorismusfinanzierung anhängig ist. Aus ermittlungstaktischen Gründen könne man keine weiteren Auskünfte erteilen. Ausgang offen.

Die Bilanz der letzten Monate: Ein Betätigungsverbot für den Eve’s Help Club im Camp, Ermittlungen der Staatsanwalt gegen einen Spender des Vereins, Elisa weiterhin im Kriegsland gefangen – wie geht es weiter? Das fragen sich offenbar auch die Follower auf Instagram.

Mitte Juli möchte ein anonymer Nutzer wissen: "Fliegst du nach Syrien?" Dilara antwortet: "Wenn die Möglichkeit besteht, ja in sha Allah" – so Gott will. (Paul Schwenn, 19.7.2020)