Verwirren, ablenken und täuschen – und an die wesentlichen Informationen kann man sich eben einfach nicht erinnern.

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Seit neun Jahren beobachte ich von der Sommerbühne Alpbach aus die Machttaktiken der Regierenden. Anfangs verspürte ich Verwunderung und Wut, heute erwische ich mich manchmal dabei, wie mich eine gewisse Gleichgültigkeit überkommt. Ja, so agieren sie eben die Großparteien, die an der Macht sind. Wenn man brav in einem Ministerkabinett gedient hat, gibt es danach einen Posten, vielleicht sogar als Sektionschef. Bei Medien wird interveniert, wenn einem etwas nicht passt, das hat schon Bruno Kreisky so gemacht. Anzeigen sind dafür da, sich Gefälligkeiten zu erkaufen. Und natürlich setzt man Vertrauensleute und loyale Wegbegleiter in Aufsichtsräte und Vorstände staatsnaher Unternehmen. Sebastian Kurz hat recht, wenn er sagt, dass er das System nicht erfunden hat, aber er hat es weiter perfektioniert.

Beim Ibiza-Untersuchungsausschuss etwa ist zur Halbzeit schon gelungen, was die ÖVP aus der Machtlogik erreichen musste und wohl eine andere Partei genauso versucht hätte, wäre sie in derselben Lage: Verwirren, ablenken und täuschen, und an die wesentlichen Informationen zur Aufdeckung verschiedener Handlungsstränge der Korruption und Misswirtschaft kann man sich eben einfach nicht erinnern.

Aber sind Wurstsemmeln, Kraftausdrücke und angeblich nicht besessene Laptops das, was uns in Erinnerung bleiben soll? Nein, denn am Ende geht es beim Ibiza-Untersuchungsausschuss um viel mehr als das bekannte System der Postenbesetzungen und Verhaberungen. Es geht um echte Korruption, die unser Land gefährdet.

Biegen und Winden

Der FPÖ-Parteichef und spätere Vizekanzler Heinz-Christian Strache trifft sich mit einer scheinbaren russischen Oligarchin, um illegale Parteispenden zu lukrieren, und ist bereit, dabei das halbe Land zu verscherbeln. Jetzt, da es um Aufklärung geht und darum, das zerstörte Vertrauen in die Politik wieder aufzubauen, ist die ÖVP, deren Skandal das ja eigentlich gar nicht ist, alles andere als hilfreich. Untersuchungsausschüsse haben nämlich die Angewohnheit, neben ihrem Hauptgegenstand auch noch allerlei anderes korruptes Machwerk ans Tageslicht zu befördern.

Wenn man sich fürchtet, dass es Kollateralschäden bei der eigenen Partei geben würde, dann biegt und windet man sich in einem solchen Ausschuss und trägt so nicht gerade zur Aufwertung des demokratischen Instruments des Untersuchungsausschusses bei. Und wie gesagt, wer das über Jahre hinweg mitansieht, kann sich schon manchmal bei einem gleichgültigen Schulterzucken erwischen.

Dabei sollten wir uns zusammenreißen und darauf achten, dass wir unsere Erwartungen an die Politik nicht an die Schlechtigkeit der Welt anpassen. Je mehr solcher Machenschaften, sei es Ibiza oder der BVT-Skandal, Postenschacher im großen Stil oder einfach die eine oder andere offensichtliche Lüge eines politischen Amtsinhabers oder einer Amtsinhaberin – wir müssen unsere moralischen Ansprüche an die Politik mit jedem dieser Fälle anheben.

Die Verantwortung dafür, wer am Ruder dieses Staates sitzt, liegt bei den Wählerinnen und bei den Wählern. Denn eine Demokratie stirbt mit der Gleichgültigkeit. Darum: Regen wir uns auf! (Philippe Narval, 20.7.2020)