Brachte die Verhältnisse mit seiner polemischen Prosakunst zum Tanzen: Autor Werner Kofler (1947-2011), ein gebürtiger Kärntner.

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Landläufig bekannt ist der Mörder, der sich an nichts erinnert. Vom Blackout bis zum großflächigen Gedächtnisschwund reichen die Varianten. "Bei meinen Aussetzern hätte ich Präsident werden können", spielt auch die Ich-Figur in Werner Koflers 1989 erschienenem Hotel Mordschein auf das seinerzeit vieldiskutierte "Waldheim-Syndrom" an, als dessen Komponenten zuerst das Nichtwissen und dann, nach dessen Widerlegung, das Vergessen definiert sind.

Es wäre aber kein Text von Werner Kofler, wäre darin nicht alles noch viel verwickelter. Das Mordopfer ist ein untergetauchter NS-Kriegsverbrecher, getarnt als Nachtportier in einem Hotel, und die Ich-Figur, die aus den Fernsehnachrichten erfährt, dass sie des Mordes verdächtigt wird, rätselt den ganzen Text hindurch, ob auch nur ein Körnchen Wahrheit in dem sein kann, was medial publik wird. Hat er wirklich dem Sektgenuss gefrönt, ehe er angeblich zum Messer griff?

Am Klagenfurter Ensemble ist der Prosatext jetzt bis 25. Juli erstmals im Theater zu erleben, auf einer kleinen Bühne hinter der Halle 11, die Zuschauersessel am Parkplatz. An die Hinterhofatmosphäre angepasst das neonflimmernde Leuchtschild des Hotels vor dem Fenster eines Zimmers mit bordellrotem Doppelbett.

"Ich bin in Sicherheit", lässt Regisseur Stefan Schweigert die hierher geflüchtete, bluttriefende Ich-Figur eingangs textgetreu sagen. Am Ende fällt derselbe Satz noch einmal: "Ich bin in Sicherheit." Angesichts des nahen Getöses einer wütenden Menschenmasse scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein. Das persönliche Archiv der Ich-Figur ist inzwischen von Unbekannten durchwühlt worden. Was die Indizienlage noch unklarer macht: Auch alle Zuschauer haben bereits Sekt getrunken.

Mehrbödiges Vexierspiel

Der Absicht des 2011 verstorbenen Kärntner Autors, ein Vexierspiel aus unbewältigter Vergangenheit und kriminellem Gegenwartspotenzial zu entwickeln, ist in der Obhut Stefan Schweigerts, Studienabsolvent Martin Kušejs am Reinhardt-Seminar, bestens aufgehoben. Seinen Hauptdarsteller Rüdiger Hentzschel lässt er ebenso sinnlich zupacken wie gedankenklar den rabiaten Bewusstseinsspaltungen folgen. Giovanni Berg steuert eine gespenstische Klangkulisse aus Schubert-Motiven bei.

Historische Fakten und literarische Fiktion wirbeln durcheinander. Der Protagonist nennt sich Gustav von der Ried wie der junge Schweizer, der in Kleists Novelle Die Verlobung in St. Domingo zum Mörder wird. In seinem möglichen Opfer vermutet er den berüchtigten KZ-Zahnarzt Georg Coldewey, den es tatsächlich gegeben hat, wenn auch dessen Tarnung als Nachtportier aus einem erotischen Psychodrama der Italienerin Liliana Cavani von 1974 stammt. Mordberichte aus der Regenbogenpresse zur Entstehungszeit des Textes geraten der Ich-Figur absurd zwischen die Versuche, das Geschehene zu rekonstruieren.

Der Nationalsozialismus hatte eine lyrische Ader. "Endlich wieder die Birken sehen, die Buchen, den Wald!" Bevor die "Gebäudereinigung Heimlich" anrückt, um das Hotelzimmer ausgerechnet mit Gas zu desinfizieren, erklingen unter dem nächtlichen Klagenfurter Himmel Sätze, deren Schauderhaftigkeit sich erst bei genauerem Bedenken erschließt.

(Michael Cerha, 20.7.2020)