Sarah Gilbert ist eine der weltweit führenden Impfstoffforscherinnen und hat mit ihrem Tempo bei der Entwicklung eines Vakzins gegen das neue Coronavirus bis jetzt alle anderen Mitbewerber hinter sich gelassen.

Universität Oxford

Seit Monaten beginnen die meisten Tage der britischen Wissenschafterin Sarah Gilbert um vier Uhr in der Früh, und die Arbeit endet spät am Abend. Das hat einen simplen Grund: Die 58-jährige Professorin an der Universität Oxford arbeitet mit Hochdruck daran, dass ein von ihr mitentwickeltes Vakzin möglichst bald gegen das neue Coronavirus zum Einsatz kommen kann. Viele Experten rechnen damit, dass dieser Impfstoff der erste sein könnte, der zugelassen wird.

Auch Gilberts Familie trägt das ihre dazu bei: Bereits im April ließen sich die drei Kinder der Forscherin – 21-jährige Drillinge, die alle Biochemie studieren – mit dem neuen Vakzin impfen. Aufgrund ihrer zwei Jahrzehnte umfassenden Erfahrung hatte Gilbert so wie ihre Kinder nicht die geringsten Sicherheitsbedenken, und die Kinder sind – natürlich – nach wie vor wohlauf.

Gute Zwischenergebnisse

Die Chancen, dass der Impfstoff bald auf den Markt kommen könnte, stehen seit Montag auch offiziell recht gut: Eine neue Studie, die im Fachblatt "The Lancet" über die Wirkungen und Nebenwirkungen bei über 1.000 Testpersonen erschien (Phase 1 und 2), hat vielversprechende Ergebnisse gebracht: eine eindeutige Immunreaktion und keine schweren Nebenwirkungen.

Entsprechend kletterten die Kurse des Pharmamultis Astra Zeneca, der im April einen Vertrag mit der Uni Oxford über die Produktion des Impfstoffs abgeschlossen hatte, in den letzten Tagen weiter nach oben. Die entscheidende Phase 3 hat schon begonnen, und Gilbert rechnet damit, dass sie im September abgeschlossen werden könnte. Astra Zeneca hat Vorverträge über die Produktion und Verteilung von 2,1 Milliarden Dosen abgeschlossen, die zum Selbstkostenpreis abgegeben werden sollen.

Von der Industrie zurück an die Uni

Sarah Gilbert studierte Biowissenschaft und promovierte über eine ölhaltige Hefeart, danach arbeitete sie zunächst in der Industrieforschung, kehrte bald aber an die Uni zurück und forschte in Oxford zunächst am Malariaerreger. Als sie 1998 Mutter von Drillingen wurde, übernahm ihr Partner den Haushalt und kümmerte sich um die Kinder.

2010 wurde sie Professorin für Impfstoffforschung am Jenner-Institut der Uni Oxford, wo sie an der Entwicklung eines universalen Grippeimpfstoffs beteiligt war, der auch die klinische Phase erreichte. In den letzten Jahren arbeitete sie auch an einer Impfung gegen das Mers-Virus.

Dabei arbeitete sie an einem neuartigen Impfstofftyp mit, bei dem ein gentechnisch verändertes Virus als Fähre verwendet wird, die je nach spezifischer Veränderung gegen verschiedene Krankheiten eingesetzt werden kann – nun eben auch gegen Covid-19. Dieser Impfstoff basiert auf einem Adenovirus von Schimpansen, das so verändert wurde, dass es für eine starke Immunantwort gegen Sars-CoV-2 sorgt.

Sarah Gilbert erklärt in einem kurzen Clip das Grundprinzip der von ihr mitentwickelten vektorbasierten Impfstoffe.
OxfordNDM - Nuffield Department of Medicine

Plötzliche Medienprominenz

In den britischen Medien ist Gilbert in den letzten Monaten aufgrund der unschätzbaren Bedeutung ihrer Forschungen zu einem Wissenschaftsstar aufgestiegen. Die britische Zeitung "The Times" etwa stellte Ende Mai eine Liste der wichtigsten britischen Forscherinnen und Forscher im Bereich Medizin vor – und Gilbert führte diese Aufzählung an. Sie selbst sieht diese Medienprominenz eher als Ablenkung von ihrer Arbeit, bei der es auf jeden Tag ankommt.

Anfang Juli stellte sie ihre Forschungen in einer Kommission des britischen Parlaments vor. Ein Mitglied der Kommission meinte daraufhin, dass man sich Gilberts Leistung in etwa so vorstellen könnte: Man geht in einen Schuppen hinein und kommt wenig später mit einer Jetturbine heraus. Und als sie von den Parlamentariern gefragt wurde, ob die Welt diesen Winter noch ohne Impfung überstehen müsse, brachte Gilbert ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die Rettung früher kommen wird. (Klaus Taschwer, 20.7.2020)