Hooligan-Gruppen aus dem Umfeld von Partizan Belgrad bei ihrem Tagwerk. Daneben sollen sie auch die Regierung bei den jüngsten Protesten unterstützt haben.

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Die Proteste in Serbien gegen das schlechte Pandemie-Management der Regierung und die Polizeigewalt werden auch von der Diaspora unterstützt. Vor mehreren Botschaften in europäischen Staaten demonstrierten in den vergangenen Tagen Anhänger der Protestbewegung. Die Regierung und allen voran Präsident Aleksandar Vučić versuchen indes recht erfolgreich, die Demonstranten und ihre Anliegen zu diskreditieren. So wurden sie ohne Differenzierung als "Rechtsextreme" und "Hooligans" bezeichnet, zudem wurde behauptet, dass die Proteste vom Ausland aus gesteuert seien – ebenfalls ein bekannter Topos.

Der Politologe Loïc Tregoures von der Universität Lille, der sich eingehend mit der serbischen Fußball- und Hooliganszene auseinandergesetzt hat, sagt außerdem, dass sich unter den Demonstranten durchaus auch einige gewalttätige und rechtsextreme Personen befinden. Allerdings gebe es Hinweise darauf, dass sich einige dieser "Hooligans" auch mit der Polizei koordiniert haben könnten, wie auch das Crime and Corruption Reporting Network (KRIK) in Serbien schreibt.

Gewalt erzeugen, um Demonstrationen zu diskreditieren

"Das Szenario besteht darin, Gewalt zu erzeugen, die dann zu gewalttätigen und wahllosen Reaktionen der Polizei führt, um normale Menschen davon abzuhalten, zu den Protesten zurückzukehren und ihre Sache zu diskreditieren", erklärt Tregoures dem STANDARD. In Belgrad gibt es die These, dass eine Gruppe namens Janičari (Janitscharen) in den vergangenen Tagen bei diesen Aktionen federführend gewesen sein könnte. Die Janičari sind eine Untergruppe der Fußballfans des Klubs Partizan, deren Führer sich laut Tregoures "sowohl für das organisierte Verbrechen als auch für die Politik engagieren".

Grundsätzlich bestehe in Serbien eine Transaktionsbeziehung zwischen der Regierung und Vučić sowie Außenminister Ivica Dačić und den Hooligan-Gruppen, so Tregoures. Diese sehe folgendermaßen aus: Einerseits könnten die Hooligans ihre Geschäfte jenseits des Rechts entwickeln, so sind sie etwa mit dem Drogenhandel verbunden, auf der anderen Seite würden sie die Regierung aber in Ruhe lassen – oder auch "noch besser: Sie helfen ihr bei schmutzigen Dingen wie etwa dem Angriff von Gegnern", so Tregoures.

Nicht reformierter Sicherheitsapparat

Nach dem Fall des autoritären Regimes unter Slobodan Milošević im Jahr 2000 seien die Fußballfangruppen noch mächtiger geworden, erklärt der Forscher. "Gleichzeitig wurde der mit der Organisierten Kriminalität verbundene Sicherheitsapparat im Jahr 2000 aber nicht gesäubert." In Serbien gab es nach dem Ende des Kommunismus, aber auch später niemals Reformen in den Sicherheitsstrukturen, insbesondere im Geheimdienst und im Innenministerium. Deshalb blieben die alten, intransparenten Beziehungen bestehen. "Die Verbindungen zur Unterwelt gibt es noch immer", so Tregoures.

Diese unreformierten Strukturen stellen durchaus auch für Politiker eine Herausforderung dar, weil sie gefährlich werden können – wie man das bei der Ermordung des damaligen Premiers Zoran Djindjić im Jahr 2003 sehen konnte. Denn die Fußballfans können jederzeit mobilisieren und dadurch auch Kontrolle ausüben. "Serbien ist bezüglich der Verbindungen sowohl zur Politik als auch zur Organisierten Kriminalität viel vergleichbarer mit Russland oder Argentinien als mit dem Nachbarland Kroatien", erläutert Tregoures. (Adelheid Wölfl, 20.7.2020)