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Spotify befindet sich in einer Zwickmühle.

Foto: Reuters

Kein europäisches IT-Start-up kann so hohe Nutzerzahlen verzeichnen wie Spotify: 286 Millionen Menschen, darunter 130 Millionen Abonnenten, die einen Monatsbetrag zahlen, soll der Dienst 2020 verzeichnen. Damit übersteigen die Nutzerzahlen des schwedischen Unternehmens selbst jene des IT-Giganten Apple, der zuletzt 2019 von 60 Millionen zahlenden Kunden bei seinem Musikstreamingdienst sprach.

Und auch in Zukunft dürfte es, zumindest was die Userzahlen betrifft, gut aussehen, denn Audiostreaming bricht Jahr für Jahr Rekorde: Mittlerweile nutzen 57 Prozent aller deutschen Internetnutzer Musikstreamingdienste, wie aus einer Umfrage im Auftrag des deutschen Digitalverbands Bitkom hervorgeht. 76 Prozent hören zumindest hin und wieder Audioinhalte per Streaming. Fast jeder Fünfte nutzt kostenpflichtige Angebote. CDs sterben hingegen einen langsamen Tod, wenngleich die Umsatzeinbrüche des Formats in Österreich langsamer voranschreiten als in anderen Ländern.

Rote Zahlen, teure Musiklizenzen

Trotz dieses Potenzials hat der eigentliche Marktführer im Bereich des Musikstreamings seit Jahren stets Verluste zu verzeichnen. 2017 waren es 596 Millionen Euro, 2019 186 Millionen. Und auch heuer erwartet Spotify, Verluste in Höhe von bis zu 250 Millionen Euro. Der Grund dafür liegt im nichtskalierbaren Geschäftsmodell: Je erfolgreicher die Firma wird, desto höher werden die Kosten für die Finanzierung des Dienstes. Daher muss Spotify sich verschulden.

Ein großer Teil der Einnahmen geht nämlich an Musikverlage. Das liegt an dem vergleichsweise hohen Preis für Lizenzverträge beim Musikstreaming. Spotify muss für jedes abgespielte Lied zahlen, weswegen mehr Zuhörer für höhere Kosten sorgen. Das Unternehmen stößt sich dabei aufgrund der enormen Zentralisierung innerhalb der Musikbranche an den Kopf. Ein Großteil der veröffentlichten Musik stammt von Interpreten, die bei Plattenfirmen wie Warner Music, Universal und Sony Music unter Vertrag stehen. Spotify muss, je nachdem, wie oft ein Lied abgespielt wurde, zahlen. Ein kleiner Betrag geht an die jeweilige Labels und ein noch kleinerer – ein Bruchteil eines Cents pro abgespieltem Song – geht an Musiker, die kaum davon leben können. In der Corona-Krise intensiviert sich diese ungünstige Situation weiter, da die Einnahmen für Interpreten durch Liveauftritte wegbrechen.

Dennoch rentiert sich das Geschäftsmodell für Spotify nicht. Das Geld, das das Unternehmen anhand von Abos und Werbung generiert, reicht nicht aus, um die Ausgaben zu decken.

Gleichzeitig haben die Musikverlage aufgrund ihrer Marktmacht bei Verhandlungen die Oberhand, denn versucht die Firma, vorteilhaftere Verträge auszuhandeln, könnte das zur Folge haben, dass bekannte Künstler aussteigen – und nicht mehr bei Spotify zu finden sind. Sind diese Interpreten dann aber bei der Konkurrenz aus dem Silicon Valley vertreten, bedeutet das für die Firma einen Imageschaden.

Zäher Wettbewerb

Mit Google und Apple hat der Dienst kein leichtes Spiel. Die Anbieter der Betriebssysteme für Smartphones haben einen zusätzlichen Heimvorteil, denn sie beherrschen die jeweiligen Ökosysteme: Apple Music ist standardmäßig auf iPhones installiert, Youtube – und das damit beworbene Youtube Premium, das auch Musikstreaming anbietet – auf Android-Geräten.

Spotify muss hingegen zunächst in den jeweiligen App-Stores heruntergeladen werden. Gleichzeitig haben die IT-Konzerne aufgrund ihrer zahlreichen Services – darunter sowohl Software als auch Hardware – weitaus mehr Kapital, um Spotify aus dem Geschäft zu drängen. Spotify hat hingegen nur Spotify.

In den vergangenen Jahren setzt die schwedische Firma vermehrt auf ihren erhofften Heilsbringer: Podcasts. 100 Millionen US-Dollar soll sich Spotify einen im Mai bekannt gewordenen Exklusivdeal mit dem Podcaster und US-Komiker Joe Rogan kosten haben lassen, ein Blick in die Podcastcharts des Diensts verrät weitere Granden. Auch im deutschsprachigen Raum: So hat das Unternehmen zahlreiche Verträge mit bekannten Persönlichkeiten wie Jan Böhmermann oder Palina Rojinski abgeschlossen. Insgesamt finden sich auf der Plattform über 30.000 deutschsprachige Formate, weltweit sind es über eine Millionen Podcasts.

Immer mehr Podcast-Features

Der immer steigende Fokus ist auch in den neuen Features der App zu beobachten. So startete Spotify vergangenen Monat neue Podcastcharts, die eine aktualisierte Übersicht der meistgestreamten Podcasts erlaubt. Am Dienstag kündigte das Unternehmen Videopodcasts an: Clips, die bei einem Wechsel in einen anderen Tab nicht gestoppt werden. Stattdessen läuft der Ton weiter. Damit will das Unternehmen vor allem Joe Rogans Podcast bewerben. Die Joe Rogan Experience ist einer der beliebtesten Podcasts in den USA und wird regelmäßig millionenfach angesehen. Bisher konnten Nutzer den Videopodcast auf Youtube aufrufen.

Spotify verschafft sich also sowohl Größen direkt aus der Branche als auch anderweitig bekannte Persönlichkeiten, um zum relevantesten Portal für Podcasts zu werden. Damit erhofft es sich, ein alternatives finanzielles Standbein aufzustellen. Podcastdeals dürften in den meisten Fällen trotzdem rentabler sein als das Musikgeschäft – auch weil das Unternehmen aufgrund seiner hohen Nutzerzahl, die erst mithilfe von Musik generiert wurde, ein attraktiver Publisher ist und bei Verhandlungen eine gute Position hat.

Publisher und Plattform

Die Firma übernimmt dabei zwei Rollen gleichzeitig: Einerseits ist Spotify die Plattform, auf der Podcasts angehört werden, andererseits fungiert es aber auch als Publisher. Das hat in der Vergangenheit auch für Kritik gesorgt, denn Podcasts gehen so langfristig den gleichen Weg wie TV-Streaming: Statt einem offenen Umfeld, bei dem Inhalte im gesamten Web verbreitet werden können, übernehmen immer weniger große Unternehmen die Publikation vieler Formate. Ähnlich wie bei Netflix sind die Podcasts aufgrund der Finanzierung nur mehr bei Spotify zu finden. Auf lange Sicht hofft es, so ein rentables Geschäftsmodell zu schaffen. Dafür nimmt das Unternehmen auch Geld in die Hand, um bei anderen Firmen einzukaufen – so erwarb es im vergangenen Jahr die Podcast-App Anchor sowie zahlreiche Netzwerke, die unter einem Dach ein breites Podcastangebot zur Verfügung stellten. Derartige Zukäufe, darunter auch der Deal mit Rogan, sollen 600 Millionen US-Dollar gekostet haben.

Ob die Strategie aufgehen wird, wird sich noch zeigen: Bei den Hörern bleibt Musik vorerst die höchste Priorität. Im ersten Quartal des vergangenen Jahres konnte der Dienst allerdings verzeichnen, dass rund 20 Prozent der aktiven Nutzerschaft auch Podcasts konsumiert. Und mit der Corona-Krise und damit verbundenen Selbstisolationsmaßnahmen sind viele Nutzer lange Zeit zu Hause – und konsumieren mehr Medien. (Muzayen Al-Youssef, 6.8.2020)