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Gemeinschaft im jungen Gewand mit konservativen Werten: Freikirchen kennen keine Säuglingstaufen.

Foto: Picturedesk / Peter Endig

Konkurrenz kann das Geschäft beleben. Aber auch für gehörig Unruhe sorgen, wenn ein Anbieter offenbar das bessere Angebot hat und die Kunden in Scharen dort hinpilgern. Was für den freien Markt gilt, lässt sich auch getrost auf den Weingarten des Herren umlegen. Vor allem außerhalb Europas wandern die Schäfchen in Scharen in Richtung diverser Freikirchen. In Brasilien etwa, dem Land mit den meisten Katholiken, gerät die katholische Kirche zunehmend in die Defensive. Hunderttausende strömen zu evangelikalen Freikirchen und Pfingstgruppen, um dort unmittelbar Gottes Heil zu erleben.

Die unterschiedlichen Formen charismatischer Frömmigkeit setzen den großen christlichen Amtskirchen immer mehr zu. Immerhin fünf- bis siebenhundert Millionen Menschen rechnet man freikirchlichen Bünden und unabhängigen Gemeinden zu. Das entspricht mehr als einem Viertel der weltweiten Christenheit. Freikirchen bilden daher neben dem katholischen Glauben klar die zweite große Säule des Christentums.

Splittergruppen

In Österreich hat sich diese, im Vergleich noch junge, christliche Bewegung in den letzten 50 Jahren eher abseits der Scheinwerfer etabliert. Und sie ist bis heute auf schätzungsweise bis zu 60.000 Mitglieder angewachsen. Genaue Zahlen zu erfassen ist durchaus schwierig, denn die Szene ist weitgehend unüberschaubar und in entsprechend viele Kleingruppen zersplittert. Fest steht aber, dass die "Freikirchen in Österreich" seit 2013 als anerkannte Religionsgemeinschaft gelten. Dazu zählen offiziell rund 20.000 getaufte Mitglieder.

Unter den Überbegriff fallen genau fünf Kirchengemeinden, die selbstständig agieren, sich aber, um den Status der Anerkennung erreichen zu können, zusammengeschlossen haben: der Bund der Baptistengemeinden in Österreich, der Bund Evangelikaler Gemeinden in Österreich, die Elaia Christengemeinden, die Freie Christengemeinde – Pfingstgemeinde in Österreich und die Mennonitische Freikirche Österreich. Insgesamt zählen die "Freikirchen in Österreich" ungefähr 200 freikirchliche Gemeinden in allen Bundesländern.

Anders als sonst kirchenüblich, fehlt bei den Freikirchen eine streng hierarchische Struktur. Die einzelnen Gemeinden agieren weitgehend autonom. Ansprechpartner gegenüber Öffentlichkeit, Staat und anderen Kirchen ist der Rat der "Freikirchen in Österreich", der sich aus leitenden Personen der fünf obengenannten Freikirchen zusammensetzt.

Der größte theologische Unterschied findet sich wohl darin, dass es in Freikirchen keine Säuglingstaufen gibt. Nach außen präsentiert sich die evangelisch geprägte Gemeinschaft gern als locker-lustige Gebetsrunde. Viel Eventcharakter, viel Tanz, Singen und Umarmungen – womit einerseits die zumeist starr konservative innere Haltung ins Hintertreffen gerät, andererseits dies aber in viral heiklen Zeiten mitunter im Cluster endet. Faktum ist dennoch: Freikirchen sind in den letzten Jahren mehr und mehr attraktiv geworden – für Gläubige, für die katholische und die evangelische Kirche. Und selbst für die Politik, wenn man sich den Auftritt von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als Überraschungsgast bei der großen Jesus-Sause der Kampagne Awakening Europe im Juni 2019 in der Stadthalle in Erinnerung ruft.

Locker, lustig, konservativ

Bei aller Beliebtheit drängen sich dennoch entscheidende Fragen auf: Wie viel Sekte steckt in der Freikirche? Wie groß ist die Gefahr radikaler Strömungen? Wie locker kann man da im Gebetskreis noch bleiben, wenn von "Kreuzzügen und Gottes Armee, die bis auf die Zähne mit Liebe bewaffnet ist" gepredigt wird?

"Freikirchen decken das gesamte Spektrum ab – von ganz liberal bis hardcore-fundamentalistisch, von global ganz genau durchstrukturiert bis hin zu unabhängigen Einzelgemeinden", erläutert der Theologe, Religionswissenschafter und Freikirchenkenner Christian Feichtinger vom Institut für Katechetik und Religionspädagogik an der Universität Graz im STANDARD-Gespräch.

Man habe Kirchengemeinden, in denen es völlig normale, offene Strukturen gebe. Feichtinger: "Aber eben auch Gemeinden, in denen Religion unglaublich autoritär praktiziert wird. Kleinere Einheiten mit viel Kontrolle, mit starker Abgrenzung. Da geht es natürlich in die Richtung einer problematischen Form von Religion."

In Europa sei das rasante Anwachsen der Gemeinden aber deutlich stärker mit der Migration verbunden als mit Übertritten aus anderen Religionsgemeinschaften. "In Österreich ist der Aufstieg der Freikirchen besonders mit der rumänischen Migration verbunden", erläutert der Religionswissenschafter. (Markus Rohrhofer, 21.7.2020)