Wann es hier wieder ums Laufen gehen würde, fragte unlängst ein Leser. Und präzisierte sich umgehend selbst. "Ums normale Laufen." Denn auch wenn er Spaß im Wasser oder das Freak- und Nischenerlebnis eines Swimruns durchaus schätze, auch wenn groteske Sinnlos-Studien über die Belaufbarkeit von Städten "nicht unwitzig" seien, verstehe er diese Kolumne in erster Linie als Motivationshilfe für "Normalos wie mich". Und allein die Vorstellung, acht Kilometer zu schwimmen … und so weiter.

Foto: thomas rottenberg

Ich verstehe den (mir unbekannten) Mann: Sollte hier der Eindruck entstehen, dass Sport im Allgemeinen und Laufen im Besonderen nur "gilt", wenn man sich die Kante gibt, über Grenzen geht, den Sport im Kopfstand ausübt oder zumindest für einen Marathon mit 5.000 Höhenmetern und hungrigen Eisbären auf der Strecke trainiert, dann stimmt etwas nicht.

Spaß an harmlosem Wahnsinn zu feiern kann und darf sein. Doch das erste Ziel, die Raison d'Être dieser Kolumne ist ein anderes: Es geht um die Freude an der Bewegung. Um das Befeuern eines positiven "MeToo"-Gedankens: Wenn der – also ich – so was kann, kann ich es auch. (Vorausgesetzt, Sie wollen es – und wenn nicht, ist es auch okay.)

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Darum kommt hier und heute tatsächlich eine "normale" Laufgeschichte. Die Geschichte von einem Lauf mit vier Läufern – genauer: zwei Läuferinnen und zwei Läufern –, mit denen ich vergangene Woche unterwegs sein durfte. Einfach so. Ohne Wettkampf, ohne Challenge, ohne Hintergedanken – und ohne großartiges Ziel oder ehrgeizige Absicht. Wir – Julia, Simone, Christoph, Herbert und ich – sind eben einfach nur gelaufen. Etwas länger als eine Stunde. Quer durch den Prater. Das war genau so genau richtig. Es war schön und gut. Es war ein bisserl fordernd, aber machbar – so, dass währenddessen alle Luft zum Plaudern und Blödeln hatten. Und am Schluss lachten: Nur darum geht es.

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Okay, zugegeben: Ausschließlich spontan und ganz ungeplant war der Lauf nicht. Denn die vier liefen organisiert – und ich war ihr Guide. Und beim Firmenlauftreff des Unternehmens – einer öffentlichen Institution –, für das sie arbeiten. Solche außerberuflichen Aktivitäten unterstützen mittlerweile viele – und zum Glück immer mehr – Firmen: HR (oder sonst wer) bucht an einem fixen Tag bei einem (in dem Fall eben meinem) Trainer einen Kurs, vermeidet aber dieses Wort. Man spricht von "Trainings-" oder "Laufeinheiten" – oder sagt "Lauftreff". Je nach der Anzahl der Anmeldungen und den (voraussichtlichen) Leistungslevels gibt es dann eine, zwei oder 300 Gruppen – die mit unterschiedlichem Tempo durch die Pampa hecheln. Oder "walken" – jeder und jede, wie es am meisten Freude macht.

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Davon haben alle was. Gesundheitlich, sozial und psychisch: Gesündere Mitarbeiter und -innen sind weniger oft krank. Wenn Menschen gemeinsam Dinge tun, die ihnen Spaß machen, ist das gut für Klima und Motivation. Das äußert sich dann auch in der Bereitschaft, im Job sich selbst und mehr Energie einzubringen – und auch in der Loyalität zum Unternehmen. Das hat wiederum – auch – ökonomischen Impact. No na auch für die Trainerinnen und Trainer, die von solchen Aufträgen leben – und (und da rede ich nicht nur von meinem Coach, sondern etlichen anderen) einen Teil des Geldes dann in Vereins- und vor allem Jugendarbeit stecken können.

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Ich bin kein Trainer. Nicht wenn man darunter jemanden mit einer fundierten und auch zertifiziert-anerkannten sportwissenschaftlichen Ausbildung versteht: Es gibt eine sehr breite – sagen wir mal – "Grauzone". Gerade was die Kompetenz und Titel mancher "Experten" angeht – und obwohl manche dieser, sagen wir mal, "Selbstermächtiger" gute Arbeit leisten: Obwohl ich ziemlich sicher ein bisserl was von Sport und Laufen verstehe, werde ich mich nicht "Running Expert", "holistischer Moving-Partner" oder "ausdauerwissenschaftlicher Sportberater" nennen. Derlei gibt es zuhauf.

Der guten Form halber: Harald Fritz, mein Coach (und in diesem Fall auch Auftraggeber), hat das, was er an Expertise anbietet, regulär studiert und bildet sich laufend weiter. Er kann und darf Dritte – also etwa mich – auf Kunden "loslassen".

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Allerdings bin ich eh nur eingesprungen. Als Urlaubsvertretung. Mein Kumpel Markus radelt gerade durch Österreich (mein Neid sitzt auf seiner Hinterradnabe). Und so stand ich eben Mittwochnachmittag am Stadionparkplatz und wartete – ein bisserl nervös – auf "meine" Gruppe.

"Wir machen oft Intervalle. Ich glaub', die Julia will Stiegen laufen. Schau', wie sie drauf sind, aber mach' dein Ding," hatte Markus mir mitgegeben.

Eigentlich wären wir zu viert gewesen, aber als ich sagte, dass ich vorhätte, ein bisserl "soft" Trail zu laufen – zwar im Prater, aber abseits der üblichen Forstwege –, fragte Simone, ob sie bei uns mitlaufen könne. "Wenn ich euch nicht zu langsam bin." Sicher nicht: Das ist kein Wettlauf.

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Was bei einem Gruppenlauf – eigentlich ja auch allein – immer dazugehört: Warm- und Einlaufen. Für mich in dem Fall auch nicht unwichtig, um ein bisserl abzuchecken, was die Gruppe draufhat: Männer tendieren dazu, sich zu überschätzen, Frauen präsentieren sich dafür meist ein bisserl unter Wert.

In dem Fall wussten Julia, Christoph und Herbert recht genau, was sie können – sie laufen ja nicht zum ersten Mal gemeinsam. Aber erwartungsgemäß konnte Simone sehr gut mithalten. Der Plan lautete ja nicht "gewinnen", sondern "Spaß haben".

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Natürlich gehört auch immer ein bisserl Lauftechnik zu so einem Lauf. (Wieder: Die sollte man auch allein einbauen, aber das tut ohne fixen Vorsatz oder Auftrag fast keiner. Ich ja auch nicht.)

Wir hatten aber ein kleines Problem: Gelsen. Sobald wir standen, fielen sie über uns her. Und bei manchen Übungen können die fiesen Sauger einen doch erwischen. Da das Lauf-Abc – auch schon ohne permanentes Schenkel- und Körperklopfen und schuhplattlerartige Verrenkungen – seltsam genug aussieht, kürzte ich diesen Teil. Meine Ausrede: Auch Laufen im Wald ist eine koordinative Übung für den Fuß – schon bei den kleinsten Wurzeln und Unebenheiten.

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Traillaufen ist nämlich ganz was anderes als Straße. Und zwar auch, wenn es nur durch den Wald geht: Auf der Straße – sogar am Feldweg – weiß der Fuß ziemlich genau, was auf ihn zukommt. Man findet seinen "Flow", seinen Rhythmus – und schaltet dann weitestgehend auf Fuß-Autopilot. Das spart Kraft.

Auf einem Pfad muss der Fuß aber permanent "arbeiten". Weil der Untergrund eben immer ein Altzerl anders ist. Eine Wurzel, ein Loch, eine Lacke, ein Stein: Der Fuß muss bei jedem Aufsetzen andere Informationen blitzschnell verarbeiten und darauf reagieren. Das kann er. Dafür ist er gebaut und ausgelegt. Aber dass das etwas anderes ist als die Gleichmäßigkeit des Straßenlaufes, merkt man sehr rasch – sogar wenn es nur rund ums Lusthauswasser geht.

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Der Weg entlang solcher Alt- und Totarme im Auwald ist nie gerade, nie ganz flach. Man schlängelt, weicht über kleine Böschungen aus und hat immer wieder tiefhängende Äste oder liegende Baumstämme zu überwinden: Einen gleichmäßigen, ruhigen Laufrhythmus findet man kaum. Und der Blick auf die Uhr ("Was laufen wir gerade? Was haben wir für eine Durchschnittspace?") erübrigt sich. Stattdessen lernt man, die Umwelt bisserl genauer wahrzunehmen – nicht nur, weil sie schön und spannend ist, auch um nicht auszurutschen.

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Denn Trail lehrt Gruppe – auch wenn es da nur um vermeintlich kleinste Nebensächlichkeiten geht. Das Warnen vor eventuell schnalzenden Zweigen und Ranken gehört ebenso dazu wie das Reichen (oder auch Annehmenkönnen – da tun sich manche Leute richtig schwer) einer stützend-sichernden Hand. Mein Motto lautet "better safe than sorry" – lieber einmal zu oft als einmal zu wenig.

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Ob da eine oder einer 20 Sekunden schneller am Kilometer unterwegs sein könnte, ist rasch allen wurscht. Auch derjenigen, die sich Sorgen ums Mithaltenkönnen gemacht hatte: Das ist kein Wett-, sondern ein Erlebnislauf. Und von dem haben auch die Schnelleren mehr, wenn man gemeinsam staunt, wenn ein kleines Naturschauspiel nach dem anderen wie auf einer (gatschigen) Perlenschnur aufgereiht vorbeizieht. Keine 20 Minuten von der nächsten U-Bahn-Station entfernt: "Wow, schön! Hier war ich noch nie."

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Das Abbiegen ins Gelände hatte aber auch einen praktischen Grund gehabt: Vergangenen Mittwochabend begann auch in Wien die Wettkampfzeit endlich wieder. Die Macher des Vienna City Marathon hatten auf der Hauptallee zum "Pop Up Run" geladen: Insgesamt etwa 250 Läuferinnen und Läufer wurden in Kleinstgruppen und mit Abständen den ganzen frühen Abend auf einen Fünf-Kilometer-Kurs geschickt. Und auch wenn da die Hauptallee für andere Läufer nicht gesperrt ist, auch wenn man da – solange man drauf schaut, niemandem im Bewerb in die Quere zu kommen – durchaus auf dem "Strip" laufen kann, gehen ein paar Dinge dann eben nicht: Intervalle etwa.

Andere Trainerinnen und Trainer (hier: Ruth, die Eva begleitete) hatten aus der Not eine Tugend gemacht – und sich und ihre Läuferinnen und Läufer beim Pop-up-Lauf angemeldet.

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Im Ziel trafen einander dann alle wieder. (Nur die WalkerInnen kamen etwas später.) Und es gab ausschließlich Siegerinnen und Sieger: Meine Gruppe hatte "Wildnis" erlebt und – im Wortsinn – neues Terrain erkundet. Die anderen Wettkampfluft geschnuppert. Sie waren im Ziel mit Sponsoren-Eis belohnt worden.

Dass weder der kleine Trail noch der Fünf-Kilometer-Pop-up-Lauf "was Besonderes", sondern einfach nur ganz normales Laufen waren?

Vollkommen egal.

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Nein, nicht egal: perfekt. Denn alle hatten sich selbst gespürt. Waren einen kleinen Schritt aus dem Alltagstrott herausgetreten. Hatten etwas für sich selbst getan – und etwas (das unterstelle ich jetzt mal: Schönes) erlebt.

Aber viel wichtiger: Alle strahlten – nur darum geht es.

(Thomas Rottenberg, 22.7.2020)

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