Das Denkmal des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger, der wegen seines Antisemitismus umstritten ist, am Dr.-Karl-Lueger-Platz in Wien wurde kürzlich mit der Aufschrift "Schande" besprayt.

Foto: APA / Roland Schlager

Es sind inszenierte Akte der Gewalt, die gehäuften Denkmalstürze der vergangenen Wochen. Gleichzeitig wird das brachiale Niederreißen der Statuen von Sklavenhändlern, Rassisten und Kriegstreibern als ein gestärktes historisches Bewusstsein gesehen. Aber birgt das gewaltsame Tilgen von Bildnissen fragwürdiger historischer Persönlichkeiten nicht die Gefahr des Vergessens ihrer Taten?

"Ich halte das Stürzen von Denkmälern nur in Ausnahmefällen für sinnvoll", sagt der Kunsthistoriker Werner Telesko von der Akademie der Wissenschaften. Zielführender erscheint ihm die Kontextualisierung dieser Objekte etwa durch künstlerische Interventionen.

Entsprechende Ambitionen gab es auch im Fall der Statue des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol. Inzwischen aber wurde die Bronzestatue vom Sockel gerissen und im Hafen versenkt. Street-Art-Künstler Banksy schlug daraufhin vor, die Statue wieder aus dem Wasser zu ziehen und auf den Sockel zurückzustellen – mit einem Seil um den Hals, an dem einige lebensgroße Statuen von Black-Lives-Matter-Demonstranten zerren.

Banksys Idee wurde zwar nicht umgesetzt, aber dorthin, wo einst Colston thronte, stellten nun Anhänger der Black-Lives-Matter-Bewegung eine vom Künstler Marc Quinn gestaltete Statue der schwarzen Aktivistin Jen Reid. Diese ließ Bristols Bürgermeister Marvin Rees allerdings wieder entfernen.

Künstlerische Interventionen

Das emotional aufgeladene Hin und Her um diese Statue macht einiges deutlich. Etwa den Umstand, dass Denkmäler von unterschiedlichen Gruppen und aus verschiedenen Zeitperspektiven aus mit jeweils anderen Augen gesehen werden und wurden.

"Deshalb müssen sie, um breit akzeptiert zu werden, auch immer wieder neu bearbeitet werden", ist Telesko überzeugt. "Das Beschmieren des Lueger-Denkmals in Wien ist eine Möglichkeit, damit umzugehen."

Eine bessere und zudem legale Option wären temporäre Installationen wie etwa Verhüllungen oder andere künstlerische Interventionen, die eine Verbindung zur Gegenwart herstellen. "Solche Interventionen müssen natürlich demokratisch abgesichert sein und sollten in der Folge auch von der öffentlichen Hand unterstützt werden."

So wurde im vergangenen Jahr in unmittelbarer Nähe der Lueger-Statue für drei Wochen eine riesige Plakatwand mit dem Bild von Ute Bock aufgestellt. Das schrille Nebeneinander der Flüchtlingshelferin und des antisemitischen Bürgermeisters hat eine spannungsgeladene Kommunikation mit der Gegenwart angeregt. "Es sollten Denk- und Diskussionsanstöße gegeben werden, die man mit der auf das Denkmal aufgesprühten ‚Schande‘ sicher nicht bewirken kann", sagt Telesko.

Zurzeit geht die Diskussion über den Umgang mit fragwürdigen Denkmälern von exponierten Gruppen in der Bevölkerung aus. "Nun ist es höchste Zeit, dass sich die Politik überlegt, welche Maßnahmen sie unterstützen will."

Belastete Straßennamen

Während Standbilder relativ leicht vom Sockel gestoßen oder künstlerisch bearbeitet werden können, stellt sich ein adäquater Umgang mit fragwürdig gewordenen Heroen in gemalter oder verschriftlichter Form beträchtlich schwieriger dar. Was soll man etwa mit den zahllosen Historienbildern des 19. Jahrhunderts machen, die heute geschmähte Persönlichkeiten in Heldenpose darstellen? Oder mit den vielen Straßennamen, die zu Ehren von Kriegstreibern und Nazi-Dichtern vergeben wurden?

"Denkmäler sind ja nur die Spitze des Eisbergs der Gedächtniskultur", sagt Telesko. Wo also soll man mit den "Bereinigungen" beginnen? Und wo werden sie enden? Dass es darauf keine einfachen Antworten gibt, liegt auf der Hand.

So wurde etwa im Grazer Gemeinderat bereits 2014 auf Antrag der Grünen über die Umbenennung historisch belasteter Straßennamen diskutiert. Eine eigens eingerichtete Historikerkommission untersuchte daraufhin vier Jahre lang alle Grazer Straßennamen auf die Geschichte ihrer Namensgeber. Das Ergebnis: 82 Straßen und Plätze tragen die Namen von historisch bedenklichen Persönlichkeiten, 20 davon wurden sogar als "höchst bedenklich" eingestuft. Was also tun mit einer Kernstock- oder einer Jahngasse?

Die Kommission entschied sich dafür, in allen 707 Straßen mit personenbezogenen Namen Erklärungstafeln anzubringen und eine interaktive Straßenkarte mit Zusatzinformationen anzubieten. Bislang wurden diese Vorhaben noch nicht umgesetzt.

Nur die Kernstockgasse, deren deutschtümelnder Namensgeber das Hakenkreuzlied verfasste, wurde von einer Aktivistengruppe kurzzeitig in "Kurt-Cobain-Gasse" umbenannt. Inoffiziell, versteht sich. Nun fordert die Grazer KPÖ eine offizielle Umbenennung in Alfred-Kolleritsch-Straße.

Mühsame Ausverhandlung

"Die Entscheidung, wer mit einem Straßennamen oder Denkmal geehrt werden und wem diese Ehre entzogen werden soll, ist immer das Ergebnis eines oft mühsamen gesellschaftlichen Ausverhandlungsprozesses", betont Heidemarie Uhl, Expertin für Gedächtniskultur und Geschichtspolitik der Akademie der Wissenschaften. "Ein Denkmal kann nie für die gesamte Gesellschaft sprechen."

Zudem müsse man in diesem Feld auch Ambivalenzen aushalten, denn "die Geschichte ist meistens nicht schwarz oder weiß." So war etwa Winston Churchill nicht nur ein erbitterter Gegner Adolf Hitlers, sondern gleichzeitig auch Vertreter einer brutalen Kolonialpolitik. Oder Christoph Kolumbus: Von den einen wird er als mutiger Entdecker Amerikas gefeiert, von den anderen als Massenmörder der indigenen Bevölkerung verdammt.

Anstatt die Denkmäler solcher Personen niederzureißen, erachtet es Uhl als "sinnvoller, Zeichen zu setzen, die Distanz erzeugen. Denn aus solchen Gedächtnisorten kann man nur dann lernen, wenn ebendieser Akt des Distanzierens erkennbar ist." (Doris Griesser, 27.7.2020)