Im russischen Konsulat in London sieht man die Ergebnisse des Berichts über die Einflussname Moskaus in Großbritannien nicht mit Freude.

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Die konservativen Regierungen des vergangenen Jahrzehnts haben die Bedrohung demokratischer Abstimmungen in Großbritannien durch russische Einflussversuche ignoriert, heruntergespielt oder nicht ernst genug genommen. Zu diesem Schluss kommt der Geheimdienst-Kontrollausschuss des Parlaments in einem Bericht, dessen Veröffentlichung die Regierung von Premier Boris Johnson um mehr als ein halbes Jahr verzögert hat. Insbesondere hätten die Konservativen vor und nach dem Brexit-Referendum von 2016 "aktiv vermieden, nach russischem Einfluss zu suchen", teilte das Komitee-Mitglied Stewart Hosie am Dienstag im Unterhaus mit.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bezeichnete die Vorwürfe gegen sein Land als unbegründet: Russland habe sich noch nie in die Belange anderer Länder gemischt. Die außenpolitische Sprecherin der Labour-Opposition, Lisa Nandy, nannte den Bericht für die Regierung höchst peinlich: "Es gibt keine stimmige Gesamtstrategie gegenüber Russland." Eine Stellungnahme der Downing Street sprach von mangelnden Beweisen für russische Einflussnahme auf die EU-Austrittsentscheidung; daher sei eine nachträgliche Untersuchung nicht nötig.

Wenige Details

Erst vergangene Woche hatte Außenminister Dominic Raab "russische Akteure" der versuchten Einflussnahme auf die Unterhauswahl 2019 beschuldigt. Zudem hätten Moskaus Geheimdienste Cyberattacken auf jene Wissenschafter in Oxford und London gerichtet, die an der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs beteiligt sind.

Ebenfalls vergangene Woche war der Geheimdienst-Kontrollausschuss zum ersten Mal seit der Wahl im Dezember zusammengetreten. Weil das Gremium statt Johnsons Wunschkandidaten den anerkannten Rüstungsexperten und früheren Leiter des Verteidigungsausschusses im Unterhaus, Julian Lewis, zu seinem Chef gekürt hatte, wurde der Konservative aus seiner Parlamentsfraktion ausgeschlossen. Der jetzt veröffentlichte Bericht geht auf eine Untersuchung in der vergangenen Legislaturperiode zurück, weshalb Lewis dessen Vorstellung den beiden Abgeordneten der Opposition überließ, die dem Gremium schon damals angehörten.

Das Schriftstück fällt mit 42 Seiten sowie einigen Anhängen vergleichsweise kurz aus und stellt eher eine Zusammenfassung dar, ohne Details der gewonnenen Erkenntnisse zu offenbaren. Die Parlamentarier begründen dies mit der anhaltenden Gefährdung des Landes: Hätte man mehr preisgegeben, würde dies die Arbeit der russischen Geheimdienste allzu sehr erleichtern.

Russland sei "gleichzeitig sehr stark und sehr schwach", lautet die Analyse der Parlamentarier. Trotz vergleichsweise kleiner Volkswirtschaft leiste sich das Land große und mächtige Geheimdienste und Streitkräfte und stelle "eine allumfassende Sicherheitsbedrohung" dar.

"Zentrum der Anti-Russland-Lobby im Westen"

Russische Oligarchen sowie deren Familienmitglieder haben den Konservativen seit 2010 mehrere Millionen Pfund zukommen lassen. Warum der Kreml Großbritannien im Visier hat? Das Komitee begründet dies mit den engen Verbindungen zu den USA; zudem nehme Präsident Wladimir Putin die britische Hauptstadt als "Zentrum der Anti-Russland-Lobby im Westen" wahr. Die erfolgreiche Diplomatie Londons nach dem Chemiewaffen-Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal, dessen Tochter sowie mehrere Bürger von Salisbury im März 2018 habe diesen Eindruck verstärkt: In Solidarität mit Großbritannien verwiesen damals 28 Verbündete insgesamt 153 russische Diplomaten und Spione des Landes.

Zahlreiche russische Cyber-Bots hätten im Vorfeld der Volksabstimmung über die schottische Unabhängigkeit im Herbst 2014 Stimmung für die Ja-Kampagne gemacht, berichtet der Ausschuss. Dennoch habe die Regierung des damaligen Premiers David Cameron keinerlei Vorkehrungen getroffen, um ähnliche Vorkommnisse beim EU-Referendumskampf zu vermeiden. Unter seiner Nachfolgerin Theresa May sei dann alles vermieden worden, um den weithin bekannten offenen Quellen nachzugehen, die dubiose Verbindungen Moskaus mit Teilen der Austrittskampagne behaupteten. Die Stellungnahme der Johnson-Regierung, es gebe ja keine Beweise, kanzelte das Labour-Komiteemitglied Kevan Jones als "gegenstandslos" ab: Wer nicht suche, könne auch nichts finden. (Sebastian Borger aus London, 21.7.2020)