Europarechtsexperte Stefan Brocza im Gastkommentar über einen peinlichen Lapsus und den Selbstversorgungsplan des Niederösterreichischen Bauernbunds.

Bereits Mitte Juni präsentierte der Niederösterreichische Bauernbund seine neue Kampagne "Für Dich, für Alle, für Österreich". Deren Ziel ist es, die Bedeutung der Leistungen der heimischen Landwirtschaft in den Vordergrund zu stellen und die Selbstversorgung mit heimischen Lebensmitteln schlussendlich als Staatsziel in der Verfassung zu verankern. Die Kampagne ist in Niederösterreich und Wien auf Plakatflächen sichtbar und im Internet und sozialen Medien präsent. Als besondere Werbeform ersann man ein Plakat, das mit den saisonalen Anbau- und Produktionsschritten der Bauern "mitwächst". Dafür wurde ausgerechnet isländisches Moos – zudem nicht einmal aus heimischem Anbau – auf der Plakatfläche appliziert. Erst als der Bauernbund darauf angesprochen wurde, dass es wohl widersinnig wäre, mit isländischem Moos Werbung für österreichische Regionalprodukte zu betreiben, wurde das Plakat demontiert und eingestampft.

Dieser peinliche Lapsus verdeutlicht das grundsätzliche Problem des Selbstversorgungsplans, der auch von der Bundesregierung prokativ unterstützt wird: Österreichs landwirtschaftliche Produktion ist längst in einen grenzüberschreitenden Produktionsverbund integriert. Ein Herauslösen und Umschwenken auf eine Art "Sei dir selbst genug"-Kantönligeist ist faktisch nicht mehr machbar und wäre sowohl ökonomisch als auch versorgungstechnisch unsinnig.

Regionale Lebensmittel sind in der Corona-Krise gefragt. Umweltschützer kritisieren zu geringe Selbstversorgung bei Obst und Gemüse.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Unlukrative Produkte

Um so mehr, als die österreichische Landwirtschaft weit davon entfernt ist, diese Selbstversorgung auch sicherzustellen. Laut Statistik Austria erreicht der Grad der Eigenversorgung bei Wein 108 Prozent, bei Getreide 87 Prozent, bei Kartoffeln 83 Prozent, bei Obst 59 Prozent, bei Gemüse 54 Prozent, bei Ölsaaten 48 Prozent und bei pflanzlichen Ölen 28 Prozent. Nicht viel anders sieht es im tierischen Sektor aus: bei Käse (inklusive Schmelzkäse) 115 Prozent, bei Fleisch 108 Prozent, bei Eiern 86 Prozent und bei Butter 72 Prozent.

Will die Bundesregierung die Ernährung der Österreicherinnen und Österreicher nicht auf Wein, Käse und Fleisch beschränken, müssen wohl oder übel landwirtschaftliche Betriebe dazu gebracht werden, in Hinkunft andere, weniger lukrative Produkte zu produzieren. Es hat aber einen Grund, warum sich die Produktion in Österreich so entwickelt hat: Die jüngste Einkommensanalyse der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe zeigt nämlich, dass nur sogenannte Veredelungsbetriebe nennenswerte Zuwächse erzielen können, Dauerkulturbetriebe aber zu den großen Verlierern zählen. Warum sollte also jemand seinen eingeschlagenen Weg ändern?

Eine Kernwählerschicht

Man kann sich nur schwer vorstellen, dass zur Umsetzung des Staatsziels "Selbstversorgung" Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger als Quasi-Kolchosenmeisterin durchs Land zieht und entscheidet, welcher Bauer und welche Bäuerin in Zukunft was zum Wohle des Staates zu produzieren hat. Auch ihre Aussage, dass man dann im Winter eben keine spanischen Erdbeeren, sondern stattdessen österreichische Äpfel essen soll, klingt nicht wirklich umsetzbar und steht zudem mit EU-Recht auf dem Kriegsfuß.

Aber offensichtlich ist die Bundesregierung um jeden Preis gewillt, die Situation der ÖVP-Kernwählerschicht der Bauern zu verbessern. Daher wurde auch bereits im Mai ein "Regionalgipfel" mit den Chefs der großen Supermarktkonzerne abgehalten, mit dem Ziel, Preise für heimische Produkte (künstlich) hoch zu halten. Dass die Bevölkerung gerade in Krisenzeiten eher leistbare als regionale Lebensmittel braucht, interessiert dabei nicht. (Stefan Brocza, 22.7.2020)