Im Gesundheitsministerium geht man "aktuell von einer Spezifität von über 99 Prozent" bei den in Österreich eingesetzten Tests aus.
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Anfang Juli kündigte Gesundheitsminister Rudolf Anschober ein österreichweites Screeningprogramm mit 25.000 bis 30.000 freiwilligen Tests pro Woche an, die in Gesundheitseinrichtungen sowie bei prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen durchgeführt werden sollen. Testen, testen, testen – das ist seit vielen Wochen die Strategie in Österreich, um neue Infektionsherde schnell zu erkennen.

Doch diese Strategie hat einen Haken: viele falsche Testergebnisse. Zwar sind die vorhandenen PCR-Tests zum Nachweis des Virus gut, sie sind aber nicht perfekt. Ungenauigkeiten bei der Probenentnahme oder im Labor sowie Probleme beim Transport können Ursachen für fehlerhafte Ergebnisse sein. Das Bewusstsein dafür fehle vielen Laien, aber auch Medizinern, sagt Andreas Sönnichsen vom Zentrum für Public Health der Med-Uni Wien. Der Experte glaubt, dass es Covid-19 "in der Bevölkerung so gut wie nicht mehr gibt". Seine Begründung: Von den täglich gemeldeten Neuinfektionen sei ein großer Teil falsch positiv. Viele Getestete bekämen das Ergebnis, Sars-CoV-2-positiv zu sein, obwohl sie gar nicht infiziert sind.

Gesunde und Infizierte erkennen

Was steckt hinter dieser Annahme? Wichtig sind einerseits die Spezifität und die Sensitivität der PCR-Tests. Die Spezifität gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der Gesunde als gesund erkannt werden. Bei einer Spezifität von 99 Prozent werden von 100 gesunden Personen 99 korrekt als gesund getestet, bei einer Person ist das Testergebnis jedoch fälschlicherweise positiv. Die Sensitivität hingegen gibt die Fähigkeit des Tests an, dass mit dem Virus Infizierte korrekt als solche erkannt werden. Ist eine Person infiziert, der Test aber negativ, spricht man von falsch negativ.

Andererseits ist die Prävalenz von Bedeutung. Sie beschreibt, wie hoch die Durchseuchung in der Bevölkerung grundsätzlich ist. Wie zuverlässig ein Test Infizierte und Nichtinfizierte unterscheidet, hängt von der Verbreitung des Virus in der Bevölkerung ab. "So funktioniert ein HIV-Test in Südafrika, wo die Infektion stärker verbreitet ist, besser als etwa in Deutschland – obwohl es derselbe Test ist", erklärt Eva Rehfuess, Leiterin des Lehrstuhls für Public Health und Versorgungsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ähnlich ist es mit Sars-CoV-2: Da, wo ein großer Anteil der Menschen akut infiziert ist, sind die Ergebnisse "ziemlich zuverlässig – aber da, wo nur wenige Menschen akut betroffen sind, leider nicht", so die Expertin.

Zwei Beispiele

Das heißt: Je geringer die Prävalenz ist, also je weniger getestete Personen tatsächlich mit Sars-CoV-2 infiziert sind – wie das derzeit in Österreich der Fall ist –, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit falsch positiver Befunde. Um das mit zwei Beispielen anhand von 100 getesteten Menschen und je 99 Prozent Testsensitivität und -spezifität zu verdeutlichen: Ist die halbe Bevölkerung infiziert, also eine hohe Prävalenz gegeben, so erkennt der Test statistisch alle korrekt, 50 als richtig positiv und 50 als richtig negativ.

Bei einer Prävalenz von einem Prozent hingegen – ist also nur eine Person tatsächlich infiziert – werden zwar 98 der 100 Getesteten als richtig negativ erkannt und eine Person als richtig positiv, jedoch auch eine Person als falsch positiv. In diesem Szenario gibt es gleich viele richtig positive wie falsch positive Ergebnisse. Anders ausgedrückt: Bei einem positiven Testergebnis wäre eine Person nur mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich infiziert. Das "British Medical Journal" hat ein Tool entwickelt, mit dem die Zuverlässigkeit von Tests – je nach Spezifität, Sensitivität und Prävalenz – berechnet werden kann.

Mit der aktuell geringen Durchseuchung der Bevölkerung sinkt also die Wahrscheinlichkeit, dass Tests richtige Ergebnisse liefern. Während das Gesundheitsministerium auf Anfrage "aktuell von einer Spezifität von über 99 Prozent" bei den in Österreich eingesetzten Tests ausgeht, schätzt Sönnichsen diese auf etwa 98,5 Prozent. Bei 6000 bis 7000 Tests pro Tag und 1,5 Prozent falsch positiven Ergebnissen komme man etwa auf die Zahl, die täglich als Neuerkrankungen gemeldet werden.

"Wir tappen im Dunkeln, wie viele richtig positive da nun wirklich dabei sind", sagt der Public-Health-Experte und rechnet vor, dass von etwa hundert gemeldeten Neuinfektionen pro Tag vielleicht nur rund 25 tatsächlich richtig positiv sein dürften: "Die genaue Zahl kennen wir nicht, aber es sind auf jeden Fall viel weniger, als tatsächlich in der Statistik auftauchen", so der Public-Health-Experte. Falsch negative Ergebnisse gibt es zwar auch, hingegen dürften es weit weniger sein – "höchstens eine Handvoll", sagt Sönnichsen.

Wenig Infizierte in Bevölkerung

"Bei geringer Prävalenz gilt: Fehler bei den nicht Infizierten wirken sich deutlich stärker aus als bei den Infizierten", sagt Klemens Himpele, Leiter der MA 23. Der Statistiker glaubt jedoch nicht, dass es derzeit in Österreich tatsächlich so viele falsch positive Ergebnisse gibt, wie Sönnichsen vermutet. Als Begründung verweist Himpele auf die letzte Prävalenzstudie der Statistik Austria von Ende Mai: Von 1.279 mittels PCR getesteten Personen einer Stichprobe wurde keine Person positiv auf Sars-CoV-2 getestet.

"Wenn wir bei den Testmethoden viele falsch positive Testergebnisse hätten, müsste es hier auch insgesamt – egal ob richtig oder falsch – mehr positive Fälle geben", so Himpele. Seine Schlussfolgerung: Die Tests haben also eine hohe Spezifität.

Während Sönnichsen dafür plädiert, mit den Testungen aufzuhören, sagt Himpele: "Nicht testen ist keine Lösung." Wichtig ist aber, nur gezielt im Anlassfall zu testen, also wenn Menschen Symptome aufweisen oder Kontakt mit Infizierten hatten sowie bei Risikogruppen in Pflegeheimen. Denn etwa unter Kontaktpersonen sei die Prävalenz deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung, so Himpele.

Es ist ein Dilemma. Dessen sind sich alle Experten bewusst. Und zwar eines, das uns vor allem im Herbst und Winter begleiten wird, wenn Erkältungskrankheiten allgemein weiter zunehmen. (Bernadette Redl, Daniela Yeoh, 25.7.2020)