Praktische Ärzte arbeiten an vorderster Front im Gesundheitssystem und sind die ersten Ansprechpartner in vielen Belangen. Wie es den Patienten in dieser Gesundheitskrise geht, berichtet Allgemeinmediziner Wolfgang Mückstein.

STANDARD: Wie steht es um die Gesundheit der Menschen in dieser Zeit?

Mückstein: Während des Lockdowns haben viele Menschen Gewicht zugenommen, weniger Sport getrieben und sind weniger raus gegangen. Das hätten sie zwar gedurft, es wurde aber leider unklar kommuniziert. Die Konsequenzen werden wir erst in einigen Monaten oder Jahren sehen – vor allem dort, wo Patienten in dieser Zeit nicht behandelt wurden, also wo eine chronische Wunde nicht zugeheilt ist oder Diabetiker ein paar Monate schlecht eingestellt waren. Es gibt eventuell aber auch Vorteile.

STANDARD: Und zwar?

Mückstein: Meine Beobachtung ist, dass viele andere Infektionskrankheiten wie grippale Infekte oder Durchfallerkrankungen weniger geworden sind. Ich nehme daher an, dass es auch einen gewissen Kollateralnutzen geben wird. Auch Pollenallergiker und Asthmatiker, die draußen nun Masken tragen, profitieren.

Wolfgang Mückstein ist einer von drei leitenden Ärzten in der Gruppenpraxis Medizin Mariahilf.
Foto: Medizin Mariahilf

STANDARD: Wie ist die Stimmung der Patienten?

Mückstein: Es herrscht eine gewisse Grundaggressivität. Die Patienten sind dünnhäutiger, warten nicht gerne und treffen gleichzeitig in Ordinationen auf müde Teams.

STANDARD: Für viele Menschen war diese Zeit eine psychische Belastung. Merken Sie das?

Mückstein: Für viele hat sich in der Phase des Lockdowns eine Doppelbelastung ergeben, etwa durch Homeoffice und gleichzeitige Kinderbetreuung. Eine ganze Reihe von Krankheiten im psychiatrischen Bereich ist in dieser Zeit schlecht betreut worden. Fälle von Alkoholmissbrauch und häuslicher Gewalt haben zugenommen. Auch für Menschen, die bereits an Angststörungen litten, war es eine besonders schwere Zeit, ebenso für Substitutionspatienten.

STANDARD: Gab es nach dem Lockdown einen großen Ansturm?

Mückstein: Nein, wir haben immer noch ein Drittel weniger Frequenz als vor Corona.

STANDARD: Ist mittlerweile wieder der Alltag eingekehrt in der Ordination?

Mückstein: Die jungen Patientinnen und Patienten haben nach dem Lockdown sehr schnell verstanden, dass sie wieder zum Arzt gehen können und sollen. Im März und April haben wir Telemedizin angeboten und hatten etwa 30 bis 40 telemedizinische Patientenkontakte pro Halbtag. Die Jungen haben das gerne und schnell angenommen, bei den Älteren war es schwieriger. Sie sind teilweise noch sehr lange in die Ordination gekommen, nur um sich Rezepte zu holen – es hat also länger gedauert, bis sie es verstanden und sich umgestellt haben. Jetzt haben sie das verinnerlicht, aber leider haben wir nun das umgekehrte Problem.

Die Verhaltensregeln in Arztpraxen wurden verschärft. Wer Symptome verspürt, sollte vor dem Ordinationsbesuch anrufen.
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STANDARD: Und zwar?

Mückstein: Jetzt sollten die älteren Menschen wieder zum Arzt gehen, viele kommen aber nicht. Auch dadurch entstehen Kollateralschäden. Hier hätte man vonseiten der Behörden besser kommunizieren müssen. Im Mai, nachdem wir gesehen haben, dass das Gesundheitssystem mit der Pandemie umgehen kann, hätte man chronisch kranke Menschen, etwa mit Diabetes oder Bluthochdruck, dazu aufrufen sollen, sofort wieder zum Arzt zu gehen. Spätestens jetzt ist es wichtig, sich behandeln zu lassen, bevor es im Herbst sicher wieder Einschränkungen geben wird.

STANDARD: Die Covid-19-Symptome sind sehr unspezifisch. Wie gehen Sie damit um?

Mückstein: Hat jemand nur Halsweh, ist das tatsächlich eine schwierige Situation. Wir schauen uns den Einzelfall an. Während des Lockdowns haben wir eine Infekt-Ordi eingerichtet, also Behandlungsräume mit Schutzkleidung ausgerüstet, dort Patienten mit verdächtigen Symptomen untersucht und dann entschieden. Generell gilt: Trockener Husten, höheres Fieber, kein Geruchs- oder Geschmackssinn – hier ist Covid-19 wahrscheinlich. Bei einer laufenden Nase oder nur Halsschmerzen eher nicht.

STANDARD: Sind wir für einen erneuten Anstieg der Infektionszahlen gut gewappnet?

Mückstein: Auf jeden Fall besser als vor der ersten Welle. Die Bevölkerung hat die Verhaltensmaßnahmen gelernt. Und wir haben große Mengen an Schutzausrüstung, die bis in den Herbst hinein reichen werden. Außerdem ist die Produktion voll angelaufen. Ich glaube nicht, dass es hier nochmal zu einem großen Engpass kommen wird.

STANDARD: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Mückstein: Das Um und Auf im Herbst wird sein, den Menschen beizubringen, dass sie, wenn Symptome da sind, einfach auch bei ihrem Arzt anrufen können. Man muss als behandelnder Mediziner nicht immer unbedingt in den Mund hineinschauen. Es kann auch reichen, die Patienten strukturiert abzufragen. (Bernadette Redl, 23.7.2020)