IGGÖ-Präsident Vural warnt vor einer "Art Überwachungsapparat für die muslimische Bevölkerung".

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Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) verabschiedet sich bereits. Sie will mit der bald startenden Dokumentationsstelle der türkis-grünen Regierung zum politischen Islam nun doch nichts mehr zu tun haben. Noch vergangene Woche mahnte sie ihre Einbindung ein. Niemand hätte einen vergleichbaren Zugang zu Vereinen und niemand könne "ähnlich effizient mit eventuell Betroffenen kommunizieren".

Der Islamtheologe Mouhanad Khorchide von der Universität Münster, der die Regierung beim Aufbau der Dokustelle berät, wollte eine Teilnahme der IGGÖ im STANDARD-Interview nur bedingt zulassen. Die IGGÖ solle zwar einbezogen werden, aber wie die Politik nicht wissenschaftlich mitarbeiten dürfen. "Denn wenn der Verdacht bestehen sollte, dass Teile der IGGÖ mit Organisationen sympathisieren, die dem politischen Islam nahestehen, muss man sich die Frage stellen, wie frei und unabhängig die Dokustelle ist, wenn die IGGÖ zu stark involviert ist."

Tags darauf hält der IGGÖ-Präsident Ümit Vural die Zusammenarbeit hinsichtlich der Dokustelle für "unzumutbar". Diese sei mit Personen, die der IGGÖ feindlich gegenüberstünden, als auch wegen ihrer jüngsten Aussagen ausgeschlossen. Der Präsident stößt sich am "unbrauchbaren" Begriff "politischer Islam". Dass die Regierung dabei bleibe, "zeugt von einer rein politischen Zielsetzung". Hinter der von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) angekündigten Durchleuchtung von muslimischen Vereinen und Netzwerken vermutet Vural die Installierung eines Überwachungsapparats. Vural gilt als Vertreter der Islamischen Föderation, die der islamistischen Millî-Görüş-Bewegung nahestehen soll.

Terrorismus-Framing "falsche Richtung"

Khorchide hat seine Geschichte mit der IGGÖ. Als seine Soziologiedoktorarbeit durch den Falter 2009 publik wurde, in der er herausfand, dass einst unter 210 muslimischen Lehrern 22 Prozent die Demokratie ablehnen, brach Ex-IGGÖ-Präsident Anas Schakfeh mit ihm, erzählt Khorchide dem Falter. Er soll dann den Lehrauftrag als Ausbildner für IGGÖ-Religionslehrer verloren haben.

Aber auch andere Aussagen Khorchides im STANDARD wurden unter Auskennern nicht ohne Sorge betrachtet. Der deutsche Terrorexperte Peter Neumann vom King’s College in London stößt sich etwa an der Feststellung, wonach der politische Islam gefährlicher als der Jihadismus sei, weil er in Anzug und Krawatte auftrete. Es handle sich um verschiedene Dinge. Beim Jihadismus gehe es um Terrorismus und das Erobern von Gebieten. Der politische Islam dagegen habe nichts mit Gewalt zu tun. Es gehe vielmehr um ein Integrationshindernis durch islamistische Wertvorstellungen, die jenen der westlichen und europäischen Gesellschaft entgegenstünden. "Wenn die Dokumentationsstelle nun mit Terrorismus geframt wird, geht man also in eine falsche Richtung", meint Neumann. Dafür sei außerdem das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zuständig.

Nicht nur auf die Muslimbruderschaft konzentrieren

Im Vordergrund müsse stehen, wie junge Muslime in Parallelgesellschaft abrutschen würden und wie man das verhindern könne. "Dabei dürfen sich die Schlussfolgerungen aber nicht nur an Muslime, sondern auch an die Mehrheitsgesellschaft richten", sagt Neumann. "Auch sie muss in die Pflicht genommen werden."

Die Dokustelle solle sich auch nicht auf Netzwerke wie die Muslimbruderschaft aus Ägypten versteifen. "Es wäre ein Fehler zu glauben, dass es allein diese Strippenzieher sind, die die Leute gegeneinander ausspielen", sagt Neumann. "Es gibt Fehlentwicklungen, die aus den Communitys selbst kommen können."

Auch der Wiener Islamwissenschafter Rami Ali kritisiert Khorchide für dessen Jihadismus-Sager, weil Khorchide selbst zugebe, dass der Begriff politischer Islam noch nicht klar definiert sei. Abgesehen davon macht Ali auf die tausenden Menschen aufmerksam, die Organisationen wie der "Islamische Staat" oder Al-Qaida "auf dem Gewissen haben". (Jan Michael Marchart, 22.7.2020)